Waffenexporte in Spannungsgebiete: "How dare you?!"

Seite 4: Lösungsperspektiven

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Weltweit wird gegen die internationalen und nationalen Selbstverpflichtungen gegen Waffenexporte in Spannungsgebiete verstoßen. Staaten der Europäischen Union und dort insbesondere Deutschland bilden hier keine Ausnahme - im Gegenteil: Sie sind führende Waffenexporteure und schrecken auch nachweisbar nicht vor der Waffenlieferung in Spannungsgebiete zurück.

Es lässt sich daher im Sinne des eingangs erwähnten Adorno-Zitats ein moralisches Hinterherhinken bei Unternehmensführungen und genehmigenden Institutionen sowie Personen feststellen, wodurch eine Verschärfung der rechtlichen Regelungen notwendig wird. Waffenexporte in Spannungsgebiete sind gesellschaftliche Brandbeschleuniger, die mit keinerlei Argumentation moralisch begründbar sind.

Die Greenpeace-Studie zur deutschen Rüstungsexportpolitik bringt die Verfassungswidrigkeit eines solchen Regierungsverhaltens für Deutschland auf den Punkt:

Trotz des prinzipiellen Friedensgebots im Grundgesetz in Artikel 26 Abs. 1 exportiert Deutschland Kriegswaffen und Rüstungsgüter an umstrittene Drittstaaten. Rüstungsexporte an Drittstaaten aus Deutschland sind zum Regelfall geworden - in den vergangenen zehn Jahren gingen wiederholt bis zu 60 Prozent deutscher Kriegswaffen und Rüstungsgüter an Drittstaaten.

Greenpeace

Drehtüreffekte

Dieses Phänomen lässt sich u.a. mit einem "System offener Drehtüren" erklären, bei dem ehemalige Entscheider im politischen System, insbesondere ehemalige Mitglieder des Bundesssicherheitsrats, in die Rüstungsindustrie wechseln sowie ehemalige hochrangige Offiziere in die Rüstungsindustrie.

Dirk Niebel (FDP), Beratertätigkeit für Rheinmetall, der Wechsel von Franz Josef Jung (CDU) in den Aufsichtsrat von Rheinmetall oder die Ernennung des ehemaligen Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium, Georg Wilhelm Adamowitsch (SPD), zum langjährigen Hauptgeschäftsführer des hauptsächlich mit Lobbyismus befassten Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sind Beispiele dieses verhängnisvollen Drehtüreffekts.15

Ein weiteres prominentes Beispiel ist der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr (2000-2002) der frühere Luftwaffengeneral Harald Kujat. Er war nach seiner Zeit als höchstrangiger deutscher Soldat und Bindeglied zwischen Bundeswehr und Bundesregierung Vorsitzender des NATO-Militärausschusses (2002-2005). Er wurde 2019 Aufsichtsratsvorsitzender des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch.16 Zur Erinnerung: Heckler & Koch waren es, die illegalerweise 5000 G36-Sturmgewehre in den von einem Embargo versehenen Bezirk Mexikos (Guerrero) geliefert hatten. Mit diesen Waffen wurden dann u.a. 2014 die Lehramtsstudenten ermordet, die auf dem Weg zu einer Demonstration gegen die Verschmelzung von mexikanischer Politik und organisierter Kriminalität waren.17

Heckler & Koch ist inzwischen hierfür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. 18 Das "System offener Drehtüren" ist Ausdruck des militärisch-ökonomischen(-politischen) Komplexes, vor dem einst Eisenhower warnte. Diesem System der Lobbytätigkeit ehemaliger hochrangiger Politiker für die Rüstungsindustrie, der möglicherweise damit verbundenen ungenügenden Endverbleibskontrollen exportierter Waffen sowie dem Verweis auf Bündnisverpflichtungen ist es u.a. zu verdanken, dass trotz in ihrem Kern eindeutiger nationaler und internationaler Regelungen deutsche Waffen in einem großen Umfang in Spannungsgebiete gelangen.

Strategien der Vermeidung von Exportkontrollen

Hierbei werden verschiedene Strategien von Seiten der Rüstungsindustrie eingesetzt:

• Lobbytätigkeit, formale Beantragung des Waffenexports und Versuch hierdurch eine Genehmigung durch das Bundeswirtschaftsministerium bzw. im Bundessicherheitsrat zu erhalten

Bei einem Misserfolg im offiziellen Genehmigungsverfahren:

• Auslagerung der Produktion in Staaten, die gelockerte Exportrichtlinien haben;
• Umgehung der Exportauflagen über eine Lieferung in andere Länder der EU, der NATO oder in die der NATO-Mitgliedschaft gleichgestellte Staaten, die dann in das Spannungsgebiet liefern;
• Aufbau von Waffenfabriken direkt im Spannungsgebiet als Joint-Ventures, um Waffenexportbeschränkungen zu umgehen;
• Auslieferung von einzelnen Teilen, die im Zielland zusammengesetzt werden,
• Lieferung von dual einsetzbaren Gütern in Spannungsgebiete, z.B. Lieferung von Militär-LKW’s, auf die dann Lafetten mit Maschinengewehren zur Aufstandsbekämpfung montiert werden oder von Schnellbooten, die dann vor Ort mit MGs ausgerüstet werden, um Hafenembargos durchzusetzen.

Die Greenpeace-Studie bestätigt noch einmal zusammenfassend die Internationalisierungsstrategie der Rüstungsindustrie am Beispiel des Rüstungskonzerns Rheinmetall mit dem Blick auf die Bedeutung der Produktion und Lieferung von Munition:

Munition spielt aber nicht nur für die Funktionsfähigkeit von Klein- und Leichtwaffen eine Rolle, sondern auch als ein breites Spektrum für Land-, See- und Luftstreitkräfte beispielsweise in Form von Munition für Panzer, Haubitzen, Artilleriewaffen oder als Schiffsgeschütze. Gerade am Thema der Munitionsproduktion lässt sich ein weiteres Muster deutscher Rüstungsexportpolitik erkennen, nämlich die Inkaufnahme eines Trends zur Internationalisierung deutscher Rüstungsunternehmen. Joint-Ventures wie das der Firma Rheinmetall in Südafrika, die mit der Übernahme von Denel einen neuen Standort gründete, zielen auch darauf ab, die konflikt- und spannungsträchtigen Länder der MENA-Region, Lateinamerikas und Süd(ost)asiens mit Munition zu versorgen.

Greenpeace

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.