Warum Intellektuelle den Kapitalismus nicht mögen

Auf Regierungsplakaten und in Filmen wurde Mao als "rote Sonne" dargestellt. Bild: Kent Wang/CC BY-2.0

Rainer Zitelmann über die Faszination, die der Maoismus in der 68er-Generation und danach erzeugte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Generation, die in den späten 1960ern und den 1970er Jahren erwachsen wurde, begeisterte sich nicht nur für Sex, Drogen und Rockmusik, sondern häufig auch für den Mao Tse-tung. Die Begeisterung für dessen Lehren soll damals bis in die deutsche Fußballnationalmannschaft hinein gereicht haben. Der diskussionsfreudige Historiker und Soziologe Rainer Zitelmann, der damals Maoist war und sich heute für den Kapitalismus begeistert, versucht zu erklären, warum das so war.

Herr Zitelmann, Sie erblickten 1957 das Licht der Welt, in Frankfurt am Main. In Ihrer Jugend waren Sie Maoist, wie Sie in Ihrer Biografie Wenn Du nicht mehr brennst, starte neu, freimütig bekennen. Bevor ich auf Ihre persönliche politische Sozialisation eingehe, gestatten Sie mir bitte folgende Frage. Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb dieses Phänomen der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte - nämlich die Hinwendung eines beachtlichen Teils der akademischen Jugend jener Zeit zum Maoismus - im Schatten der 68er-Bewegung steht, deren Aufbegehren sich dieses Jahr zum fünfzigsten Mal jährt?
Rainer Zitelmann: Das ist in der Tat erklärungsbedürftig. Denn in den maoistischen Gruppen der 70er-Jahre waren viel mehr Menschen engagiert als in der 68er-Bewegung. Aber die 68er-Bewegung eignet sich besser zur Verklärung, zur Mystifikation. Heute heißt es: "Da war die verkrustete Adenauerzeit, die Eltern, die nicht über ihre Schuld in der Nazizeit sprechen wollten, der Vietnamkrieg usw. - und da waren wir, die kritischen jungen Menschen, die das 1968 alles kritisch hinterfragt und schließlich die Bundesrepublik zu einem modernen und weltoffenen Land gemacht haben."
Diese Geschichte, die allenfalls halb wahr ist, ist inzwischen die offizielle bundesdeutsche Geschichtsschreibung geworden. Und sie klingt doch auch viel sympathischer, als wenn man davon erzählen würde, dass man in den 70er-Jahren Stalin bewundert hat oder dass beispielsweise der KBW, die damals führende maoistische Gruppe, Geld für die Massenmörder von den Roten Khmer in Kambodscha sammelte.

"Weil China weit weg und sehr fremd war, eignete es sich besonders gut, dort alle utopischen Sehnsüchte hineinzuprojizieren"

