Waffenstillstand in Gaza: Zwischen Hoffnung und Drohungen
Israel und die Hamas stehen vor einem Wendepunkt. In Doha wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Doch Israels Hardliner drohen bereits mit dem Ende der Regierung.
Donald Trump brüstete sich damit, den festgefahrenen Ukraine-Konflikt innerhalb von 24 Stunden lösen zu können. Wie von Zauberhand scheint seine bevorstehende Amtseinführung (am 20. Januar) auch auf andere Konfliktherde der Welt zu wirken.
Wendepunkt im Nahen Osten?
Der noch nicht im Amt befindliche Milliardär-President-elect sorgt sich um den möglichen nächsten Wendepunkt im Nahen Osten. Ein Frieden zwischen Hamas und Israel, erstmals nach dem 7. Oktober 2023.
Sein Mann bei den Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt Doha ist Steve Witkoff. Der designierte Beauftragte für den Nahen und Mittleren Osten ist bereits inoffiziell-offiziell im Amt.
Witkoff traf am Samstag zu Konsultationen in Doha ein, viel wichtiger dürfte aber seine Stippvisite in Tel-Aviv gewesen sein. Wie die Berliner Zeitung berichtet, konnte der US-Anwalt und Immobilienmogul in einem einzigen Gespräch mehr erreichen als die Biden-Administration in Jahren.
Wie es aus Verhandlungskreisen heißt, haben sich Israel und die Hamas auf einen dreistufigen Waffenstillstand geeinigt. Katar hat dies bestätigt.
In den 15 Monaten der neuerlichen Eskalation des jahrzehntealten Nahostkonflikts gab es immer wieder angeblich erfolgreiche Verhandlungen, Gespräche und Hoffnungen auf Frieden. Itamar Ben-Gvir , rechtsextremer Minister in Netanjahus ultrareaktionärem Kabinett, brüstet sich öffentlich damit, diese Bemühungen mehrfach torpediert zu haben.
Es scheint klar zu sein, dass diese Verhandlungen gewaltige Implikationen haben, der Krieg endlich beendet werden könnte und verschiedenste Interessen diskutiert werden müssen. Der Reihe nach...
Ein möglicher Deal und seine Gegner
Was genau soll im Rahmen des Abkommens geschehen? Wo liegen die Knack- und Streitpunkte? Laut WDR geht der Gesprächsvorschlag auf die Biden-Administration zurück.
In einem dreistufigen Verfahren soll Ruhe an einer der vielen Fronten des US-Imperialismus und seiner zionistischen Freunde einkehren. In einem ersten Schritt sollen palästinensische Gefangene gegen 33 israelische Gefangene aus dem Gazastreifen ausgetauscht werden.
Die Zahl der palästinensischen Gefangenen in den Gefängnissen der israelischen Besatzungsmacht ist seit Beginn des Krieges rapide angestiegen. Ihre Zahl wird auf mehrere Tausend geschätzt, es sollen bis zu 1000 Personen aus israelischer Haft entlassen werden. Außerdem soll eine 42-tägige Waffenruhe im Gaza-Streifen einkehren.
In einer zweiten Phase sollen die IDF-Truppen den Gazastreifen verlassen und das Rückkehrrecht der vertriebenen arabischen Bevölkerung umgesetzt werden. Dies scheint zudem die Grundlage für weitere Verhandlungen zu sein, insbesondere gegen den Abzug des Militärs regt sich in politischen Kreisen Israels massiver Widerstand.
Ab dem 16. Tag könne über einen Abzug verhandelt werden, sofern der Waffenstillstand nicht gebrochen werde.
Ben Gvir kündigte an, die Regierungskoalition platzen zu lassen und rief dazu auch seinen Bruder im Geiste, Bezalel Smotrich, auf. Als Sahnehäubchen auf den Widerstand gegen das mögliche Abkommen lässt sich Ben-Gvir mit dem Satz abdrucken der Deal sei "eine Kapitulation Israels vor der Hamas".
In einer dritten und letzten Phase soll es laut Medienberichten um den Wiederaufbau des fast vollständig zerstörten Gazastreifens gehen. 70 Prozent aller Häuser waren bereits 2023 zerstört, die medizinische Infrastruktur am Rande des Zusammenbruchs.
Das Morden geht weiter
Wer erwartet hatte, dass die Verhandlungen die Mordmaschinerie zumindest bremsen oder ganz zum Stillstand bringen könnten, sieht sich getäuscht. Während die Gespräche liefen, griff die israelische Luftwaffe Dutzende Ziele im Gazastreifen an.
Nach ZDF-Informationen fielen kurz vor Toresschluss 36 Menschen dem Bombenterror zum Opfer, innerhalb von 24 Stunden seien mehr als 50 Ziele angegriffen worden.
