Vorsicht vor den asozialen Medien!

Digital – medial – (a)sozial: wie Facebook, Twitter, Youtube & Co unsere demokratische Kultur verändern (Teil 3)

Anfang der zweiten Juniwoche dieses Jahres, ist bei uns das Urheberrechts-Dienstanbieter-Gesetz (UrhDaG) in Kraft getreten, das in ähnliche Richtung geht wie im letzten Teil erwähnte Gesetzgebung in Australien. Nicht mehr die Nutzer haften in Zukunft für Urheberrechtsverletzungen, sondern die Plattformen. Urheber, also Medien, Künstler, Filmproduzenten sollen fair an den Gewinnen der Plattformen beteiligt werden.

Um die automatisierte Blockade von Inhalten möglichst weitgehend zu verhindern, soll eine Bagatellgrenze eingezogen werden. So können bis zu 15 Sekunden aus einem Musikstück oder Filmwerk, bis zu 160 Zeichen Text, 125 Kilobyte für Fotos und Grafiken gegen eine (geringe) kollektivierte Pauschalvergütung von jedem Nutzer erlaubnis- und haftungsfrei hochgeladen und öffentlich verwendet werden.

Um irrtümliche Sperrungen, das "Overblocking" möglichst zu verhindern, soll darüber hinaus ein "Preflagging"-Verfahren eingeführt werden, mit dem das Hochladen von Inhalten als vertraglich oder gesetzlich erlaubt, gekennzeichnet werden kann. Zulässig sollen auch Karikaturen oder Parodien von urheberrechtlich geschützten Inhalten sein.

Das Gesetz wird allerdings vor allem von den Zeitungsverlegern und von Künstlern heftig kritisiert.

Wettbewerbsrechtliche Zerschlagung?

Inzwischen wird in Europa und selbst in den wirtschaftsliberalen USA intensiver über eine wettbewerbsrechtliche Zerschlagung dieser Konzerne diskutiert. Amazon wird vorgeworfen, dass es seine Datenerhebungen dafür einsetzt, Hersteller gut verkaufter Produkte auf der Amazon-Website mit eigenen Produkten vom Markt zu drängen.

Google wird vom US-Justizministerium verklagt, in den Suchergebnissen seiner Seite eigene Produkte und Seiten zu favorisieren. Facebook wird vorgehalten, konkurrierende Netzwerke wie Instagram und Whatsapp aufgekauft zu haben. Apple wird bezichtigt, in seinem umfangreichen App-Store eigene Produkte herauszustellen und anderer Apps zu entfernen.

Die EU-Kommission hat in den vergangenen drei Jahren drei Kartellstrafen gegen Google verhängt, die sich insgesamt auf mehr als acht Milliarden Euro addierten.

Nach § 19a der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom Januar dieses Jahres kann das Bundeskartellamt den großen Digitalkonzernen neuerdings etwa die Selbstbevorzugung konzerneigener Dienste oder die Behinderung des Marktzutritts von Dritten untersagen.

Auf der Basis dieses Gesetzes prüft das Kartellamt derzeit, ob Apple eine, wie es heißt, "marktübergreifende Bedeutung", also marktbeherrschende Stellung hat.

Algorithmen entscheiden über Inhalte

Die Vision des Internets war anfänglich geprägt vom Bild der Offenheit und Vernetzung in einer freien, nicht-kommerziellen Informationsgesellschaft. Vom freien Informationsfluss im Netz kann jedoch keine Rede sein.

Die Kontrolle über die verbreiteten Inhalte liegt nicht bei den Nutzern, sondern bei den Betreibern sozialer Netzwerke. Internetdienstanbieter sind nicht neutral.

Es bleibt verborgen, dass die "geposteten" Inhalte vor allem aufgrund von geheim gehaltenen Sortier- und Suchalgorithmen der Internetdienstleister gesteuert werden.

Solche den Betriebsgeheimnissen der Tech-Giganten unterliegenden Computer-Rechenprogramme kategorisieren, filtern und hierarchisieren die Angebote - milliardenfach und in Bruchteilen von Sekunden.

Über das Such- oder Klickverhalten wird nachverfolgt, welche Netzinhalte vom Benutzer gesucht werden und welche ihm wichtig erscheinen. Basierend auf diesen Daten entscheiden die Algorithmen der Intermediäre, welche Inhalte bestimmte Nutzer in welcher Reihenfolge zu sehen bekommen.