Im zarten Alter 13 Jahren gründeten Sie eine sogenannte Rote Zelle an Ihrer Schule und waren Herausgeber der Schülerzeitung "Rotes Banner". Mit 14 Jahren schlossen Sie sich der Jugendorganisation der maoistischen KPD/ML an. Was hatte Sie damals, als Kind der Bundesrepublik, aufgewachsen im Wirtschaftswunder, an dieser Ideologie fasziniert, die nicht nur einem ganz anderen Kulturkreis entstammte, sondern sich auch unter völlig unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen entstand?
Rainer Zitelmann: Ich denke, gerade weil China weit weg und sehr fremd war, eignete es sich besonders gut, dort alle utopischen Sehnsüchte hineinzuprojizieren. Die DDR war nahe, das wollten wir auf keinen Fall. Und den Kapitalismus sowieso nicht. China und Mao erschienen uns als Alternativen, sozusagen als "dritter Weg". Im Grunde wusste aber keiner von uns, was dort wirklich geschah. Wir bezogen unsere Informationen aus der "Peking Rundschau", die jede Woche erschien. Oder aus den vielen Broschüren, die im Verlag für fremdsprachige Literatur in Peking gedruckt wurden.
In seinem Roman "Der Chinese" lässt der inzwischen verstorbene schwedische Schriftsteller Henning Mankell seine Hauptfigur - die Richterin Birgitta Roslin - monologisieren: "Es sind vierzig Jahre vergangen, dachte sie. Mehr als zwei Generationen. Damals wurde ich von einer Sekte mit Erweckungscharakter angezogen wie die Fliege vom Zucker. Wir wurden nicht aufgefordert, kollektiven Selbstmord zu begehen, weil der Jüngste Tag nahe war, sondern unsere Identität aufzugeben zugunsten eines kollektiven Rausches, wo ein kleines rotes Buch jede andere Aufklärung ersetzt hatte." Haben Sie Ihre damaligen politischen Aktivitäten auch als einen kollektiven Rausch empfunden?
Rainer Zitelmann: Nein, und ich war auch damals schon widerspenstig. Ich war einer, von dem man in der Partei sagte: "Der hat ein riesiges theoretisches Wissen, aber der hat keinen gefestigten proletarischen Klassenstandstandpunkt." Das kam einfach, weil ich in der Partei Dinge infrage stellte, kritisierte. Das war nicht gewollt. Da wurde man leicht des Rechts- oder Linksabweichlertums bezichtigt. Oder des "kleinbürgerlichen Intellektualismus".
Beruhte Ihre damalige Hinwendung zum Maoismus auf jener "abergläubischen Kraft", die von "absoluten Systemen" aus gehen, wie es Tocqueville einst formulierte?
Rainer Zitelmann: Junge Menschen - aber auch ganz generell Intellektuelle - neigen ja dazu, sich eine "ideale Welt" auszumalen. In diesen Kopfkonstruktionen gibt es keine Ungerechtigkeiten. Und am Maoismus faszinierte uns, dass Mao - in dieser Hinsicht eigentlich nicht ganz unähnlich zu Trotzki - so etwas wie eine Theorie der permanenten Revolution vertrat. Revolution als Dauerzustand, weil nach der Vorstellung von Mao immer wieder Leute Macht an sich reißen würden, die den kapitalistischen Weg gehen wollten und die es dann vom Thron zu stürzen gelte.

Wir sprachen vom "Sowjetrevisionismus" oder auch vom "Sozialimperalismus"

Inwieweit war die Ablehnung jenes Sozialismus-Modells, wie es in der DDR und der Sowjetunion praktiziert wurde, für Sie ausschlaggebend, sich der chinesischen Variante zuzuwenden?
Rainer Zitelmann: Wir hatten eine ziemlich verrückte Geschichtssicht: Danach war die Sowjetunion unter Lenin und Stalin sozialistisch und vorbildlich gewesen, eine Diktatur des Proletariats wie Marx sie als Übergangsstadium zum Kommunismus gewollt hatte. Mit der Entstalinisierung durch Chruschtschow ab dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 habe dann der Verrat am Sozialismus begonnen. Wir sprachen vom "Sowjetrevisionismus" oder auch vom "Sozialimperalismus". Die einzigen, die den Sozialismus und den Marxismus-Leninismus nicht verraten hätten, waren demnach die Chinesen und die Albaner. Ich habe damals jeden Abend um 23 Uhr die Sendungen von Radio Tirana gehört.
Ihr persönlicher Abschied vom Marxismus (der vom Maoismus hatte schon zuvor stattgefunden) begann, als Sie sich im Rahmen Ihrer Dissertation mit Hitler auseinandersetzten, speziell mit dessen wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Könnten Sie das bitte konkretisieren?
Rainer Zitelmann: Ja, der Abschied vom Maoismus kam vor dem Abschied vom Marxismus. Nach meiner ML-Zeit begann ich Wilhelm Reich zu lesen und die Bücher eines damals bekannten Autors in der linken Bewegung, Dieter Duhm. Es ging da um eine Synthese von Marxismus und Psychoanalyse. Und, ja, der Abschied vom Marxismus kam endgültig, als ich bei meiner Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus erkannte, dass die marxistischen Faschismustheorien einfach falsch sind.
Als ich meine Dissertation über Hitler schrieb, war ich noch eher links. Ich habe mich darin mit Hitlers sozial- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen beschäftigt und damit, was er unter "Revolution" verstand. Das ermöglichte es mir einerseits, die Massenwirksamkeit und Attraktivität des Nationalsozialismus für viele Menschen zu verstehen. Andererseits sah ich, wie unsinnig die marxistische Sicht ist, die den "Faschismus" als letzten Abwehrkampf des Bürgertums gegen den Sozialismus sah. Übrigens, nebenbei bemerkt, ähnelte diese linke Faschismussicht in mancher Hinsicht der Deutung des Nationalsozialismus durch Ernst Nolte. Meine Sicht ist das Gegenteil der Sicht von Nolte.

