WHO-Pandemievertrag: Ein Angriff auf die staatliche Souveränität?
Fürsprecher zeigen Vorbehalte gegen unabhängige Entscheidungen. Ex-Bundespräsident Horst Köhler betritt die Bühne. (Teil 2)
Speziell hallt aus der Rede die Vorstellung vom WHO-Vertragswerk als Teil einer Reform der "politischen Ökonomie der Gesundheitspolitik" wider, wie sie sich das Global Health Programme des traditionsreichen Thinktanks Chatham House (vormals Royal Institute of International Affairs) zum Ziel gesetzt hat (vgl. Beitrag zum WHO-Konzept "One Health").
Das Global Health Programme will nach eigener Aussage außerdem dazu beitragen, "die gesundheitsbezogenen Ziele der Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen beschleunigen". Und das wollen auch prominente Unterzeichner des oben erwähnten Beitrags von Project Syndicate. Einer von ihnen ist der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler.
Der 79-jährige Christdemokrat blickt auf eine eindrucksvolle Karriere in der internationalen Politik zurück und prägte in entscheidender Weise die Ziele, die später unter dem Namen Agenda 2030 Gestalt annehmen sollten. Im Folgenden seien nur die wichtigsten Stationen genannt.
Der Mann, den "die Amerikaner nicht ablehnen können"
Köhler war von 1990 bis 1993 als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium maßgeblich an den Aushandlungen der Verträge von Maastricht beteiligt. Von 1998 bis 2000 leitete Köhler die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Bevor er im Jahr 2004 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, bekleidete Köhler ab 2000 das Amt des geschäftsführenden Direktors des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Für den Posten vorgeschlagen hatte ihn der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), nachdem dessen erste Wahl auf Caio Koch-Weser gefallen war, der sich als geschäftsführender Direktor der Weltbank seine Sporen verdient hatte und später als Berater für eben das Chatham House tätig war, das nun auch die internationalen Gesundheitsziele der UN "beschleunigen" wollte.
Doch, wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 2010 in einem Zeit-Interview verriet, lehnten "die Amerikaner" Koch-Weser ab. Schmidt riet Schröder daraufhin zu Köhler, weil er sich sicher gewesen sei, dass die USA ihn "nicht ablehnen können".
Reaktion auf scharfe antikapitalistische Proteste
In Reaktion auf die scharfen antikapitalistischen Proteste gegen Weltbank und IWF um die Jahrtausendwende traf Köhler Vorbereitungen für einen bis heute geforderten Schuldenschnitt für die sogenannten Entwicklungsländer. Eine Randnotiz: Im Rahmen dieses Vorhabens empfing Köhler den späteren Autoren des oben genannten Artikels von Project Syndicate, Gordon Brown, damals Schatzkanzler im Kabinett von Tony Blair.
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Sozialistische Kritiker werfen Köhler allerdings vor, dass seine angekündigten Reformvorschläge das Gegenteil von dem bewirkt hätten, was sie versprachen.
Im August wird Köhler Mitglied im "High Level Panel of Eminent Persons on the Post-2015 Development Agenda", das sich, so zitiert Köhler in einer Rede von 2014, für die Formulierung von "kühnen und zugleich praktikablen" Zielen der Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2030 einsetzen sollte.
Vorbehalte gegen den Nationalstaat
Zu verdanken hat er die Berufung in das hochrangige Gremium einem späteren Bekannten, der sich auch auf der Liste der Unterzeichner des Project Syndicate-Beitrags findet: dem damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.
Das Panel erarbeitet im Anschluss an die "Millennium-Entwicklungsziele" von 2001 insgesamt 12 Ziele für nachhaltige Entwicklung, um die "systemischen Ursachen von Armut und Umweltzerstörung" zu bekämpfen. Ebenso strebt das Panel einen "Paradigmenwechsel in der internationalen Politik" an, "der eine Antwort ermöglicht auf die unwiderrufliche Interdependenz allen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Geschehens auf unserem Planeten", wie Köhler sich später erinnert:
Das Panel hat dafür den Begriff "globale Partnerschaft" geprägt und meint damit einen neuen Geist der Solidarität, der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen und der gegenseitigen Rechenschaftspflicht in der internationalen Politik. Das heißt: Nationale Politik muss bewusst auch unter Berücksichtigung des globalen Gemeinwohls gestaltet werden.
Horst Köhler: Rede zum Deutschen Nachhaltigkeitstag 2014
Nationale Politik mit Rücksicht auf das globale Gemeinwohl gestalten
Bei einer Festrede vor der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen (DGVN) ein Jahr später schließt Köhler an diese Darstellung des Nationalstaats als Hindernis für eine befriedete Weltgemeinschaft an, und lässt dabei zugleich auch sein Bedauern über eine nicht etablierte Weltregierung in Gestalt der UN anklingen:
Die Idee absoluter nationalstaatlicher Souveränität war angesichts der gewaltsamen Übergriffe von Staaten untereinander eine mächtige, im evidenten Eigeninteresse aller liegende Idee. … Ich betone das, weil man sich bei allem weltbürgerlichen Optimismus immer wieder daran erinnern muss, dass die Idee einer Weltregierung, die den Nationalstaaten übergeordnet ist, auf absehbare Zeit nicht wirklich mehrheitsfähig ist.
