Was Ketchup und Inflation unterscheidet
- Was Ketchup und Inflation unterscheidet
- Angebotsinflation wird mit Einkommenspolitik bekämpft
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Europäische Zentralbank stellt wie erwartet ihr Programm zum Kauf von Anleihen ein. Ein Bumerangeffekt kann nicht ausgeschlossen werden
Nachdem die Bild zuletzt mit einer zweifelhaften Berichterstattung zu Covid-19 aufgefallen war, die auf den einschlägigen Telegram-Kanälen breite Resonanz fand und so zu Kundgebungen gegen Coronamaßnahmen anstachelte, ruft das Boulevardblatt nun zu Demonstrationen gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und deren Geldpolitik auf.
Bilds Kronzeugen sind die Ökonomen Bernd Raffelhüschen und ihr Kollege Thorsten Polleit. Vor weit mehr als einem Jahrzehnt empörte sich die Bild-Zeitung über den Freiburger Professoren Bernd Raffelhüschen, als dieser dazu aufforderte, kranken Alten ab einem gewissen Alter lebensverlängernde medinische Maßnahmen zu verweigern, um die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Jetzt verbreitet Bild Raffelhüschens haarsträubende makroökonomische Unwahrheit, dass deutsche Senioren zugunsten italienischer Senioren leiden müssten.
Vor seiner Zeit als Finanzminister hatte sich der FDP-Politiker Christian Lindner einen ähnlichen Fauxpas geleistet und musste sich berechtigterweise vom italienischen Botschafter dahingehend belehren lassen, dass nicht Deutschland die Schulden Italiens in der Eurokrise gezahlt habe, sondern umgekehrt Italien die Schulden Deutschlands.
Thorsten Polleit, Honorarprofessor in Bayreuth, bekennender Anarchokapitalist und Bild-Kronzeuge, ist der "Chefvolkswirt" der Degussa Sonne/Mond Goldhandel GmbH, des jüngst verstorbenen Mövenpick-Milliardärs August von Finck. Polleit publiziert sonst in der rechtsgerichteten Zeitung Jungen Freiheit, nun also auch in der auflagenstarken Bild.
Den unappetitlichen, aber umso traditionsreicheren Namen für seine Goldhandelsgesellschaft, dessen Rechte preisgünstig zu erwerben waren, dürfte von Finck, neben dem, laut einem seiner Freunde, "rechts nur noch Dschingis Khan Platz" hatte, nicht von ungefähr erwählt haben. Von Fincks dubiose Goldhandelsgesellschaft mit der Nazi-Reminiszenz im Namen wird als Finanzier hinter dem Aufstieg der AfD verdächtigt.
Eigenartige Erzählungen um derzeitiges Inflationsgeschehen
Beispielsweise veröffentlicht Prof. Hans-Werner Sinn zu Weihnachten ein Buch mit dem plakativen Titel Die wundersame Geldvermehrung – Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation. Sinns alarmistischer Subtext:
Europa schwimmt im Geld, aber es ist deswegen nicht reich, denn Geld ist nur Papier oder eine Ziffer im Computer.
Auf Youtube schütteln Roland Tichy und Sinn dann gemeinsam für Tichys Einblick Ketchup aus Flaschen und erklären, so verhalte es sich mit der Inflation. Lange komme nichts, und dann ein großer Klecks.
Das ist nur mit Humor erträglich und scheint unverantwortlich. Mit seiner Sicht auf die internen Targetsalden der EZB hat sich Sinn selbst fachlich seit Längerem demontiert, zumindest was Geldpolitik anbelangt. Mit seiner "Weihnachtsvorlesung", die er ins Internet stellt, setzt Sinn schließlich der unseligen Debatte nun die Krone auf.
Die Bürger der Eurozone sind in einer schwierigen Situation darauf angewiesen, der EZB zu vertrauen. Geld ist ein soziales Konstrukt, das von dem Vertrauen lebt, das in es gesetzt wird. Es ist ein Anteilsschein am steten Volkseinkommen, der daher auch keinerlei andersartige Deckung benötigt, ganz im Gegensatz zu dem, was Goldfetischisten wie Polleit behaupten.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Es war aber nicht der propagandistische Druck der veröffentlichten Meinung, sondern vielmehr das Geschehen in den USA, das die EZB tätig zu werden veranlasste. Am Donnerstag, dem 16. Dezember 2021 zog die Europäische Zentralbank (EZB) nach und folgte der Federal Reserve, der Notenbank der USA, auch als Fed bekannt.