Renaissance?

"Die marxistische Utopie hat ihre Chance gehabt. Sie wurde nicht nur einmal ‚ausprobiert’, sondern in den unterschiedlichsten Modellen. Aber weder der sowjetische Weg hat funktioniert noch der jugoslawische oder der chinesische. Seit dem Sieg der Oktoberrevolution, die nach dem Glauben der Marxisten endgültig die Phase des Niedergangs des Kapitalismus und des weltweiten Sieges des Sozialismus einleitete, war die Menschheit vom Ziel des Weltkommunismus noch nie so weit entfernt wie heute." Diese Zeilen schrieben Sie 1991, in einem Zeitungsartikel. Hätten Sie es damals für möglich gehalten, dass "linkes Denken" im Allgemeinen und der Marxismus im Speziellen nur einige Jahrzehnte später wieder eine Renaissance erleben würde?
Rainer Zitelmann: Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gab es Bücher mit Titeln wie "Das Ende der Geschichte" oder "Vom Ende des utopischen Zeitalters". Während die Linke deprimiert war, herrschte unter Konservativen und Liberalen ein unglaublicher Optimismus. Ich war damals schon längst nicht mehr links, teilte aber nicht den Optimismus der Liberalen und Konservativen. Dass die Geschichte zu Ende sei, hielt ich sowieso für eine völlig absurde Vorstellung.
Aber ich wandte mich Anfang der 90er-Jahre auch gegen Joachim Fests These vom angeblichen Ende des utopischen Zeitalters. Ich schrieb damals einen grundsätzlichen Artikel über die "Träume vom neuen Menschen", der mit einem pessimistischen Ausblick endete: "Ob die leidvollen Erfahrungen mit den realen Experimenten des ‚neuen Menschen’ den wirklichen Menschen eine Lehre sein werden, ist jedoch zweifelhaft. Vermutlich lautet der Schluss eher, das Experiment müsse unter besseren Bedingungen und mit neuen Zielvorgaben wiederholt werden."
Ob der Marxismus eine Renaissance erlebt, weiß ich nicht. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, aber auch nicht für entscheidend. Der Antikapitalismus nimmt immer wieder neue, zeitgemäße Formen an, ob das nun früher der Marxismus war oder heute der Ökologismus oder die sogenannte Globalisierungskritik: Der Feind, nämlich der Markt, bleibt immer der Gleiche. Und die Lösungen, die das Heil in "mehr Staat" sehen, ähneln sich auch stets.

