Waffenverbotszone in Leipzig

Seite 3: c) Wirre Ausnahmen von der Waffen- und Gefährlichegegenständeverbotszone

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In den beiden hier gegenständlichen Verordnungen zum Schutz vor Waffen und gefährlichen Gegenständen sind selbstverständlich Ausnahmen geregelt, die jedoch eher Fragen aufwerfen, als die Anwendung der Verbotszone zu erleichtern.

So ergeben sich aus der Tatsache, dass der die Verbotszone umfassende räumliche Bereich Wohngebiete, Einkaufs- und Geschäftsstraßen sowie Gewerbe-, Handwerks- und Gaststättenbetriebe einschließt, erhebliche Anforderungen aufgrund der vielfältigen Lebenssachverhalte. So muss es beispielsweise für Anwohner und Geschäftsinhaber weiterhin möglich sein, Messer zu kaufen, zu verkaufen und in die Wohnung oder den Betrieb zu transportieren.

Als Lösungsansatz findet sich in den Verordnungen folgende Regelung: Ausgenommen vom Verbot ist "der Transport von Waffen [und gefährlichen Gegenständen] in verschlossenen Behältnissen oder Verpackungen, die einen unmittelbaren Zugriff verhindern" (Verordnung zur Waffenverbotszone § 3 Abs. 2 und Verordnung zum Verbot gefährlicher Gegenstände § 3 Abs. 2). Als verschlossen betrachtet die Sächsische Staatsregierung Behältnisse dann, wenn sie "mit einem Zahlen- oder Vorhängeschloss versehen" sind. Gegenstände gelten dann nicht als zugriffsbereit, "wenn sie nicht innerhalb von drei Sekunden und mit weniger als drei Handgriffen unmittelbar in Anschlag gebracht werden können" (Landtagsdrucksache 6/15153). Wann drei und wann vier Sekunden notwendig sind, kann natürlich "nur im konkreten Einzelfall vor Ort geklärt werden" (vgl. ebenda) und obliegt somit im hohen Maße der Interpretation und dem Wohlwollen der kontrollierenden Polizeibeamtinnen und -beamten.

In und rund um die Leipziger Eisenbahnstraße und somit mitten in der Waffenverbotszone finden sich zahlreiche gastronomische Einrichtungen mit Freisitzen. Auch erfordern die Lebenssachverhalte, dass auch weiterhin Speisen unter Zuhilfenahme von Messer und Gabel zu sich genommen werden können. Deshalb regelt § 3 Abs. 1 Nr. 4 der Verordnung zum Verbot von gefährlichen Gegenständen: "Die Verwendung von Messern im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 4 im Rahmen eines gastronomischen Betriebs in dem in § 1 beschriebenem Gebiet".

Da allerdings weder geregelt ist, welche Arten von Messern gemeint sind, solange sie im Rahmen eines gastronomischen Betriebs verwendet werden, und in wessen Eigentum (im Eigentum des gastronomischen Betriebs unabhängig von der momentanen Verfügungsgewalt durch den Kunden) sie sich befinden müssen (vgl. Landtagsdrucksache 6/15248), ist es de facto möglich für Personen, die ein Messer mit sich führen, der Verfolgung eines Verstoßes gegen die Verbotszone zu entgehen, indem sie sich vor einer Kontrolle in einen gastronomischen Freisitz begeben respektive fliehen. Die Aussichten, sich mittels dieses "Tricks" der Verfolgung zu entziehen, ist erneut von der individuellen Einschätzung und Bereitschaft der Polizeibediensteten und den juristischen Ressourcen der Betroffenen abhängig.