Die EZB beließ zwar den Leitzins wie gehabt bei null, und auch das Anleihenkaufprogramm Asset Purchase Programme (APP), stellte allerdings das Anleihenkaufprogramm Pandemic Emergency Puchase Programme (Pepp) ein.
Letzteres diente zwar, wie es der Name sagt, der Bekämpfung der ökonomischen Belastungen durch die Pandemie, sodass sich angesichts des Auftauchens der neuen Virusvariante Omikron die Entscheidung auf den ersten Blick als eigenartig darstellt, doch ist der Hintergrund bekanntlich ein anderer als der unser aller Gesundheit.
Da die Fed ihrerseits in die Geldbremse trat, ihre Anleihenkaufprogramme einstellte und für das kommende Jahr gleich drei Zinserhöhungen ankündigte, blieb der EZB kaum etwas anderes übrig, als ihr zu folgen. Alles andere würde zu einem Abfluss europäischen Kapitals in die USA führen, der bei der angespannten Situation an den überhitzten Aktienmärkten einen Crash in der Eurozone auslöst.
Die EZB-Aktion hat allerdings noch eher symbolischen Charakter, werden doch die Anleihenkäufe des APP zeitweise ausgeweitet, um Ausfälle aufgrund des Auslaufens des Pepp abzufedern. Immerhin, es wird ein Signal ausgesendet.
Tatsächlich war ja ein Preisschub durch hohe Kosten entstanden, die von außen kamen. Verantwortlich waren die Preise für Brennstoffe wie Erdöl, das die Organisation Erdölexportierender Staaten (Opec) verknappt, außerdem ein Mangel an manchen Vorprodukten der Industrie, der Zulieferungen verteuert.
Allgegenwärtiges Beispiel sind leidige Mikrochips, ohne die Autos nicht fahren. Vieles ist der Pandemie und zwischenzeitlichem Stillstand geschuldet.
Diese Art der Inflation wird als Angebotsinflation bezeichnet, im Gegensatz zur Nachfrageinflation. Die Diagnose, aus welcher Ecke – eben Angebot oder Nachfrage – die Inflation kommt, was also ihr Entstehen verursacht, ist eine unerlässliche Unterscheidung zu ihrer Bekämpfung.
Inflation ist nicht gleich Inflation
Die Maßnahmen, mit denen Inflation bekämpft wird, kennen nicht nur die Bild-Zeitung und Hans-Werner Sinn: Zinsen rauf! Geldmenge runter! Genau das sind die Register, die gezogen werden, wenn Nachfrageinflationen bekämpft werden, die aus überschießenden Lohnsteigerungen entstehen.
Und hier liegt der Haken.
Würden jetzt auch noch die Zinsen erhöht, verschlimmerte sich die Lage. Die kostengetriebene Inflation würde durch nochmals höhere Kosten für Zinszahlungen angeheizt, ein Schubs am Rande des Abgrunds, der uns gerade noch fehlt. Die EZB konnte diesen Schritt bisher vermeiden.
Neben die Forderung eines höheren Leitzinses tritt zudem oft die radikale Forderung, sogenannte "Zombieunternehmen" gefälligst pleitegehen zu lassen, weil die doch nur aufgrund der Niedrigzinsen überlebten.
Nur, falls ein Unternehmen heute besteht, besteht es ebenso bei beliebigen anderen Zinsniveaus, indem es Zinskosten wie der Rest seines Wettbewerbs auf die Preise aufschlägt – was allerdings nie im Sinne der Preisstabilität liegen kann. Firmen, die zuvor anstatt zu investieren geknausert haben, hätten bei einer raschen Zinswende zudem einen höchst unfairen Vorteil.
