Warum sich der Westen mit China so schwertut

KI generierte Illustration zeigt das moderne China in einer Zeichnung, zweigeteilt, die Sihlouette Shanghais, einmal aus westlicher und einmal aus chinesischer Perspektive

KI generierte Illustration

Er muss lernen: Kontext ist König. Die Fähigkeit der Chinesen, sich in westlichen Strukturen zurechtzufinden, stellt den Westen vor Herausforderungen. Kommentar.

Dass Chinesen sich in den offensichtlichen Strukturen des Westens leichter zurechtfinden als Bürger aus westlichen Staaten in den tradierten Zusammenhängen im Reich der Mitte, macht China für den Westen letztlich so gefährlich.

Hierzulande verbreitet sich derzeit wieder die Ansicht, dass China alles falsch macht, wenn es anders vorgeht, als im Westen erwartet wird. China verfehlt bei seinen wirtschaftlichen Erfolgen die westlichen Messlatten immer häufiger, nicht zuletzt, weil es nicht mehr bereit ist, die westlichen Forderungen nach einer kostenoptimierten verlängerten Werkbank umzusetzen.

Kulturelle Unterschiede

China war bis zum Beginn der Industrialisierung die führende Wirtschaftsmacht auf dem Planeten. Dann hatte man den Faden verloren und ist westlichem Drängen und militärischem Druck aufgesessen, was die hergebrachten Strukturen zum Bersten gebracht hat.

Das Reich der Mitte wurde daraufhin gewaltig durchgeschüttelt, auch wenn sich die inländischen Machtstrukturen in dieser Zeit kaum geändert haben. Es sind weitestgehend die gleichen Familien an den Hebeln der Macht.

Wichtig in der chinesischen Gesellschaft ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, für deren Wohlergehen man letztlich Verantwortung trägt. Ohne ein Verständnis der Zusammenhänge ist auch die Bedeutung der einzelnen Schriftzeichen nicht zu bewerten.

Viele Ausländer scheitern nicht nur an der schieren Zahl der Schriftzeichen, welche regional unterschiedlich gesprochen werden, sondern letztlich auch an ihrer Bedeutung im Rahmen ihnen unbekannter Zusammenhänge.

Die Bedeutung von Zahlen und Personen in China

Zu den Schlüsselerlebnissen des Autors dieses Beitrags auf einer Recherchereise in Fernost zählte die Aussage des chinesischen Assistenten und Dolmetschers, dass der Erwerb eines statistischen Jahrbuchs ein gutes "Souvenir" sei, dass jedoch die darin enthaltenen Zahlen nicht die Bedeutung hätten, die ihnen im Westen zugemessen würden.

So würden die genannten Einwohnerzahlen nur im Zusammenhang mit den dort aufgeführten Einwohnerzahlen anderer Kommunen einen Sinn ergeben, weil die Zahlen lediglich im Kontext eine Bedeutung hätten, nicht jedoch absolut und für sich alleine.

Das ist für westliche Beobachter nur schwer verständlich und sorgt bestenfalls für angeregtes Kopfschütteln. Aktuell offenbart sich das Problem mit den unterschiedlichen Vorstellungen zu Zahlen an der chinesischen Idee, ausländische Geldflüsse zu verschleiern, um das Vertrauen lokaler Anleger wiederherzustellen.

Wie im Falle der Zahlen ist auch bei Personen die Relation zwischen diesen wichtiger als das einzelne Individuum. Im eindeutig individualistisch geprägten Westen sind derartige Denkstrukturen kaum nachvollziehbar.

Chinas Strafsystem: Scham statt Schuld

In China herrscht die Vorstellung, dass jemand, der straffällig geworden ist, nicht wissen sollte, welche Strafe ihn erwartet, weil er sonst beginnt, das Risiko zu kalkulieren. Ein chinesischer Student erklärte mir vor Jahren, dass er in Deutschland abwägen könne, wie viele Jahre seines Lebens es ihm wert sein mag, jemanden zu beseitigen, der ihn stört.

Die chinesische Gesellschaft ist keine Strafgesellschaft, sondern in erster Linie eine Schamgesellschaft, in welcher ein Verstoß gegen die Interessen der Gruppe, welcher man angehört, geahndet wird. Im Zweifelsfall zählt die Familie mehr als der familienfremde Arbeitgeber.

Dass der Gruppen-/ Familienzusammenhalt für viele Chinesen weitaus wichtiger ist als die Loyalität zum ausländischen Arbeitgeber, konnten auch große deutsche Investoren erfahren, die eine Weile lang gutes Geld in China verdient haben.

Deutsches Recht vs. chinesisches Recht: Ein Lernprozess

Im Rahmen der Deutschen Entwicklungshilfe hatte man über viele Jahre versucht, in China Informationen über das deutsche Rechtssystem zu vermitteln. Das war letztlich auch von Erfolg gekrönt, jedoch nicht so wie es von den deutschen Initiatoren intendiert war.

Chinesische Player konnten sich aufgrund ihrer Schulung mehr oder weniger perfekt im deutschen Rechtssystem bewegen. Den deutschen Playern fehlten jedoch offenbar die Bedingungen und Zusammenhänge, die nötig sind, um die chinesischen juristischen Vorstellungen zu verfolgen.

Während viele deutsche Firmen danach strebten, eine 100-Prozent-Tochter zu etablieren, haben andere die Chancen genutzt, welche ein Joint Venture bot. Solange der chinesische Partner einen Nutzen in der Verbindung sah, stand dem geschäftlichen Erfolg nichts im Wege.

Die Folgen kultureller Unterschiede für westliche Investoren

Zu den leidvollen Erfahrungen europäischer Investoren zählte das Vorgehen eines großen deutschen Autokonzerns gegen ein chinesisches Plagiat. Da musste man feststellen, dass auf dem Rechtsweg wenig zu erreichen war, weil das zuständige Gericht zu den Aktionären des Unternehmens zählte, das verklagt werden sollte.

Diese Zeiten sind lange vorbei und inzwischen gehört das aufmüpfige chinesische Unternehmen von damals zu den wichtigsten Investoren der europäischen Automobilindustrie. Hilfreich könnte dieser Einfluss jetzt auch für den Erfolg der in Brüssel angedachten Kreislaufwirtschaft sein, die sich mit dem linearen Denken der westlichen Welt noch schwertut, um die man am Ende auch in den klassischen Industriestaaten nicht herumkommen wird.

Solange westliche Investoren noch von ihrem Vorteil als Vorbilder zehren konnten, war ihr Status im größten Automobilmarkt der Welt unumstritten. Heute fehlt dieser Vorbildcharakter weitestgehend und dafür wird jetzt die Rechnung präsentiert.