Warum sich der Westen aus den Protesten in Georgien heraushalten sollte

Demonstration mit georgischen Fahnen, weiß mit roten Kreuzen.

Proteste in Georgien. Bild: k_samurkas, Shutterstock.com

Proteste gegen Gesetz zur Einflussnahme dauern an. Fragiles Gleichgewicht zwischen Russland und Westen. Was oft übersehen wird, erklärt dieser Gastbeitrag.

In der Republik Georgien kommt es zu Massenprotesten. Zehntausende gehen auf die Straße, um gegen ein von der georgischen Regierung vorgeschlagenes Gesetz über "ausländische Einflussnahme" zu protestieren, das die Spannungen in der ohnehin polarisierten georgischen Gesellschaft weiter verschärft hat.

Der Gesetzentwurf war am Dienstag nach Tumulten verabschiedet worden; im Parlament kam es sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen Abgeordneten.

Das Gesetz, das nun dem georgischen Parlament vorliegt, sieht vor, dass sich Nichtregierungsorganisationen, Medienorganisationen und Gewerkschaften, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus ausländischen Quellen beziehen, als "Organisationen, die den Interessen einer ausländischen Macht dienen", registrieren lassen müssen und vom Justizministerium überwacht werden.

US-Regierung meldet sich zu Wort

Die US-Regierung unter Joe Biden klinkte sich am Wochenende in die Debatte ein: Der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte, die Proteste vom Samstag zeigten, dass "das georgische Volk deutlich seine Meinung kundtut".

"Unbeeindruckt von Einschüchterungstaktiken haben heute Zehntausende von friedlichen Demonstranten im regnerischen Tiflis gefordert, dass die Regierungspartei Georgischer Traum das Gesetz zurückzieht", so Sullivan in einer Erklärung, die auf X veröffentlicht wurde.

Das georgische Parlament hatte im vergangenen Jahr einen fast identischen Gesetzesentwurf eingebracht, ihn aber unter nationalem und internationalem Druck zurückgezogen. Die Regierungspartei betonte jedoch, dass dieser Rückzug nur vorübergehend sei.

Die Rolle ausländischer Gelder

Der Hintergrund: Ein erheblicher Teil der georgischen Nichtregierungsorganisationen erhält den Großteil seiner finanziellen Unterstützung aus westlichen Quellen und oft von Organisationen, die direkt oder indirekt von der Europäischen Union, den USA und anderen westlichen Staaten finanziert werden.

Artin Dersimonian ist Junior Research Fellow im Eurasia-Programm des Quincy Institute for Responsible Statecraft.

Obwohl sie offiziell unpolitisch sind, gehören viele dieser Gruppen der politischen Opposition gegen die derzeitige Regierung an – was natürlich den Wunsch der Regierung erklärt, ihren Einfluss zu begrenzen.

Das Gesetz und die anhaltenden Proteste sind auch Teil des sich verschärfenden Kalten Krieges zwischen Russland und dem Westen und der zunehmend gefährlichen Position Georgiens in diesem Kampf.

Georgien als EU-Kandidat

Einerseits strebt die seit zwölf Jahren amtierende georgische Regierung aktiv die Mitgliedschaft in der EU und – weniger entschlossen – in der Nato an. Im Dezember 2023 verlieh die EU Georgien den Kandidatenstatus.

Eine große Mehrheit der georgischen Bevölkerung befürwortet die Integration in die EU und in geringerem Maße in die Nato; beides sind Ziele, die in der 2018 überarbeiteten Verfassung des Landes verankert sind. Auch hat die Regierung die russische Invasion in der Ukraine verurteilt und der ukrainischen Bevölkerung humanitäre Hilfe geleistet.

Die Opposition jedoch steht auf dem Standpunkt, die Regierung sei kaum mehr als ein Handlanger Moskaus, der sich insgeheim gegen den georgischen Weg nach Westen stelle.

Anatol Lieven ist Direktor des Eurasien-Programms am Quincy Institute for Responsible Statecraft.

Die Opposition bezeichnete das NGO-Gesetz als "russisches Gesetz", und Präsidentin Salome Surabischwili – eine in Frankreich geborene ehemalige Verbündete der Regierung, die jetzt auf der Seite der Opposition steht – beschuldigte die Regierung, "unseren Weg (nach Europa) und unsere Zukunft zu sabotieren".

Erinnerungen an den Krieg

Georgiens Regierung und viele Georgier erinnern sich noch lebhaft an den georgisch-russischen Krieg von 2008, als eine Schlacht um das abtrünnige Gebiet Südossetien zu einer vernichtenden Niederlage Georgiens führte. Man erinnert sich auch daran, dass sich die USA trotz überschwänglicher Bekundungen von Freundschaft, Unterstützung und Partnerschaft weigerten, zur Rettung Georgiens einzugreifen.

Die Regierung war daher von Beginn der aktuellen Krise an entschlossen, einen neuen Konflikt mit Russland zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund fordert die Opposition auch nicht den Eintritt in den Krieg gegen Russland, obwohl sie die Regierung beschuldigt, sich auf die Seite des Kremls zu stellen. Dies scheint die starken Gefühle der meisten einfachen Georgier widerzuspiegeln, die einen neuen Konflikt entschieden ablehnen.

