Was noch zur sexuellen Orientierung gesagt werden muss
- Was noch zur sexuellen Orientierung gesagt werden muss
- Ist Homosexualität nun angeboren?
- Soziale Erklärungsversuche
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Gene oder Umwelt, Störung oder Normalität? Gedanken fürs 21. Jahrhundert
Am 30. August erschien eine neue Forschungsarbeit über die Genetik der sexuellen Orientierung sowie mein begleitender Kommentar (Science: Genetik kann Sexualverhalten nicht erklären). Kurz gesagt ergab die Untersuchung von rund einer halben Million Briten und US-Amerikanern, dass Gene nur einen moderaten Einfluss darauf haben, ob wir ausschließlich mit anders- oder auch mit gleichgeschlechtlichen Partnern Sex haben.
Das geht viel w eiter als die Widerlegung der Idee eines spezifischen "Schwulen-" oder "Lesbengens", die seit den 1990ern in unserer Kultur herumgeistert. Denn selbst wenn man die Effekte aller von den Forschern gefundenen Genabschnitte - es waren zwei für Frauen und Männer, zwei nur für Männer und einer nur für Frauen - zusammennimmt, erklärt die Genetik nur einen kleinen Teil.
Der genetische Forschungsansatz
Wie zu erwarten war, sangen Verfechter des verhaltensgenetischen Ansatzes das alte Lied von der Gruppengröße: Man brauche eben die Daten von noch mehr Menschen, um das Phänomen genetisch zu erklären. Das setzt aber erstens voraus, dass eine starke genetische Erklärung wahrscheinlich ist. Dem widersprechen andere Daten, auf die ich noch eingehen werde. Und auch bei anderen Fragestellungen hat die Verhaltensgenetik nicht halten können, was vor und seit dem Humangenomprojekt versprochen wurde und wofür seit Jahrzehnten Milliardengelder fließen.
Zweitens werden noch größere Versuchsgruppen vor allem zum Fund immer kleinerer Effekte führen. Das ist schlicht Mathematik. Das heißt, die Liste der Genabschnitte, die man mit dem Sexualverhalten in Zusammenhang bringt, würde dann zwar immer länger. Diese neuen Funde würden aber für sich genommen immer weniger erklären. Dass die heute verbreiteten Verfahren zum Durchbruch führen, ist daher so gut wie ausgeschlossen. Deshalb bezeichnete ich diesen Forschungsansatz als widerlegt.
Fragen von Leserinnen und Lesern
Ich war dann aber doch über manche Fragen überrascht, die in der Diskussion des Artikels aufkamen: Ist Homosexualität nun angeboren oder nicht? Ist die gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung vielleicht doch eine Störung? Bedeuten die Forschungsdaten nicht, dass Homosexualität therapierbar ist? Und was besagen biologische Erklärungen im Vergleich zur Pädophilie?
Diese Fragen sind wichtig, weil auch im 21. Jahrhundert die Diskussion über Toleranz und Regulierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen (Stichwort: "Homo-Ehe") noch nicht vom Tisch ist. Die gute Nachricht: Auf die meisten genannten Fragen gibt es zwar keine genetischen, wohl aber philosophische, psychologische oder soziologische Antworten - oder zumindest vielversprechende Ansätze zur Beantwortung. Eigens für diesen Artikel habe ich mir die neuesten Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre noch einmal näher angeschaut.
Warum Homosexualität keine psychische Störung ist
Am einfachsten lässt sich begründen, dass Homosexualität keine psychische Störung ist. Bis in die 1970er Jahre dachte man in Psychologie und Psychiatrie darüber noch anders. Zusammen mit der Einführung der Begriffe Hetero- und Homosexualität pathologisierten überhaupt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts Mediziner die gleichgeschlechtliche Liebe. Entkriminalisiert wurde sie darum aber nicht.
Aus Gründen, deren Erklärung hier zu weit führen würde, halte ich selbst nicht so viel von der Unterteilung der Menschen in die Kategorien homo-, bi- oder heterosexuell (Vom Nachteil, "Homosexuell" zu sein). Dem Verständnis halber will ich sie hier aber verwenden. Außerdem passt es zu unserem Zeitgeist, allem einen Stempel aufzudrücken. (Zu nennen wären dann noch: a-, metro-, pan-, sapio- oder wasauchimmersexuell.)
Unter dem Druck von Aktivisten überdachten führende Psychiater in den 1970ern ihre Ansichten. Eine neue Definition von "psychische Störung" sah in den USA zunächst - und bis heute - vor, dass subjektives Leiden oder ein eingeschränktes Funktionieren hierfür wesentlich sind (Die "amtliche" Fassung). Im nächsten Schritt musste man dann einräumen, dass dort, wo Homo- oder Bisexuelle leiden oder eingeschränkt sind, das an der Ausgrenzung durch die Gesellschaft lag.