Obendrein werden gerade in einigen Industriezweigen fette Gewinne auf Kosten der Konsumenten eingestrichen, eben weil bereits Wettbewerb aufgrund der Coronakrise wegfällt. Diese weitere Spielart der Angebotsinflation ist als Gewinndruckinflation bekannt.
Ohne die Corona-Hilfen, die die EZB den Euro-Staaten kreditierte und die jetzt auslaufen, wären zahlreiche Existenzen und weit mehr Vermögen vernichtet worden als ohnehin in der Pandemie.
Das Vorhaben, Firmen in den Bankrott zu treiben, ist nicht etwa als Skurrilität abzutun, vertritt es doch selbst der promovierte Volkswirt MdB Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU. Linnemann beruft sich dabei auf die Kraft der "schöpferischen Zerstörung", wie es dies auch stets Jürgen Schrempp tat, der als der "größte Kapitalvernichter der Geschichte" Daimler-Benz von 1995 bis 2005 leitete, wenn er seine eigenwillige Geschäftsführung erklärte.
Linnemann würde auch das Kurzarbeitergeld auslaufen lassen, was Menschen um den Job brächte, Unternehmen den Restart nach der Krise erschweren und die Sozialkassen eher stärker belasten dürfte, als es nun ohnehin der Fall ist.
Der Ökonom Joseph Alois Schumpeter, der den Begriff prägte, der englisch creative destruction lautet, meinte damit jedoch vollkommen anderes als eine Rezeptur zur ökonomischen Zerstörung, nämlich das stete Fortschreiten der Wirtschaft aufgrund von technischen Erfindungen und von Investitionen in diese, das Neues entstehen und Altes vergehen lässt.
Damit sei erklärt, wieso wir entgegen Marx' Utopie immer noch im Kapitalismus verharren. Aber Erfindungen werden durch mutwillig herbeigeführte Pleiten ebenso wenig forciert wie durch die Begünstigung investitionsfauler Unternehmen.
Anstatt den Leitzins zu erhöhen, stellt die EZB nun Pepp ein, und wählt damit das mildere Mittel. Nur, damit wird noch kein Chip schneller lieferbar, kein in fremden Häfen festhängender Container eher geliefert und Öl und Gas billiger; soviel ist sicher. Ein Beitrag zur Bekämpfung der Probleme, die zum aktuellen Preisschub führten, ist dies nicht, sondern vielmehr nur eine defensive Reaktion auf das Handeln der Fed.
Deshalb sollten wir uns auch keinerlei Hoffnungen auf eine Besserung der Situation machen, vielmehr kann das Ende der Anleihenkäufe ähnlich wie eine Zinserhöhung zu einer weiteren Belastung in der kostengetriebenen Angebotsinflation werden, die wir derzeit erleben müssen.
Die Anleihenkaufprogramme der EZB begannen 2012. Damals stimmte von neunzehn Zentralbankpräsidenten des Euroraumes nur einer im EZB-Rat gegen die Käufe: Jens Weidmann, der Bundesbankpräsident.
Seitdem warnte Weidmann wiederholt und häufig vor einer Inflation, die – mit Verlaub – bis zum heutigen Tag nie eintrat. Die Inflation, vor der Weidmann warnte, wäre immer eine Nachfrageinflation gewesen, ausgelöst durch eine Geldschwemme. Gegen Ende seiner Amtszeit, die Weidmann selber beendete, stimmte er allerdings Anleihenkaufprogrammen stets zu.
Die Kaufprogramme wurden oft falsch als Staatsfinanzierung verstanden, womit der EZB dann ein Rechtsbruch unterstellt wird, den sie nicht begeht. Vielmehr dienen die Programme dem Erhalt der Geldwertstabilität und sind ein Instrument der Geldschöpfung. Geld entsteht mit einer Kreditvergabe und verschwindet mit der Kredittilgung.
Diese Geldschöpfung wird von der Bundesbank, die die Schuldentilgung im Jargon "Geldvernichtung" nennt, hier erklärt, Geldschöpfung ist immer darauf angewiesen, dass jemand Schulden macht.
Weil seit rund zwanzig Jahren in der Eurozone und Deutschland neben dem Sektor Haushalte auch der Unternehmenssektor überwiegend spart, und die verschuldeten Staaten sich nicht noch weiter verschulden konnten, stieß die Schöpfung einer Geldmenge, die zudem stetig wachsen muss, an ihre Grenze.