Affinität der Intellektuellen zum Antikapitalismus

Sie vertreten heute die Ansichten eines überzeugten Marktwirtschaftlers. Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb sich Intellektuelle mit dem Kapitalismus so schwer tun, beziehungsweise weshalb der ideologische Unterbau des Liberalismus so dürftig wirkt, im Vergleich zu anderen Ideologien?
Rainer Zitelmann: Von Ideologien würde ich im Zusammenhang mit dem Liberalismus nicht sprechen. Aber es gibt einen "Unterbau", der nur von vielen linken Intellektuellen nicht zur Kenntnis genommen wird. Wer hat von Hayek, von Mises oder Friedman wirklich gelesen? Ich finde, in deren Werken steckt viel mehr Substanz als in den Schriften von Marx oder anderen linken Theoretikern. Ganz zu schweigen von Büchern wie dem von Piketty, der neuen Bibel der Kapitalismuskritiker.
Der Frage, warum Intellektuelle den Kapitalismus nicht mögen, habe ich ein ganzes Kapitel in meinem neuen Buch "Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung" gewidmet. Intellektuelle selbst finden das gar nicht erklärungsbedürftig, weil Kapitalismuskritik für sie mehrheitlich sozusagen die natürliche, selbstverständliche Grundhaltung ist. Wahrscheinlich handelt es sich beim Antikapitalismus um eine identitätsstiftende Religion der Intellektuellen, übrigens keineswegs nur der linken Intellektuellen. Merkwürdig ist, dass Intellektuelle es offenbar nicht intellektuell faszinierend finden, sich mit ihren eigenen Wahrnehmungsbeschränkungen und -verzerrungen kritisch zu befassen.
Die Affinität der Intellektuellen zum Antikapitalismus führe ich in meinem Buch auf mehrere Gründe zurück: Der Kapitalismus ist eine spontane Ordnung, kein Gedankenkonstrukt. Er ist so entstanden wie die Sprachen, nicht so wie die Kunstsprache Esperanto. Intellektuelle haben aber eine Affinität zu Kopfkonstruktionen. Daher hat der Marxismus eine so ungeheure Faszination auf Intellektuelle ausgeübt. Zumal ja für die Intellektuellen eine besondere Aufgabe bereit gehalten wurde.
Ich war als Teenager fasziniert von Lenins "Was tun?", der darin zustimmend Karl Kautsky zitierte: "Das moderne sozialistische Bewusstsein kann nur entstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht … Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz… Das sozialistische Bewusstsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes."
Sie sprechen noch weitere Gründe für die Affinität von Intellektuellen zum Antikapitalismus an …
Ja, das ist nun ein wenig komplizierter: Intellektuelle verabsolutieren die für sie spezifische Art des Wissenserwerbs, also explizites, akademisches Lernen. Sie verstehen nicht, dass es daneben eine ganz andere Art des Wissens und des Wissenserwerbs gibt - implizites Wissen und implizites Lernen -, das jedoch für den Unternehmer sehr viel wichtiger ist.
Zumindest sehen Intellektuelle diese andere Art des Wissens, insofern sie überhaupt verstehen, dass es sich dabei um Wissen handelt, als minderwertig an im Vergleich zum akademischen Wissen. Aus ihrer Sicht ist der Unternehmer unwissend, weil er nicht so viele Bücher gelesen hat und oft keine akademischen Grade vorweisen kann. Aus meiner Sicht hat der Unternehmer dagegen nur eine andere Art von Wissen. Lesen Sie mal, was Michael Polanyi über implizites Wissen schreibt - das ist wie eine Erleuchtung.
Und dann mögen Intellektuelle den Kapitalismus natürlich nicht, weil die Wirtschaftselite ökonomisch viel besser dabei wegkommt als die intellektuelle Elite. Das führt zu unbewussten Neidgefühlen, die man sich natürlich nicht eingesteht, denn Neid ist die am stärksten verdrängte und geleugnete Emotion. Denn das Eingeständnis, neidisch zu sein, impliziert ja, dass der andere etwas hat, was man selbst gerne hätte. Das will man sich nicht eingestehen.
Und für einen Intellektuellen ist es schlicht ein Zeichen des "Marktversagens", wenn sein ehemaliger Schulnachbar, der in der Schule immer schlecht war, heute mit seiner Abfallbeseitigungsfirma zehnmal soviel verdient wie er als geistreicher Kulturwissenschaftler, der sich von einem befristeten Arbeitsverhältnis an der Uni zum nächsten quält. Aus Sicht des Intellektuellen ist damit die Welt auf den Kopf gestellt - und das muss natürlich dringend korrigiert werden, indem der Staat wieder Gerechtigkeit herstellt.