Horst Köhler: Rede auf dem Festakt der DGVN zum 70-jährigen UN-Jubiläum
Weiter bemüht Köhler ein Argument, das nicht nur im Kontext der Coronakrise vielfach genutzt wurde, und in seiner reduktionistischen Form schwer zu bestreiten ist:
Der wichtigste limitierende Faktor für die traditionelle Vorstellung von Souveränität ist … die Realität der Interdependenz und damit die Tatsache, dass es eine Menge von globalen Herausforderungen gibt, die sich um Staatsgrenzen nicht scheren: Terrorismus, Ebola, Klimawandel, Migration…die Liste ist lang. All diese Themen rufen nach einer global governance, deren Ziel sich nicht mehr darauf beschränkt sicherzustellen, dass die nationalstaatlichen Boote nicht miteinander kollidieren, sondern welche die Weltpolitik in dem einen Boot koordiniert, in dem alle Völker längst sitzen. … Hier kommen wir wieder am Ausgangspunkt unserer Überlegungen an: wie kann die VN dieses globale Gemeinwohl verteidigen, wenn sie in ihrer Autorität doch von der Ermächtigung der Nationalstaaten abhängig ist?
Horst Köhler: Rede auf dem Festakt der DGVN zum 70-jährigen UN-Jubiläum
Modus der Selbstbeschränkung
Die "alternativlose" Lösung, die Köhler für diese "Interdependenz" (ein Begriff, der später im Text wieder auftauchen wird) anbietet, ist ein Multilateralismus im Modus der Selbstbeschränkung: "Dies betrifft insbesondere die mächtigen Staaten, die nicht alles tun dürfen, was sie tun können." Für Köhler ist diese Forderung eng verbunden mit einer Absenkung des Lebensstandards in den Industrieländern:
Es geht um die Frage, ob wir möglicherweise Lebensqualität dadurch gewinnen können, dass wir unser Glück weniger von materiellen Dingen abhängig machen und indem wir dem Hamsterrad der fortwährenden Konsumsteigerung entkommen. … Wenn der Multilateralismus versagt, wird am Ende die Menschheit versagen. Der existenzbedrohende Klimawandel ist nur ein Bote dafür.
Horst Köhler: Rede auf dem Festakt der DGVN zum 70-jährigen UN-Jubiläum
Das nimmt in interessanter Weise Forderungen vorweg, wie sie später etwa auch vom Weltwirtschaftsforum in Bezug auf Bhutan und sein Konzept des "Bruttonationalglücks" gestellt werden (vgl. etwa den Telepolis-Bericht zur "Rückkehr des Verzichts").
Bei aller gebotenen Skepsis kann man Köhler jedoch nicht den Vorwurf machen, dass er die Augen vor den Problemen eines "missbrauchten" Multilateralismus verschließt:
Die größte Bedrohung für universelle Normen geht nicht von jenen aus, die ihre Existenz grundsätzlich in Zweifel ziehen, sondern von jenen, die sie lautstark unterstreichen, dann aber anders handeln.
Horst Köhler: Rede auf dem Festakt der DGVN zum 70-jährigen UN-Jubiläum
Die Frage ist: Wie soll man diese essenzielle Unterscheidung treffen?
Köhler und die Trilaterale Kommission
Der extensive und zum Teil gut recherchierte Artikel über Horst Köhler bei der "freien Online-Enzyklopädie" Wikipedia, die oft als Sinnbild des vernetzten Multilateralismus zum Wohle aller herangezogen wird, findet sich kein Hinweis auf Köhlers mutmaßliche Mitgliedschaft in der Trilateralen Kommission, einer enorm einflussreichen US-amerikanischen Denkfabrik, der zumindest zeitweise auch der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger und CDU-Fraktionschef Friedrich Merz angehörten. Dieser findet sich lediglich im deutschen Wikipediaeintrag zur Kommission selbst.
Die im Internet auffindbaren Beweise für Köhlers Mitgliedschaft sind insgesamt dürftig und erschöpfen sich in wenigen kontextlos veröffentlichten Dokumente, mit Ähnlichkeiten zu späteren Originaldokumenten. Köhlers Mitgliedschaft im Club of Rome und im Club de Madrid, der sich ebenfalls lautstark für den Pandemievertrag ausspricht, stehen allerdings außer Zweifel.
Unabhängig davon erkennt man in Köhlers Reden zahlreiche Topoi der Trilateralen Kommission wieder. Das wird in den folgenden Abschnitten deutlich werden.
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