Es entstand Deflation. Sie gilt als so gefährlich, dass die EZB einen jährlichen Kaufkraftverlust von zwei Prozent in Kauf nimmt, um einen sicheren Abstand einzuhalten, wobei dies ein zusätzlicher Anreiz ist, Geld schneller wieder in Umlauf zu bringen. Zu D-Mark-Zeiten verfuhr auch die Bundesbank so.
Die Antwort der EZB auf die eingetretene Deflation waren Staatsanleihenkäufe. Die EZB kauft Anleihen mittelbar über Geschäftsbanken, weil ihr ein direkter Ankauf als monetäre Staatsfinanzierung verboten ist. Mit diesen Käufen kommt in der Öffentlichkeit nur das Geld an, das die Staaten, die diese Anleihen mit Steuergeldern später wieder tilgen, zunächst einmal ausgeben. Diese Summen entsprechen den Ausfällen aufgrund der ausbleibenden Kreditnachfrage; das Ganze dient der Versorgung der Volkswirtschaft mit Geld.
Parallel dazu wurde bei diesem Prozedere zwangsläufig Zentralbankgeld geschöpft, auch Reserven genannt, das nur Banken auf Konten halten können, da Nichtbanken Zentralbankgeld nur in Form von Bargeld besitzen dürfen. Unsereins hat kein Konto bei der EZB. Um weiterhin so geschöpftes Geld auszugeben, müssen die Staaten nach Tilgung dieser Anleihen erneut Anleihen begeben.
Damit werden die Schulden gerollt, und somit steigt die Bilanzsumme der EZB stetig, sofern sie keine Gewinne ausschüttet, die an die Staaten zurückfließen. Jeder theoretische Geldmengenmultiplikator ist bei mangelnder Kreditnachfrage Unfug, denn die Reserven der Banken können unter dieser Voraussetzung schlicht nicht in den allgemeinen Umlauf geraten.
Die erhöhte Bilanzsumme der EZB besagt demnach gar nichts. Die tschechische Zentralbank wies zwölf Jahre lang eine negative Bilanzsumme aus, ohne dass jemand auf die Idee gekommen wäre, dass Tschechen mit negativen Kronen zahlten. Ebenso wenig spricht die rasch steigende Bilanzsumme der EZB für eine Geldschwemme, mag sie sich noch so sehr zu Horrorzahlen aufaddieren.
Die gestiegenen Reserven beflügeln allerdings die Aktienkurse an den derzeit sowieso arg überhitzten Börsen. Der direkte Ankauf der Anleihen, wie ihn die Modern Monetary Theory (MMT) vorschlägt, wäre daher sinnvoller, allein um unsoziale Verteilungseffekte abzumildern und Verlustrisiken am Aktienmarkt vorzubeugen, der bei Nullzins Ersparnisse aufsaugt, die sonst sicherer auf Bankkonten lägen.
Staaten dürfen im Gegensatz zu Menschen davon ausgehen ewig zu bestehen. Vor sechs Jahren tilgte der britische Schatzkanzler eine Staatsanleihe. Sie war aufgelegt worden, als es galt, Geld zur Bekämpfung einer Rezession einzusammeln, die Folge einer geplatzten Spekulationsblase war. Die Angelegenheit ähnelt dem Platzen der Internetblase im Jahre 2000 oder auch der US-Subprimekredit-Blase 2008, an deren Auswirkungen immer noch Staaten der Eurozone kranken.
Die Blase betraf den Aktienhype um die South Sea Company, die ihren Anlegern fette Gewinne aus dem Handel mit Sklaven von den Südseeinseln versprach, im Jahr 1720. Seitdem diente das Papier als ausfallsichere Sparanlage, dem Wertpapierhandel und um Kredite zu besichern. Nun wurde sie zu niedrigeren Zinsen umgeschuldet, im Jargon: "gerollt".
Die EZB-Kredite aus dem Pandemic Emergency Programme (Pepp) sollen in Deutschland laut Koalitionsvertrag ab 2028 bis 2058 getilgt werden.