"Die Chinesen mögen meine Bücher"

Die Volksrepublik China scheint Sie immer noch zu faszinieren. In Ihrem neuen Buch" Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung" widmen Sie dem Reich der Mitte ein ganzes Kapitel. Halten Sie Deng Xiaoping eventuell für eine der am meisten unterschätzen historischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts?
Die Faszination beruht vielleicht ein wenig auf Gegenseitigkeit: Die Chinesen mögen meine Bücher - ein Buch über "Financial Freedom" ist dort ziemlich erfolgreich und nächsten Monat erscheint in China mein Werk The Wealth Elite auf Mandarin. Doch nun zu Ihren Fragen: Deng ist nicht auf einen Nenner zu bringen. Er war einerseits der Mann, der die Demonstrationen am Platz des Himmlischen Friedens niederschlagen ließ. Andererseits öffnete er China und machte den Weg frei für mehr Privateigentum und Markt.
Tatsache ist, dass niemals in der Menschheitsgeschichte so viele Hunderte Millionen Menschen in so kurzer Zeit aus bitterer Armut entronnen sind wie in China seit den von Deng angestoßenen kapitalistischen Reformen. Ist es nicht merkwürdig, dass es in den 70er Jahren mehr Bewunderer Maos unter bedeutenden westlichen Intellektuellen gab, als es heute Bewunderer von Deng gibt? Dabei war Mao allein durch sein Experiment des "Großen Sprungs nach vorne" Ende der 50er-Jahre für den Tod von etwa 45 Millionen Menschen verantwortlich.
Schauen Sie persönlich optimistisch in die Zukunft, was die Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft des Kapitalismus betrifft, selbst wenn dieser in seiner sinisierten Variante global dominieren würde?
Rainer Zitelmann: Zunächst: Es gibt keine speziell "sinisierte" Variante des Kapitalismus, das ist ein großes Missverständnis hier im Westen. Zhang Weiying, einer der bedeutendsten chinesischen Ökonomen, schreibt: "Tatsächlich ist Chinas ökonomische Entwicklung grundsätzlich identisch mit der in einigen westlichen Ländern, so wie in Großbritannien während der industriellen Revolution, in den Vereinigten Staaten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und in einigen asiatischen Ländern wie Japan und Südkorea nach dem Zweiten Weltkrieg.
Sobald Marktmechanismen eingeführt und die richtigen Anreize gesetzt sind, damit Menschen nach Reichtum streben, folgt das Wunder des Wachstums früher oder später." Die erfolgreiche Entwicklung Chinas ist einfach ein Ergebnis der Tatsache, dass der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft sukzessive zurückgedrängt und dem Markt mehr Raum gegeben wurde. China wird nur dann weiter erfolgreich sein, wenn dieser Prozess weitergeführt wird. Aber das steht keineswegs fest.
Im Westen verabschieden wir uns immer mehr vom Kapitalismus - und darin sehe ich eine Gefahr. Schauen Sie sich die Energiewirtschaft in Deutschland an, die zunehmend planwirtschaftlich gesteuert wird. Schauen Sie sich an, wie Trump dabei ist, den Freihandel durch Protektionismus zu ersetzen. Schauen Sie sich vor allem die Zentralbanken an, die sich fast so aufführen wie einst Planungsbehörden im Sozialismus. Das macht mir die größten Sorgen.
Die Finanz- und die Eurokrise und ihre Ursachen sind, anders als die meisten glauben, noch lange nicht überwunden. Es wurde und wird nur an den Symptomen herumgedoktert, aber die Nullzinspolitik und die Anleihekäufe haben dazu geführt, dass Marktgesetze außer Kraft gesetzt wurden. Dadurch bauen sich neue Blasen auf und ich fürchte, dass es noch heftigere Krisen geben wird. Ich sage jetzt schon voraus, dass Kapitalismuskritiker dann diese Krisen als Bestätigung für ihre Thesen vom "Marktversagen" nehmen werden, obwohl sie das Ergebnis von genau dem Gegenteil sind, nämlich von zu vielen Staatseingriffen.