Gefahr des Verlustes der Meinungsvielfalt

"Unser Ziel ist es, mit dem Newsfeed die perfekte personalisierte Zeitung für jede Person auf der Welt zu schaffen", sagte Facebook-Gründer Zuckerberg, wohl ohne zu begreifen, welches Problem für den Erhalt von Meinungsvielfalt er damit beschrieb.

Die konsequente Personalisierung der Informationen zerstört die Grundfunktion der Öffentlichkeit, nämlich den offenen Austausch der vielfältigen gesellschaftlichen Meinungen.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 zum Rundfunkbeitrag auf die Gefahr hingewiesen, "dass auch mithilfe von Algorithmen Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt".1

Die Auswahltechnik, die den Internet-"Surfern" das anzeigt, was sie ohnehin suchen oder meinen - egal was tatsächlich in der Welt vor sich geht, wird häufig als "Filterblasen"- oder "Echokammer"-Effekt bezeichnet.

Obwohl diese Effekte plausibel erscheinen, sind die empirischen Nachweise dafür bislang allerdings dünn gesät. Als einigermaßen gesichert gilt jedoch, dass bei zahlenmäßig durchaus beachtlich großen gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Opposition zu der in den klassischen Medien veröffentlichten Meinung verstehen, durch die personalisierten Nachrichtenströme Verfestigungen von Vorurteilen oder Ideologien beobachtbar sind.

Auch Menschen, die vom öffentlichen Diskurs abweichende, oftmals stark ideologisch begründete Überzeugungen haben, können durch die selektive Auswahl der Angebote im Internet zur Anschauung gelangen, dass ihre randständigen Auffassungen mit der "Volks"-Meinung übereinstimmen, sodass sich polarisierende "Gegen- oder Teilöffentlichkeiten" mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen bilden.

An die Stelle einer einzigen Öffentlichkeit, die die Gesellschaft zusammenhält, ist eine Vielzahl von Öffentlichkeiten getreten.2

Homogene Diskursräume und Radikalisierung

Ideologisch homogene Diskursräume führen zur Radikalisierung von Meinungen und Positionen. So kann eine Wir-gegen-die-Haltung entstehen, die Hass sähen und einen Nährboden für politische Radikalisierung bilden kann.

Solche sektenartige Phänomene lassen sich etwa bei den Corona-"Querdenker"-Demonstrationen beobachten.

Unbestritten ist: Im Netz ist eine Verrohung, ja teilweise sogar eine Vergiftung der Sprache beobachtbar. Das sehen auch 83 Prozent der Bundesbürger so.

Die Verwilderung in der zwischenmenschlichen Kommunikation im Netz ist oft eng verbunden mit einem pauschalen Antielitismus, einer allgemeinen Skepsis, mit Homophobie oder Fremdenhass, mit Rassismus bis hin zu Aufrufen zur Gewalt. Das Internet wurde geradezu zu einem Sammelpunkt für fremdenfeindliche und antisemitischer Hetze.

Es kursieren sogar Handbücher mit Anleitungen für "trollen, shitposten oder einfach nur verarschen".

Mehr als drei Viertel der Deutschen erleben Hass im Netz. Das zeigen die neuesten Zahlen einer Forsa-Studie im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW.

69 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren waren schon einmal von Beleidigungen und Beschimpfungen im Netz betroffen. Vor allem Jugendliche werden mit "Cyber-Mobbing", "Bullying", also Mobbing im Umfeld der Schule, "Cybergrooming", also einem Heranmachen an Kinder, oder "Sexting", Missbrauch erotischer Fotos, konfrontiert.

Hassrede gefährdet Meinungsfreiheit

Hassreden werden gefährlich für unsere Gesellschaft, spätestens dann, wenn die Hetze des einen die Meinungsfreiheit des anderen einschränkt. Die vergiftete Diskussion kann dazu führen, dass Menschen sich aus Angst vor den hasserfüllten Reaktionen anderer nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern, Medienredaktionen ganze Themenblöcke meiden, weil sie sich der unzivilisierten Debatte nicht gewachsen fühlen.

Der Kampf gegen Hassreden ist also auch ein Kampf für die Meinungsfreiheit.

Die Tatsache, dass die Internetdienste besser über einen Bescheid wissen, als man selbst über sich weiß, jedenfalls als man sich bewusst macht, kann nicht nur für Werbezwecke ausgebeutet werden, die Möglichkeit zur personalisierten Zielgruppenansprache, kann auch für Propaganda, bis hin zu Wahlmanipulationen missbraucht werden.

Das Internet kann so zu einem Einfallstor für Manipulatoren und für Meinungsbeeinflusser werden.

Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache, ist etwa der relativ preiswerte Kauf von "Likes" auf Facebook.

