Warten auf den nächsten Tsunami in Katalonien

Blockade des Flughafens. Bild: Foreign Friends of Catalunya

Nach der erfolgreichen Blockade des Flughafens nach Vorbild Hongkong sollen die Aktionen nun über eine APP koordiniert werden, während nun die "Freiheitsmärsche" zum Generalstreik starten

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Nach den erwarteten harten spanischen Urteilen gegen die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, die wegen angeblichem "Aufruhr" für bis zu 13 Jahre in spanischen Kerkern schmoren sollen, hat der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht eine neue Stufe erklommen. Dass das friedliche Aufstellen von Wahlurnen nun als Aufruhr gewertet wird, wird auch Auswirkungen in Spanien haben.

Ist es schon heute möglich, vielerlei Protestformen oder Vorgänge als Terrorismus einzuordnen und von ordentlichen Gerichten an ein Sondergericht nach Madrid zu ziehen, was schon Anwendung findet, kann nun jeder friedliche Protest als Aufruhr gewertet werden, wenn er sich dagegen wendet, dass Gesetze oder Gerichtsentscheidungen umgesetzt werden.

Das kann bald auch Menschen in Spanien drohen, die sich gegen Zwangsräumungen wehren, Atomkraftwerke blockieren oder gegen Kürzungen im Sozialsystem streiken. Der Anwalt Gonzalo Boye streicht das in einem Artikel heraus. So kann es nach dem absurden Urteil schon Aufruhr sein, wenn die Polizei eine Menschenansammlung auflösen muss und wenn "dabei ihre Gegenwehr annulliert" werden müsse, zitiert er aus dem Urteil mit 493 Seiten. Das gelte auch, wenn die Sicherheitskräfte ihr Vorhaben, "eine Gerichtsentscheidung umzusetzen, angesichts des rebellischen und oppositionellen Auftretens einer Zusammenballung von Menschen in klarer zahlenmäßiger Übermacht aufgeben müssen".

Es ist offensichtlich, dass dies auf den friedlichen Widerstand zahlloser Menschen gemünzt ist, die friedlich mit ihren Körpern ein friedliches Referendum und die Wahlurnen gewaltfrei verteidigt haben. Das nennt man zivilen Ungehorsam und Martin Luther King erhielt für den Einsatz solcher Mittel in der Bürgerrechtsbewegung 1964 dafür den Friedensnobelpreis.

Dass ein solches Urteil für ein Vorhaben, dass nach den Richtern lediglich ein "Traum" war, der nie umgesetzt wurde, zeigt das Abdriften Spaniens in einen autokratischen Staat an. Dabei erstaunt besonders, dass dies von einem sozialdemokratischen Regierungschef beklatscht wird, der sogar eine Begnadigung der Regierungsmitglieder und zivilgesellschaftlicher Aktivisten ablehnt, die in der Tradition von Martin Luther King stehen. So ist es absolut korrekt, wenn sogar der Stern titelt: "Dieses Urteil ist eine Schande für Spanien." Er weist auf die fehlende "Fähigkeit zum Dialog und damit zum Kompromiss" hin. Und das gilt nicht nur in Bezug auf die Katalanen, sondern auch für das dauernde Scheitern, eine Regierung zu bilden, weshalb Spanien "am 10. November zu den vierten Neuwahlen in nur vier Jahren aufgerufen" wird. Dieser Einschätzung ist wenig hinzuzufügen.

"Es gab weder Rebellion noch Aufruhr"

Ohnehin demontiert das extrem widersprüchliche Urteil selbst die eigene neue Definition von Aufruhr. Denn es stellt fest, dass es allein mit der Ankündigung, Katalonien unter die Zwangsverwaltung über den Paragraphen 155 zu stellen, "das Vorhaben durch die schlichte Veröffentlichung im Gesetzesblatt beendet" habe. So wurde also gar keine Umsetzung von Gesetzen verhindert, womit sich die Richter widersprechen.

So kommt auch José Antonio Martín Pallín im Interview mit dem TV La Sexta zum Ergebnis, dass es keinerlei Aufruhr gab. Der emeritierte Richter des Obersten Gerichtshofs hatte schon während des Verfahrens erklärt, man könne bestenfalls wegen Ungehorsam verurteilen. "Es gab weder Rebellion noch Aufruhr", stellte er fest und kommt nun zum Ergebnis, dass das Urteil schwer verdaulich sei. Da die Erfindung einer "Rebellion" - ein "bewaffneter Aufstand" - vom Tisch ist, sei auch die angebliche Abtrennung eines Teils Spaniens als Ziel durch die Angeklagten gefallen. "Es ist paradox, dass im Urteil ständig auf das Ziel der Unabhängigkeit verwiesen wird, aber sie nun wegen Aufruhr verurteilt wurden, denn dieser Tatbestand schließt die Sezession aus."

