Warum die Gegenoffensive der Ukraine scheitert

Seite 2: Nicht Zermürbung, sondern verzweifelter Strategiewechsel

In dem Versuch, die Situation schönzureden, erklärten westliche Beamte und Analysten am Dienstag gegenüber der Washington Post, dass "das ukrainische Militär bisher einen auf Zermürbung basierenden Ansatz verfolgt, der hauptsächlich darauf abzielt, Schwachstellen in den russischen Linien zu schaffen". Das ist nicht korrekt.

Die ukrainischen Streitkräfte haben nicht auf Zermürbung gesetzt, sondern ihre Taktik dahin gehend geändert, dass sie mit kleinen Infanterie-Gruppen versuchen, die russischen Schützengräben zu durchdringen, und zwar aus purer Notwendigkeit. Die Führung mit Panzern funktioniert einfach nicht, und wenn die Ukraine weiterhin versucht hätte, große gepanzerte Angriffe zu unternehmen, wären weiterhin viele Soldaten gestorben.

Das Problem für Kiew ist, dass dieser "Ansatz" mit ziemlicher Sicherheit zum Scheitern verurteilt ist. Die militärische Geografie der Ukraine insgesamt ist durch offenes, flaches Gelände gekennzeichnet, das von dünnen Waldstreifen durchsetzt ist.

Da Russland den Luftraum beherrscht und über beträchtliche Drohnenkapazitäten verfügt, werden die ukrainischen Soldaten, sobald sie sich im offenen Gelände bewegen, sofort unter Artillerie- oder Mörserbeschuss gesetzt. Bewegen sich gepanzerte Fahrzeuge im offenen Gelände, werden sie ebenfalls schnell zerstört. Das Beste, was die ukrainische Armee tun kann, ist, eine kleine Anzahl von Infanteristen in Gräben einzuschleusen, in denen sich russische Truppen befinden.

Es geht nicht darum, dass Selenskyjs Truppen "langsam" vorankommen, sondern darum, dass sie auf dem Weg zur Asowschen Küste keines ihrer anfänglichen taktischen Ziele erreichen, und zwar genau deshalb, weil die für einen Sieg erforderlichen Kampfgrundlagen weitgehend (und in einigen Fällen ganz) fehlen. Sie verfügen einfach nicht über die personellen Ressourcen oder die physische Infrastruktur, die für einen Erfolg erforderlich sind.

Nun ist es immer möglich, dass Russland einen plötzlichen politischen Zusammenbruch erleidet, wie es 1917 geschah, und die Ukraine dennoch erfolgreich aus den Kämpfen hervorgeht. Das ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, und Kiew wäre schlecht beraten, seine Zukunftshoffnungen auf ein solches Ereignis zu gründen.

Ein weiterer Versuch würde tragischerweise dazu führen, dass noch mehr UAF-Truppen getötet und ukrainische Städte zerstört werden und die Aussichten auf Frieden immer weiter in die Ferne rücken.

Am Montag erklärte die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagons, Sabrina Singh, dass die Ukraine "die Kampfkraft hat, um auf dem Schlachtfeld erfolgreich zu sein. Sie hat das, was sie braucht, um in der Gegenoffensive erfolgreich zu sein".

Ein derartiger Optimismus steht in keinem Verhältnis zu den Realitäten des Kampfes. Die Vereinigten Staaten sollten aufhören, schwammige Erklärungen abzugeben, und stattdessen damit beginnen, echte diplomatische Anstrengungen zu unternehmen, um diesen Krieg zu beenden.

Ich verstehe, dass alle wollen, dass die Ukraine gewinnt und Russland verliert. Aber wenn wir weiterhin auf diesem Wunsch beharren, wird sich an den tatsächlichen Gegebenheiten nichts ändern. Die größte Hoffnung für Selenskyj, dass die Ukraine aus diesem Krieg als politisch lebensfähig hervorgeht, besteht darin, einem Waffenstillstand zuzustimmen, damit Verhandlungen beginnen können.

Selbst das ist keine Erfolgsgarantie, aber je länger die Ukraine mit der Suche nach einem solchen Ergebnis zögert, desto größer ist die Chance, dass Russland weiter an Stärke gewinnt, um im Sommer oder Herbst eine eigene Offensive zu starten und möglicherweise sogar Charkiw oder Odessa einzunehmen.

Mit anderen Worten: Eine Pattsituation ist für Kiew vielleicht nicht das Schlimmste, was passieren kann. Jetzt ist es an der Zeit, den diplomatischen Weg zur Beendigung des Krieges zu beschreiten.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Daniel L. Davis ist Senior Fellow für Defense Priorities beim Qincy Institute und ehemaliger Oberstleutnant der US-Armee, der 2015 nach 21 Jahren, darunter vier Kampfeinsätzen, in den Ruhestand ging. Er ist Autor von "The Eleventh Hour in 2020 America" und Redakteur bei 1945.