Zu den Meinungsmachern zählen auch "Trolle" – also problematische einzelne Netzteilnehmer oder ganze Trollfabriken, die sich in Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und provozieren, Wut und Hass schüren oder in eine bestimmte (politische) Richtung zu lenken versuchen.

Es gibt auch automatisierte "Trolls", also künstliche Identitäten, Robots, die in Netzwerken wie Twitter oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vortäuschen. "Robots" oder kurz "Bots" können durch ihre schiere Masse gesellschaftliche Debatten beeinflussen, sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik in München.

Übereinstimmende Studien zeigen, dass sich Fake News weiter, schneller, intensiver und breiter verbreiten denn als wahr klassifizierte Informationen. Hinzu kommt: Falschmeldungen werden doppelt so häufig geteilt und haben eine um 70 Prozent größere Chance der Verbreitung als normale Nachrichten.

Diesen Verbreitungseffekt nutzen natürlich auch die sozialen Netzwerke für sich selbst, denn die "Währung" des Internets ist die Aufmerksamkeit - sie bringt Klickzahlen und Verweildauer und damit auch Werbeeinnahmen.

Es geht um "Nutzertracking" und um "Klickökonomie", um die profitgetriebene Erzielung von Aufmerksamkeit sowie um Bindung an den jeweiligen Dienst, um möglichst effektiv personalisierte Werbung zu vermarkten. So verdienen diese Unternehmen ihre Milliarden.

Im Wettstreit um Aufmerksamkeit müssen sich die Einträge an sprachlicher Härte, an skandalisierendem Ton und auch an Aggressivität überbieten. Klassische journalistische Tugenden sind dem "Clickbaiting" eher abträglich. Wut klickt gut. Hass bringt Klickzahlen. So werden soziale Medien zu asozialen Medien.

Politische Rechte hat soziale Medien verstanden

Gerade Rechtspopulisten beherrschen dieses Spiel mit der Wut gekonnt. Sie liefern, was der Algorithmus belohnt.

Die AfD oder andere rechte Bewegungen wie die Lega Nord in Italien nutzen solche "Infodemie"-Effekte für ihre politische Propaganda. Bei den Social-Media-Abrufen liegen die AfD und deren Politiker:innen mit weitem Abstand vor den anderen Parteien.

Es gibt begründete Annahmen, die sagen, der Aufstieg der AfD als Partei wäre ohne das Medium Internet nicht so rasch erfolgt.

Der frühere US-Präsident Donald Trump sagte selbst, er verdankte seinen damaligen Wahlerfolg Facebook und Twitter und er bewies mit seinen nahezu täglichen Kurznachrichten, wie sehr die klassischen Medien und Journalismus geradezu an die Wand gedrängt werden können.

Aufgrund von Vorwürfen, die sozialen Netzwerke würden zu wenig gegen rechtsextreme Gruppen oder gegen Aufrufe zur Gewalt unternehmen, sahen sich Facebook und andere Online-Plattformen Boykotten etlicher Werbekunden gegenüber - darunter Großkonzerne wie Coca Cola oder Honda.3

Während Twitter schon seit einiger Zeit Maßnahmen gegen Falschnachrichten ergriffen hat, lenkte nun auch Facebook ein. So wird es etwa Facebook nicht mehr dulden, dass Nutzer die Shoa leugnen oder verharmlosen.

Telegram entzieht sich bisher solcher betriebsinternen und auch jeglicher staatlicher Regulierung. So organisieren sich Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen, aber auch rechtsextremes, antisemitisches und verschwörungsgläubiges Gedankengut inzwischen mehr und mehr auf diesem Messengerdienst.

Wolfgang Lieb studierte an der FU Berlin und an den Universitäten Bonn und Köln Rechtswissenschaften und Politik. Nach dem Staatsexamen und einer Promotion im Medienrecht war er Wissenschaftlicher Assistent an der neu gegründeten Gesamthochschule Essen und später an der Universität Bielefeld. Danach arbeitet er in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes in Bonn unter Kanzler Helmut Schmidt. Mit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl wechselte er in die Landesvertretung NRW. Unter Johannes Rau war er neun Jahre Regierungssprecher und später Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium.

Seit seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst ist er politischer Blogger der ersten Stunde und freier Autor

Diesem Text liegt ein Referat auf der Sommertagung des Wirtschaftsgilde - Evangelischer Arbeitskreis für Wirtschaftsethik und Sozialgestaltung - in Oberstdorf am 2. Juli 2021 zugrunde. Der Beitrag erscheint auch beim Blog der Republik.

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