Eine weitere Regelung der Gefährlichegegenständeverbotszone mit Bezug zur Gastronomie ist noch eindeutiger lebensfremd. Demnach ist Plastikbesteck vom Verbot des Mitführens von Messern nicht ausgenommen (vgl. Landtagsdrucksache 6/15248). Der Transport von Plastikeinwegmessern, wie sie bei nahezu jedem Imbissbetrieb bei Speisen mitgegeben werden und die in der Regel zusammen mit den Speisen in dünnen Plastiktüten transportiert werden, stellt somit einen Verstoß gegen die Verbotszone dar und kann mit einem Bußgeld geahndet werden. Zwar erscheint dieses Beispiel in der praktischen Anwendung und vielleicht auch aus Sicht der im Verbotszonenbereich eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten und angesichts ihrer eigenen Erfahrungen bei der Essensbeschaffung vor Ort unwahrscheinlich. Dann aber hebt es die unklare praktische Anwendung der Waffen- und Gefährlichegegenständeverbotszone umso deutlicher hervor.

d) Fazit

Angesichts der dargestellten Konstruktionsfehler der Waffen- und Gefährlichegegenständeverbotszone, der sich ergebenden Problemlagen der eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten zur Durchsetzung des Verbots sowie der betroffenen Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit den direkten und indirekten Folgen plädieren wir keineswegs für eine noch exaktere und umfassendere Regelung bezüglich der Waffenverbotszone. Ganz im Gegenteil stellt sich die Frage, ob es zur effektiven und gezielten Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung überhaupt einer solchen Verbotszone bedarf, bei der es trotz Feinjustierungen wohl nie gelingen wird, eine zweifelsfreie und berechenbare Verordnung zu erlassen.

Statt einen enorm Ressourcen zehrenden Personalansatz für flächendeckende Kontrollen in der Leipziger Eisenbahnstraße aufzuwenden, könnte insbesondere die Umlenkung von Personal und materiellen Ressourcen zur Ermittlungsarbeit im Bereich der Organisierten Kriminalität, des illegalen Waffenhandels oder des unerlaubten Glücksspiels erfolgversprechender sein.

Kontrollbereiche und die Einrichtung besonderer Verbotszonen sind Ausdruck einer polizeilichen Strategie, die sich auf die Bekämpfung relativ geringfügiger, aber im Rahmen von Kontrolltätigkeiten leicht festzustellender Delikte konzentriert, welche in regelmäßigen Abständen durch sogenannte "Komplexkontrollen" (vgl. u.a. Landtagsdrucksache 6/17076) wie mit einer Art Schleppnetz "abgefischt" werden.

Im Gegensatz dazu werden immer weniger Ressourcen für langwierige und aufwendige Strukturermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität aufgewendet. Ein Beleg hierfür ist die überproportional hohe Belastung bei Überstunden im Landeskriminalamt, welche auf eine chronische personelle Unterbesetzung schließen lässt. Ebenso kommt die Fachkommission zur Evaluation der Arbeit der sächsischen Polizei zu der Einschätzung, dass die personelle Ausstattung der sächsischen Polizei zur Ermittlung im Bereich der Organisierten Kriminalität unzureichend ist (vgl. S.30 f. Abschlussbericht der Fachkommission).

Bei öffentlichen Ankündigungen der sächsischen Regierung, etwas gegen Kriminalität unternehmen zu wollen, wird auf dieses Defizit kaum oder nie eingegangen, stattdessen wird die Waffenverbotszone als Erfolgsgeschichte gefeiert. Für die öffentlichkeitswirksame Aufbesserung der Aufklärungsquote in der PKS dienen die Kontrolldelikte, bei denen die Tatverdächtigen bei der Kontrolle unmittelbar mit festgestellt werden, allemal. Ermittlungskomplexe zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität dauern oftmals Jahre und sind für die schnelle Demonstration politischer Handlungsfähigkeit weniger attraktiv.

Enrico Stange war bis 2019 Landtagsabgeordneter im Sächsischen Landtag und dort Obmann im Innenausschuss. Florian Krahmer ist Politikwissenschaftler und Doktorand an der Universität Leipzig.

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