WM 2022 in Katar: größer, teurer, blutiger

Seite 3: Demokratische Fußballtradition in Norwegen

Einige Wochen nach der Klub-WM rief mit dem norwegischen Zweitligisten Tromsö IL erstmals ein europäischer Profiklub zum Boykott der WM 2022 auf. Weitere Klubs des Landes schlossen sich dem an, so unter anderem der Rekordmeister Rosenborg Trondheim. Bei einer virtuellen Mitgliederversammlung votierten 202 der 256 Stimmberechtigten für den Verzicht auf die Teilnahme.

Der norwegische Fußball ist sehr demokratisch organisiert. Die Vereine gehören den Mitgliedern und sind dazu verpflichtet, diese einmal jährlich über die Vereinspolitik und mögliche Änderungen ihrer Satzung abstimmen zu lassen. Jedes Mitglied ab 15 Jahren ist abstimmungsberechtigt. Am 14. März beschloss die Generalversammlung des norwegischen Verbands, am 20. Juni eine außerordentliche Mitgliederversammlung abzuhalten. Einziges Thema ist ein möglicher Boykott der WM.

Am 24. März startete Norwegen mit einem 3:0-Sieg über Gibraltar in die Qualifikation für die WM in Katar. Auf den Shirts forderten die Spieler "Menschenrechte auf und neben dem Platz."

Einen Tag später stieg auch DFB-Elf in die Qualifikation und den Protest ein. Als Manuel Neuer und Co. in Duisburg Island empfingen, zogen die elf Spieler, die Joachim Löw in die Startelf beordert hatte, kurz nach der Hymne ihre Trainingsjacken aus und präsentierten jeweils einen großen Buchstaben auf ihrem Shirt darunter. Diese Buchstaben ergaben den Begriff "Human Rights", Menschenrechte also.

Wenige Tage später spielten die Norweger gegen die Türkei und wiederholten ihre Aktion. Nun mit einer zusätzlichen Botschaft. Unter "Menschenrechte auf und neben dem Platz" standen noch die Worte "Norwegen" und "Deutschland" - hinter diesen war ein Haken zu sehen, darunter stand: "Wer als Nächstes?"

Die Nächsten waren die Niederländer, die gegen Lettland mit dem Slogan "Football Supports Change" ("Fußball unterstützt Wandel") aufliefen. In einer begleitenden Erklärung hieß es: "Der Fußball sollte den Wandel unterstützen. Auch in Katar. In Katar wollen wir Weltmeister werden, aber nicht, ohne über den Tellerrand zu schauen." Der niederländische Fußballverband erklärte, er sei schon 2010 gegen eine WM in Katar gewesen - anders als der DFB.

Dass die deutschen Nationalspieler das Kind - also: Katar - nicht beim Namen nannten, stieß vielfach auf Kritik. Jan Göbel kommentierte auf Spiegel online: "Die Aktion war so vorsichtig wie möglich. Sie nahm zunächst überhaupt keinen Bezug auf den nächsten WM-Gastgeber. Von Katar selbst war zumindest auf den T-Shirts nichts zu lesen. Der Rahmen war festgelegt, kein Wort zu viel, nur das Nötigste."

In einigen Kommentaren - vorwiegend in den sozialen Medien - wurde den Spielern eine mangelhafte Glaubwürdigkeit unterstellt. Auch wenn der Verdacht nahe liegt, dass ihnen "von oben" Zurückhaltung souffliert wurde: Die Prügel, die die Spieler einsteckten, waren zu heftig. Problematisch war auch, dass man außer einer Unterstützung der Boykott-Forderung nichts gelten ließ: dass das Verhalten der Spieler allein daran gemessen wurde, ob sie diese unterstützten oder nicht.

Verglichen mit der Performance, die die deutsche Nationalmannschaft vor der WM 1978 abgeliefert hatte, als das Turnier im von einer brutalen Militärjunta regierten Argentinien stattfand, war ihre Aktion eine eindeutige Verbesserung. Manchmal bediente die Kritik auch das alte Klischee vom unmündigen und an gesellschaftspolitischen Problemen desinteressierten Kicker. Und war damit aus der Zeit gefallen. Wohl noch nie war die Zahl gesellschaftspolitisch interessierter Profis so groß wie heute.

Vielleicht schwerste Entscheidung einer Spielerkarriere

Aber dass es einem 25-Jährigen schwer fällt, den Boykott einer WM zu fordern, Höhepunkt einer Spielerkarriere und vielleicht die einzige, die er mitmachen kann, ist nachvollziehbar. Die Performance der Spieler ist bislang zumindest besser als die vieler Funktionäre.

Kritik gab es aber auch von einer ganz anderen Seite: Der Fifa gefiel die Aktion der drei Nationalteams überhaupt nicht. Der Anti-Korruptions-Expertin und langjährige Sportfunktionärin Sylvia Schenk ging bereits das sehr allgemein gehaltene öffentliche Bekenntnis der Nationalspieler zu den Menschenrechten viel zu weit: "Eigentlich dachte ich, beim DFB wüssten sie es besser", sagte sie vor wenigen Tagen dem Spiegel. "Es sollte doch wohl um die Migrantenarbeiter auf den Baustellen Katars gehen. Da gibt es keinen Grund für Protest. Dies sollte auch dem Deutschen Fußballbund bekannt sein." Die "restlichen" Menschenrechtsverletzungen in Katar ließ Schenk unerwähnt.

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