Was kann das "Kuschelhormon" wirklich?

Oxytocinmolekül. Grafik: MindZiper. Lizenz: Public Domain

Zweifel an Aussagekraft von Oxytocin-Studien

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Belgische und US-amerikanische Wissenschaftler melden in einem im Journal of Neuroendocrinology erschienenen Aufsatz Zweifel daran an, wie aussagekräftig die zahlreichen und sehr oft nicht nur in Fachzeitschriften, sondern auch in Publikumsmedien rezipierten Studien zum "Kuschelhormon" Oxytocin wirklich sind. Diese Studien zufolge soll die unter anderem beim Stillen ausgeschüttete Substanz nicht nur emotional binden, sondern auch Hilfsbereitschaft wecken, Vertrauen stärken, "sozial kompatibles Verhalten bei Autismus-Patienten fördern", altersbedingtem Muskelabbau vorbeugen und vieles mehr (vgl. Der Alleskönner und Foxy-Oxy).

Auf die Idee, die Aussagekraft solcher Studien zu hinterfragen, kam die an der Universität Löwen tätige Biopsychologin Moira Mikolajczak, nachdem sie vergeblich versuchte, eine andere Fachzeitschrift zur Publikation der Wiederholung einer 2010 veröffentlichten Studie zu bewegen, in der sich (anders als in der Ausgangsuntersuchung) kein Zusammenhang zwischen Oxytocin und Vertrauen ergeben hatte.

Als sie und ihr Team sich nach der Ablehnung ansahen, welche Oxytocin-Studien in der Vergangenheit zur Publikation angenommen wurden und welche nicht, stellten die Wissenschaftler fest, dass sich bei 92 Prozent ihrer Experimente zu diesem Hormon keine Anhaltspunkte für eine neue positive Wirkung ergaben. Zur Veröffentlichung angenommen wurde aber nur eine einzige dieser negativen Studien.

Das spricht dafür, dass nicht nur Publikumsmedien, sondern auch wissenschaftliche Fachzeitschriften großen Wert auf die zu erwartende Aufmerksamkeit legen, wenn sie darüber entscheiden, welche Aufsätze angenommen werden und welche nicht. Eine mögliche neue Aufsehen erregende Wirkung liefert nämlich deutlich mehr Aufmerksamkeit als eine Studie, bei der heraus kam, dass eine Substanz nicht den erhofften Einfluss auf das untersuchte Phänomen hat. Mikolajczak und ihre Kollegen halten das für problematisch, weil dadurch nicht nur das Image von Substanzen, sondern auch die Forschung verzerrt wird.

Mangel an Wiederholungsstudien

Eine Pflicht, Studien zu wiederholen, existiert bislang nicht. Es gibt deshalb wahrscheinlich auch zu zahlreichen weiteren Substanzen Aufsätze, in denen Ergebnisse stehen, die eigentlich nicht haltbar sind. Als der Standford-Mediziner John Ioannidis vor elf Jahren damit begann, ältere Studien zu reproduzieren, stellte er fest, dass über die Hälfte davon fehlerhaft waren. In den von den 2012 durch Glenn Begley und Lee Ellis nachgestellten 53 Studien zur Krebsforschung kam sogar nur bei sechs das veröffentlichte Ursprungsergebnis heraus.

Trotzdem bleiben die Anstrengungen von Wissenschaftlern wie Ioannidis, Begley und Ellis Ausnahmen. Eine Untersuchung der Duke University ergab 2014, dass der Anteil der Wiederholungsstudien bei den Veröffentlichungen im Bereich Psychologie bei lediglich 1,07 Prozent liegt. Berühmt und besser bezahlt wird man damit nämlich im Regelfall nicht. Eine Gruppe von mit dieser Situation unzufriedenen Psychologen hat deshalb 2013 das Projekt Many Labs ins Leben gerufen, in dessen Rahmen nach und nach die Klassiker der Disziplin überprüft und publiziert werden sollen.

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