Georgien ohne Russland-Sanktionen

Georgien hat die meisten Sanktionen des Westens gegen Moskau nicht übernommen und profitiert daher in hohem Maße vom wachsenden Handel mit Russland. Tiflis hat auch versucht, seine wirtschaftlichen Möglichkeiten über das weitgehend binäre West-Russland-Format hinaus zu erweitern, indem es seine Handels- und Investitionsbeziehungen mit der Türkei ausbaute und 2023 eine neue strategische Partnerschaft mit der Volksrepublik China einging.

In der Zwischenzeit hat die georgische Regierung, ähnlich wie populistische Parteien in ganz Europa und Nordamerika, die Feindseligkeit konservativer Teile der georgischen Gesellschaft gegenüber der kulturellen Agenda der EU, insbesondere in Bezug auf LGBTQ-Themen, kanalisiert.

Der Milliardär Iwanischwili

Im Jahr 2012 erklärte der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der die ursprüngliche Koalition der Parteien "Georgischer Traum" und "Demokratisches Georgien" zum Sieg geführt hatte und seither der Geldgeber und Führer der Partei ist, dass die Partei die "Rhetorik des Kalten Krieges" gegen Russland aufgeben und gleichzeitig "die wahren Ursachen der explosiven Situation" in der Region besser angehen werde.

Iwanischwili, der sein Vermögen in den 1990er-Jahren in Russland machte, bevor er es in den Westen und nach Georgien transferierte, betonte die Verpflichtung der Georgischer-Traums-Partei, "ein integraler Bestandteil der europäischen und atlantischen Institutionen zu werden".

Aber: Er unterstrich auch die Notwendigkeit, "die Möglichkeiten Georgiens realistisch einzuschätzen" und "das Säbelrasseln" gegenüber Russland aufzugeben. Diese Ziele prägen die Politik der Partei bis heute.

Westliche NGOs mit harscher Kritik

Es überrascht nicht, dass westliche NGOs und Regierungen das NGO-Gesetz arg kritisieren, da es ihrer Meinung nach "mit Georgiens europäischem Weg unvereinbar" sei und sowohl von wachsendem Autoritarismus als auch vom Einfluss Moskaus zeuge.

Als Reaktion darauf hat der "Georgische Traum" die Einmischung des Westens in Georgien scharf kritisiert, die seiner Meinung nach (zu Recht oder zu Unrecht) darauf abzielt, die georgische Opposition zu unterstützen, um die Regierung durch die Macht der Straße zu stürzen.

Iwanischwili warf einer "globalen Kriegspartei" vor, die Georgier als "Kanonenfutter" benutzen zu wollen, um sie in einen katastrophalen neuen Konflikt mit Moskau hineinzuziehen: "Die Finanzierung von NGOs, die vorgibt, uns zu helfen, dient in Wirklichkeit dazu, (ausländische) Geheimdienste zu stärken und an die Macht zu bringen".

Die Wogen besser glätten

Wer Georgien auf dem Weg in die EU gedeihen sehen will, sollte in dieser angespannten Situation ein Interesse daran haben, die Wogen zu glätten. Der Westen hat recht, wenn er das NGO-Gesetz kritisiert – obwohl wir uns daran erinnern sollten, dass die meisten US-Amerikaner es für absolut inakzeptabel halten würden, dass ausländische Institutionen, insbesondere solche, die mit ausländischen Staaten verbunden sind, eine führende Rolle bei der Finanzierung von faktisch politischen Gruppen in den USA spielten.

Westliche Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sollten sich jedoch davor hüten, aus der Verurteilung des Gesetzes und der Sympathie für die Proteste dagegen eine Unterstützung von Bestrebungen werden zu lassen, die tatsächlich auf den Sturz der gewählten georgischen Regierung abzielen.

Eine solche Strategie würde das eigene Bekenntnis des Westens zur Demokratie verraten und jede Regierung in der Welt, die sich westlicher Kritik ausgesetzt sieht, ermutigen, zunehmend autoritäre Mittel zur Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen.

Die Wahlen im Oktober

Im Oktober finden in Georgien Wahlen statt, und natürlich sollte der Westen alles in seiner Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass sie frei und fair sind.

Wir dürfen nicht vergessen, dass sich Georgien in der Tat in einer prekären sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Lage befindet und dass es klug ist, bei der Annäherung an Russland – das nahe ist, während die EU und die USA weit weg sind – Vorsicht walten zu lassen.

Wir sollten uns auch daran erinnern, dass der einzige legitime Weg, eine gewählte Regierung zu ersetzen, über Wahlen führt, und wir sollten versuchen sicherzustellen, dass die Mehrheit der Georgier im Oktober die Möglichkeit hat, ihre Meinung - und nicht unsere - über ihre Regierung zum Ausdruck zu bringen.

Schließlich wurde Georgien in der Generation nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion immer wieder von Unruhen heimgesucht (die in den 1990er-Jahren in einen Bürgerkrieg ausarteten). Dies hat Georgien auf seinem Weg nach Europa nicht geholfen – und wird es auch in Zukunft nicht tun.

Artin Dersimonian ist Junior Research Fellow im Eurasia-Programm des Quincy Institute for Responsible Statecraft. Er schloss sein Studium der Russischen, Osteuropäischen und Eurasischen Studien an der Universität Glasgow mit einem Master of Science ab, wo er seine Abschlussarbeit zum Thema "Der Niedergang der prodeutschen Außenpolitik im späten imperialen Russland, 1878-1890" schrieb.

Anatol Lieven ist Direktor des Eurasien-Programms am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Qatar und am Department of War Studies des King's College London.

Der vorliegende Text erschien zuerst auf Englisch bei unserem Partnermedium Resposible Statecraft in den USA.