Vorsicht vor den asozialen Medien!

Seite 3: Hassrede gefährdet Meinungsfreiheit

Hassreden werden gefährlich für unsere Gesellschaft, spätestens dann, wenn die Hetze des einen die Meinungsfreiheit des anderen einschränkt. Die vergiftete Diskussion kann dazu führen, dass Menschen sich aus Angst vor den hasserfüllten Reaktionen anderer nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern, Medienredaktionen ganze Themenblöcke meiden, weil sie sich der unzivilisierten Debatte nicht gewachsen fühlen.

Der Kampf gegen Hassreden ist also auch ein Kampf für die Meinungsfreiheit.

Die Tatsache, dass die Internetdienste besser über einen Bescheid wissen, als man selbst über sich weiß, jedenfalls als man sich bewusst macht, kann nicht nur für Werbezwecke ausgebeutet werden, die Möglichkeit zur personalisierten Zielgruppenansprache, kann auch für Propaganda, bis hin zu Wahlmanipulationen missbraucht werden.

Das Internet kann so zu einem Einfallstor für Manipulatoren und für Meinungsbeeinflusser werden.

Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache, ist etwa der relativ preiswerte Kauf von "Likes" auf Facebook.

Zu den Meinungsmachern zählen auch "Trolle" – also problematische einzelne Netzteilnehmer oder ganze Trollfabriken, die sich in Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und provozieren, Wut und Hass schüren oder in eine bestimmte (politische) Richtung zu lenken versuchen.

Es gibt auch automatisierte "Trolls", also künstliche Identitäten, Robots, die in Netzwerken wie Twitter oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vortäuschen. "Robots" oder kurz "Bots" können durch ihre schiere Masse gesellschaftliche Debatten beeinflussen, sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik in München.

Übereinstimmende Studien zeigen, dass sich Fake News weiter, schneller, intensiver und breiter verbreiten denn als wahr klassifizierte Informationen. Hinzu kommt: Falschmeldungen werden doppelt so häufig geteilt und haben eine um 70 Prozent größere Chance der Verbreitung als normale Nachrichten.

Diesen Verbreitungseffekt nutzen natürlich auch die sozialen Netzwerke für sich selbst, denn die "Währung" des Internets ist die Aufmerksamkeit - sie bringt Klickzahlen und Verweildauer und damit auch Werbeeinnahmen.

Es geht um "Nutzertracking" und um "Klickökonomie", um die profitgetriebene Erzielung von Aufmerksamkeit sowie um Bindung an den jeweiligen Dienst, um möglichst effektiv personalisierte Werbung zu vermarkten. So verdienen diese Unternehmen ihre Milliarden.

Im Wettstreit um Aufmerksamkeit müssen sich die Einträge an sprachlicher Härte, an skandalisierendem Ton und auch an Aggressivität überbieten. Klassische journalistische Tugenden sind dem "Clickbaiting" eher abträglich. Wut klickt gut. Hass bringt Klickzahlen. So werden soziale Medien zu asozialen Medien.

Politische Rechte hat soziale Medien verstanden

Gerade Rechtspopulisten beherrschen dieses Spiel mit der Wut gekonnt. Sie liefern, was der Algorithmus belohnt.

Die AfD oder andere rechte Bewegungen wie die Lega Nord in Italien nutzen solche "Infodemie"-Effekte für ihre politische Propaganda. Bei den Social-Media-Abrufen liegen die AfD und deren Politiker:innen mit weitem Abstand vor den anderen Parteien.

Es gibt begründete Annahmen, die sagen, der Aufstieg der AfD als Partei wäre ohne das Medium Internet nicht so rasch erfolgt.

Der frühere US-Präsident Donald Trump sagte selbst, er verdankte seinen damaligen Wahlerfolg Facebook und Twitter und er bewies mit seinen nahezu täglichen Kurznachrichten, wie sehr die klassischen Medien und Journalismus geradezu an die Wand gedrängt werden können.

Aufgrund von Vorwürfen, die sozialen Netzwerke würden zu wenig gegen rechtsextreme Gruppen oder gegen Aufrufe zur Gewalt unternehmen, sahen sich Facebook und andere Online-Plattformen Boykotten etlicher Werbekunden gegenüber - darunter Großkonzerne wie Coca Cola oder Honda.3

Während Twitter schon seit einiger Zeit Maßnahmen gegen Falschnachrichten ergriffen hat, lenkte nun auch Facebook ein. So wird es etwa Facebook nicht mehr dulden, dass Nutzer die Shoa leugnen oder verharmlosen.

Telegram entzieht sich bisher solcher betriebsinternen und auch jeglicher staatlicher Regulierung. So organisieren sich Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen, aber auch rechtsextremes, antisemitisches und verschwörungsgläubiges Gedankengut inzwischen mehr und mehr auf diesem Messengerdienst.

Wolfgang Lieb studierte an der FU Berlin und an den Universitäten Bonn und Köln Rechtswissenschaften und Politik. Nach dem Staatsexamen und einer Promotion im Medienrecht war er Wissenschaftlicher Assistent an der neu gegründeten Gesamthochschule Essen und später an der Universität Bielefeld. Danach arbeitet er in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes in Bonn unter Kanzler Helmut Schmidt. Mit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl wechselte er in die Landesvertretung NRW. Unter Johannes Rau war er neun Jahre Regierungssprecher und später Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium.

Seit seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst ist er politischer Blogger der ersten Stunde und freier Autor

Diesem Text liegt ein Referat auf der Sommertagung des Wirtschaftsgilde - Evangelischer Arbeitskreis für Wirtschaftsethik und Sozialgestaltung - in Oberstdorf am 2. Juli 2021 zugrunde. Der Beitrag erscheint auch beim Blog der Republik.

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