Noch schlimmer ist die Lage der Bevölkerung, die auf Hilfe wartet. Seit Monaten blockiert oder behindert Israel den Zugang von humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen.
Mindestens hunderte, wenn nicht tausende LKWs warten an den Grenzen auf Einlass: offenbar auch als Druckmittel in den Verhandlungen. Ein Ende der Kampfhandlungen könnte ihre Durchfahrt bedeuten. Israel rühmt sich, zwischen dem 7. Oktober 2023 und Februar 2024 rund 11.000 LKWs in den Gazastreifen gelassen zu haben.
Das sind mehr als 90 LKWs pro Tag, das klingt nach einer stabilen Zahl. Erschreckend wird es, wenn man sich vor Augen führt, dass vor dem 7. Oktober täglich rund 500 LKWs den Gazastreifen mit Hilfsgütern belieferten.
Es bleibt festzuhalten, dass das Morden mit Hunger und Bomben auch während der scheinbar prosperierenden Verhandlungen weitergeht. Ein Armutszeugnis in einer angeblich wertebasierten, zivilisierten Welt.
Maximaler Frieden?
In einer ersten Analyse lässt sich sagen, dass beide Seiten von ihren Maximalzielen abgerückt zu sein scheinen. Israel kann die Hamas nicht in einem Häuserkampf vernichten, wie es immer wieder als oberste Maxime kolportiert wurde.
Der Preis wären tausende verstümmelte oder getötete IDF-Freiwillige, ein unkalkulierbares innenpolitisches Risiko für eine mit Widerstand konfrontierte Netanjahu-Koalition.
Auch die Hamas musste Zugeständnisse machen. Ein Waffenstillstand nur bei sofortiger Beendigung des Krieges blieb illusorisch. Ganz zu schweigen von einem palästinensischen Nationalstaat, einer Rückkehr in die Gebiete von 1967 oder einem Ende des Siedlungsbaus in der Westbank.
Selten seit dem 15. Oktober war der Zeitpunkt für ein Ende so günstig wie jetzt. Die geopolitische Landkarte hat sich massiv zugunsten Israels verschoben. Assad im Exil, die Hamas geschwächt, die Hisbollah in der Defensive (und im innerlibanesischen Chaos), der Iran zur Defensive verurteilt: Israel ist der neue Stern am geopolitischen Himmel zwischen Golf und Meer.
Aber da ist noch mehr: Wie die niederländische Zeitung De Volkskrant berichtet, würde ohne Frieden ab dem "20. Januar die Hölle losbrechen". Diese Worte stammen von Donald Trump.
Auch wenn der Immobilienmogul in seiner ersten Amtszeit keinen Krieg vom Zaun gebrochen hat, steht er unmissverständlich für eine neokonservative Falkenpolitik mit bedingungsloser Unterstützung Israels. Sein geschäftstüchtiger Sohn plant neue Investitionen auf palästinensischem Gebiet und die Botschaft wurde bereits symbolisch nach Tel Aviv verlegt.
Eine andere Tatsache betrifft Israel. Kriege kosten Geld, viel Geld. Wie die chinesische Staatszeitung Guangming Ribao berichtet, könnte auch wirtschaftlicher Druck Netanjahu zum Frieden bewogen haben. Die Ratingagentur S&P hatte die Kreditwürdigkeit deutlich herabgestuft, im vergangenen Jahr gleich zweimal.
Neutraler Vermittler USA?
Offiziell wird in Doha verhandelt. Das ist spannend: Einerseits beherbergt Doha traditionell Verbindungsbüros radikal-islamischer halbstaatlicher Akteure (wie der Hamas und früher der Taliban), andererseits ist das Golfemirat Standort der größten US-Militärbasis in der Region.
Katar ist der unsinkbare Flugzeugträger für alle Einsätze gegen den Iran und die gegnerischen Akteure in der Region. Das lässt den Geruch einer US-Einmischung in die Verhandlungen virulent werden.
Vor dem Hintergrund des Machtwechsels im Weißen Haus sind die US-Eliten an Frieden interessiert. In der vorausschauenden US-Strategie ist der Nahe Osten erledigt und muss befriedet werden. Der Fokus liegt eindeutig auf den wirtschaftlichen und in naher Zukunft zwangsläufig auch militärischen Auseinandersetzungen mit China.
Berater Witkoff und Donald Trump als spiritus rector sorgen für einen US-vorteilhaften Deal. Wie lange dieser angesichts hunderter ungelöster Fragen, angesichts des zionistischen Expansionismus, angesichts der realen Existenzbedrohung der palästinensischen Gemeinschaft halten kann, steht über Gaza in den Sternen.