Hartes Vorgehen der Polizei

So ist es kein Wunder, wenn die überwiegende Mehrheit der Katalanen empört ist und es nun zu massiven Protesten kommt. Wie Telepolis berichtet hatte, wurden nach Urteilsverkündung am Montag zahllose Straßen und Schienen blockiert. Zentral hatte sich die neue Bewegung Tsunami Democràtic aber nach Hongkonger Vorbild den Flughafen ausgesucht, der bis zum späten Montagabend blockiert werden konnte. Mehr als 120 Flüge fielen aus, tausende Reisende hingen fest und erlebten heftige Stunden.

Gegen 23 Uhr wurde die Aktion beendet. Allerdings wurden durch ein äußerst brutales Auftreten der Sicherheitskräfte, dabei auch die katalanischen Mossos d'Esquadra, mehr als 150 Menschen verletzt. Darunter auch etliche Journalisten, die ebenfalls angegriffen wurden, wie Videos belegen. Erneut wurde einer Person ein Auge durch ein Gummigeschoss ausgeschossen, wie das beim Referendum geschehen ist, dabei ist deren Einsatz in Katalonien verboten. Ein Mann verlor durch einen Schuss zudem einen Hoden.

Am heutigen Dienstag blieb es - im Vergleich zum Montag - verhältnismäßig ruhig. Es gab weniger Blockaden von Schnellbahntrassen, Autobahnen und Straßen. Am Abend kam es zu massiven Protesten vor den Vertretungen der spanischen Zentralregierung, zu denen die beiden großen zivilgesellschaftlichen Organisationen Katalanischer Nationalkongress (ANC) und Òmnium Cultural, dessen Ex-Präsidenten und Präsident zu jeweils neun Jahren Haft verurteilt wurden. Schon jetzt ist bekannt, dass die Polizei in Lleida dabei erneut gewaltsam gegen die Protestierenden vorging. Ähnliche Bilder gibt es auch schon aus Mallorca.

Marsch zum Flughafen. Bild: Foreign Friends of Catalunya

"Freiheitsmärsche" und Aktionen von Tsunami Democràtic"

Es wurde aber am Dienstag nur Luft geholt, denn am Mittwoch beginnen die "Freiheitsmärsche". Aus Girona, Vic, Berga, Tàrrega und Tarragona werden über 100 Kilometer an drei Tagen fünf Marschsäulen nach Barcelona ziehen. Dort kommen sie am Freitag zusammen, wo eine riesige Demonstration stattfinden wird. Begleitet wird das durch einen Generalstreik. Schüler und Studenten werden von Mittwoch bis Freitag streiken, weshalb es am Mittwoch deutlich mehr Aktionen geben wird.

Gespannt wird auf den Aufruf zur nächsten härteren Aktion durch Tsunami Democràtic gewartet. Die hat bisher über eine Telegram-Liste, auf der etwa 150.000 Menschen eingetragen waren, mobilisiert. Sie stellt nun auf eine eigene App um, um neue Proteste zu organisieren. Hier kann sich nicht jeder registrieren, sondern man muss per QR-Code von einer vertrauenswürdigen Person registriert werden.

Der Bewegung, gegen die schon ermittelt wird, gab der bekannte Ex-Trainer des FC Barcelona nun ein Gesicht. In einem Video hat Pep Guardiola die internationale Gemeinschaft aufgefordert, in den Katalonienkonflikt "einzugreifen" und eine klare Position einzunehmen. Auch für ihn werden Menschenrechte mit Füßen getreten und die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit untergraben, argumentiert er wie die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, die die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen forderte.

Die Angeklagten hätten auch keinen fairen Prozess gehabt. "Das ist im Europa im 21. Jahrhundert nicht hinnehmbar", erklärt er der Welt in englischer Sprache. Spanien gebärde sich immer autoritärer, wirft Guardiola auch der sozialdemokratischen Regierung vor, sich für Unterdrückung der Dissidenz und nicht für den Dialog entschieden zu haben. "Die heute verurteilten Anführer repräsentieren die Mehrheit des Landes", stellt Guardiola fest. Er weist zurück, dass die "Unabhängigkeitsbewegung egoistisch" sei und unterstrich den friedlichen Charakter den die Bewegung sein vielen Jahren unter Beweis stellt.

Ihr Kampf für die Unabhängigkeit sei nicht zu stoppen und könne nur beendet werden, wenn die Unterdrückung aufhört und das Recht der Katalanen auf Selbstbestimmung respektiert wird, so wie in Québec und Schottland. Wie der Stern-Redakteur Till Bartels kommt auch der bekannte Trainer zu einem Ergebnis: "Es gibt nur einen Weg, zusammensitzen und reden". Er fordert die internationale Gemeinschaft auf einzugreifen, um eine "demokratische Lösung" zu finden.

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