Was kann dein Dach für dich tun?

Sie bilden bis zu einem Drittel der Oberfläche bewohnter Gebiete - und doch behandeln wir sie oft stiefmütterlich. Forscher fordern, stärker auf den Nutzen begrünter Dächer zu setzen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Über unseren Köpfen steckt noch Potenzial: Was gemeinhin ein Haus nach oben in abschließt, Regen draußen und die warme Luft drinnen hält, könnte genauso gut ein komplettes Ökosystem darstellen. Die Statistik geht davon aus, dass Dächer bis zu 32 Prozent der horizontalen Fläche bebauter Gebiete bilden. Wenn man sich in Google Earth auf eine Großstadt zoomt, scheint diese Zahl noch weit zu niedrig gegriffen. Was die Satelliten von den Megastädten der Erde sehen, ist mal rot, mal blau, mal grau und mal schwarz - aber selten grün.

Dabei gibt es eine Reihe Vorteile, die dafür sprechen, über unsere Köpfen Pflanzen anzusiedeln. Begrünte Dächer, schreibt ein internationales Forscherteam im Fachmagazin BioScience, verringern den negativen Einfluss von Häusern auf örtliche Ökosysteme, sie reduzieren den Energieverbrauch der Häuser, verbessern ihre Geräuschdämmung und ihren Brandwiderstand und verlängern schließlich auch die Lebenszeit der Dachmembran.

Sie erleichtern den Wasserabfluss bei heftigen Regenfällen, weil sie selbst auch Wasser aufnehmen - dadurch verteilt sich der Abfluss über die Zeit. Schließlich unterschätze man auch den psychologischen Effekt grüner Inseln in der Stadt nicht und deren positiven Einfluss auf die Luftqualität. Sie sind zwar in der Konstruktion zunächst teurer als herkömmliche Dächer, amortisieren sich aber in der Regel über die komplette Lebenszeit des Gebäudes - nicht zuletzt, weil sie dabei helfen, diese Lebenszeit zu verlängern.

Allerdings, betonen die Wissenschaftler in ihrem Artikel, hat man begrünte Dächer bisher vor allem als gärtnerische Herausforderung verstanden und ihre Rolle als Ökosystem kaum untersucht. Prinzipiell unterscheiden die Forscher intensive und extensive Dachgärten.

Deutschland Vorreiter

Intensive Gärten findet man etwa auf Luxus-Hotels. Sie kombinieren eine tiefe Bodenschicht mit sehr variantenreicher Pflanzenbesetzung, die intensive Pflege erfordert und oft auch aktiv genutzt wird. Extensive Dachgärten hingegen legt man mit flacher (maximal 20 Zentimeter) Bodenschicht und wenigen, stressresistenten Arten an, vorwiegend wegen ihrer oben schon geschilderten Wirkungen. Die Ästhetik spielt hier eine geringere Rolle, auch der Pflegebedarf liegt niedriger. Geschichtlich war hier vor allem Deutschland Vorreiter, wo in mancher Stadt das Baurecht die Einrichtung grüner Dächer fordert. Pro Jahr kommen hierzulande rund 13,5 Millionen Quadratmeter begrünter Dächer hinzu - das ist die Fläche von über 1600 Fußballfeldern. 14 Prozent aller neuen Flachdächer in Deutschland sind begrünt, so eine Berechnung aus dem Jahre 2002.

Tatsächlich sind die Dachgärten auch eine gärtnerische Herausforderung. Die Bedingungen für das Pflanzenwachstum sind eher ungünstig: Nässe wechselt sich mit extremer Trockenheit ab, hohe Temperaturen und eine starke Sonneneinstrahlung kommen meist noch hinzu. Die hohen Windgeschwindigkeiten tragen, trifft man keine Vorkehrungen, den Boden schnell ab und beschädigen Vegetation und Substrat. Für solche Umstände kommen nur bestimmte Pflanzenarten in Betracht, die zum Beispiel die Fähigkeit besitzen, Wasser zu speichern, die niedrig und kompakt wachsen und schnell Lücken schließen. Arten der Gattung Sedum (Fetthenne) erwiesen sich in vielen Versuchen als am erfolgreichsten, zumindest, wenn das Substrat höchstens zehn Zentimeter tief ist.

Gesucht: Geeignete Pflanzenarten

Drei Ökosystem-Dienste machen die Forscher aus, die von einem begrünten Dach zur Verfügung gestellt werden. Zunächst ist das das Regenwasser-Management. Städtische Gebiete bestehen in der Regel aus hartem Untergrund, der den sofortigen Abfluss von Niederschlägen begünstigt, der von der Kanalisation oft nicht mehr zu bewältigen ist. Konventionelle Techniken helfen in urbanen Gebieten oft nicht weiter, für Rückhaltebecken ist eben kein Platz. Dabei bilden die Pflanzen und der Untergrund selbst ein Reservoir. Sie halten das Regenwasser für ein Weilchen zurück; teilweise verdunsten sie es auch wieder an die Atmosphäre.

Bei grünen Dächern mit mehr als zehn Zentimetern Substrat lag das Rückhaltepotenzial im Versuch bei um die 66 Prozent. Ein zweiter Service, den die Dachgärten bieten, besteht in der Verlängerung der Haltbarkeit der Dachmembran. Wasserdichte Membranen leiden sonst sehr unter dem Einfluss ultravioletter Strahlung und von Temperaturschwankungen. Die Begrünung reduziert beide Effekte. Schließlich können grüne Dächer auch noch das Klima im Haus positiv beeinflussen. Im Sommer wird die Kühlung billiger. Ein Versuch in Singapur etwa zeigte, dass im Vergleich zu einem konventionellen Dach nur der zehnte Teil der Sonnenenergie ins Haus gelangen konnte. Die nötige Kühlenergie verringert sich in der Praxis vor allem für die Stockwerke direkt unter dem Dach.

Für die Zukunft schlagen die Wissenschaftler vor, einerseits neue für die Dachbegrünung geeignete Pflanzenarten zu finden. Vor allem für schattige Plätze fehle es noch an Auswahl. Zudem müsse man die Qualität des abfließenden Wassers besser untersuchen: Es gibt nämlich Hinweise darauf, dass über das Substrat der Anteil an Stickstoff- und Phosphor-Verbindungen wächst. Intensive Dachgärten, die auch Holzgewächse vertragen, könnten zudem die Kohlendioxidemissionen in Städten verringern und weitere Schadstoffe aufnehmen. Ebenfalls wenig untersucht ist heute noch das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Womöglich sind ja begrünte Dächer gar nicht das effektivste Mittel, städtische Umweltprobleme anzugehen.