"Von ganz oben" - Die Perspektive auf den Amri-Komplex verändert sich

Seite 2: Die Staatsanwaltschaft ist eine hierarchische Behörde mit einem General an der Spitze

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Die Fragezeichen im Amri-Komplex setzten sich auch bei ihrem Kollegen Jens Wegmarshaus fort. Er hatte den Messerangriff vom 11. Juli 2016 in einer Bar in Berlin-Neukölln zu bearbeiten, eine körperliche Auseinandersetzung zwischen sieben Männern, an der Amri aktiv beteiligt war. Auch dieser Vorfall ist inzwischen mehrfach beschrieben.

Es kam in der Folge im August 2016 im LKA Berlin zu einer Besprechung mit dem Generalstaatsanwalt-Vize Feuerberg persönlich. Er verweigerte, einen Haftbefehl zu beantragen. Das geschah gegen zwei der vier Angreifer erst nach dem Anschlag 2017. Amri starb am 23. Dezember 2016 in Italien. Der vierte Angreifer soll nicht identifiziert sein. Sicher ist inzwischen aber auch, dass eine Quelle im Spiel war.

Nun erfuhr man, dass der zuständige Staatsanwalt Wegmarshaus eigentlich gar nicht zuständig war, er bearbeitet nämlich Jugendstrafsachen. O-Ton Wegmarshaus: "Das wäre normalerweise gar nicht auf meinen Tisch gekommen." Dass es doch auf seinem Tisch gelandet war, lag daran, dass ein 18-jähriger Heranwachsender als Täter aufgeführt wurde. Der hatte mit dem Vorfall aber rein gar nichts zu tun, und das Verfahren gegen ihn wurde "sofort wieder eingestellt."

Von den beiden anderen Beschuldigten, Amri und Abdelmontasser H., wusste der Jugendstaatsanwalt nicht, dass es sich um islamistische Gefährder handelte. Das sei ihm auch nie mitgeteilt worden. Das Verfahren kam zwar vom Landeskriminalamt zu ihm, war aber mit einem Vermerk versehen, dass der Leitende Oberstaatsanwalt und Chef der Staatsschutzabteilung, Feuerberg, davon Kenntnis habe.

Er sei deshalb davon ausgegangen, so Staatsanwalt Wegmarshaus, es handle sich um einen "normalen Kriminalfall" - und nicht um einen Staatsschutzfall, weil ihn sonst ja die Staatsschutzabteilung selbst übernommen hätte.

Wurde der Staatsanwalt also getäuscht und benutzt - von ganz oben? Zum Schluss seiner Vernehmung verwendete der Staatsanwalt noch dieses Bild, das eben auch auf seine Kollegin Tombrink zutrifft: Die Staatsanwaltschaft sei eine hierarchische Behörde mit einem General an der Spitze. Er sei nur ein Soldat. Die Soldaten würden nicht gefragt werden, sie führten nur Befehle aus.

Der Vize-General Dirk Feuerberg ist für die nächste Ausschusssitzung am 6. Dezember als Zeuge geladen.

Die Aussage des nordrhein-westfälischen LKA-Beamten M., BKA und Bundesinnenministerium wollten einen Informanten von Amri abziehen, hat große Wellen geschlagen. Überzeugend widersprochen wurde ihm bisher nicht. Das geschah eher pflichtschuldig und mündlich durch einen Pressesprecher des Bundesinnenministeriums, nicht einmal durch einen Staatssekretär und schon gar nicht durch den Minister, wie etwa in der Causa Ben Ammar.

Und auch Medien, die üblicherweise mit dem Sicherheitsapparat verbunden sind, konnten bisher nicht so richtig auf den Nestbeschmutzer einbeißen. Die Süddeutsche Zeitung musste es bei billiger Polemik belassen, sprach von einer "ominösen Order von ganz oben" und unterstellte ausgerechnet den kritisch und konsequent fragenden Abgeordneten von FDP, Linken und Grünen sie hätten "schon lange die Theorie, dass Amri von heimlichen Mächten im Hintergrund beschützt" worden sei.

Will, wer so urteilt, wirklich Hintergründe aufklären?