So entschied die Führungsriege der American Psychiatric Association im November/Dezember 1973, Homosexualität nicht länger als psychische Störung anzusehen. Ein Mitgliederentscheid im Mai des Folgejahres bestätigte dies mehrheitlich. Es gab jedoch auch inneren Widerstand, zumal einige Psychiater mit Therapieversuchen viel Geld verdienten.
Menschengemachte Kategorien
Allgemeiner muss man sagen, dass sich naturwissenschaftlich überhaupt keine Grenze zwischen "gesund" und "krank" oder "normal" und "abnormal" ziehen lässt. Diese Unterscheidung treffen nur Menschen. Selbst wenn man die Frage rein statistisch beantworten will, muss man erst Normen setzen.
Dementsprechend weiß man, dass Steuergelder verschwendet werden, wenn es in einer Wissenschaftsmeldung heißt: "DFG fördert Neuroforschung im UKE: Was ist 'krank', was 'gesund'?" Die Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die hier 1,9 Millionen bekommen haben, können im Gehirn gar keine Antwort auf diese Frage finden.
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn man schon weiß, was "krank" ist, dann kann man im Körper nach entsprechenden Merkmalen suchen. Bei psychischen Störungen seit über 170 Jahren übrigens ohne durchschlagenden Erfolg (ADHS und die Suche nach dem Heiligen Gral).
Doch ich schweife ab. Wichtig ist noch die Feststellung, dass für die Frage, ob Hetero-, Homo- oder Wasauchimmersexualität eine Krankheit oder eine psychische Störung ist, der genetische Befund irrelevant ist. Das heißt: Ob es nun "Schwulengene" gibt oder nicht, ändert nichts an der Antwort auf die Frage.
Oder schauen Sie einmal in den Spiegel. Was für eine Augenfarbe sehen Sie da? Die ist wahrscheinlich stark genetisch determiniert. Trotzdem sind blaue, braune oder wasauchimmer Augen keine Krankheit.
Kann man Homosexualität nun therapieren?
Auf den Befund, dass es keine "Schwulengene" gibt, reagieren manche mit der Frage: Heißt das nicht, dass man Homosexualität nun doch therapieren kann?
Zunächst sei noch einmal daran erinnert, dass die neue Studie gar nicht spezifisch Homosexualität untersucht hat. Es ging schlicht darum, ob die Teilnehmer mindestens einmal im Leben gleichgeschlechtlichen Sex gehabt hatten. Diese Personen nannten die Forscher dann etwas umständlich "nicht-heterosexuell".
Man kann Laien dieses Missverständnis aber kaum verübeln, wenn gar Nature News titelte "Kein 'Schwulengen': Mega-Studie nähert sich der genetischen Basis menschlicher Sexualität". Oder Forbes: "Das 'Schwulengen' ist ein Mythos, aber schwul sein ist 'natürlich', berichten Forscher". Oder BBC News, immerhin etwas weniger peinlich: "Kein Gen für sich hängt damit zusammen, schwul zu sein".
Aus einer Studie, die nicht einmal Homosexualität untersucht hat, lässt sich prinzipiell nichts über "Homosexualitätsgene" herausfinden. Lang lebe der Wissenschaftsjournalismus! Dass ein einzelnes Gen keinen Effekt hat, stimmt so auch nicht. Für den Abschnitt rs34730029-11q12.1 errechneten die Forscher beispielsweise, dass eine von zwei Ausprägungen die Wahrscheinlichkeit für gleichgeschlechtliche Kontakte (allerdings nur bei den Männern) von 3,6% auf 4,0% erhöhte.
Das "Hetero-Gen"
Zudem übersehen viele, dass die Redeweise vom "Schwulengen" genauso ein "Hetero-Gen" impliziert. Bleiben wir beim Beispiel rs347… Bei der Ausprägung Guanin/Thymin an diesem Ort waren gleichgeschlechtliche Kontakte etwas wahrscheinlicher. Komplementär dazu waren aber bei der alternativen Ausprägung Thymin/Thymin ausschließlich andersgeschlechtliche Kontakte wahrscheinlicher.
Dass man nur Pressemitteilungen über angebliche Schwulen-, aber keine Hetero-Gene las, hängt wohl damit zusammen, dass wir Homosexualität immer noch als das Andere ansehen. Damit transportieren aber die dem Anschein nach so toleranten Berichte auch die Botschaft, Homosexualität sei nicht normal. Dazu später mehr.
Stattdessen zurück zur Frage, ob man Homosexualität therapieren kann, wenn es dafür keine (starke) genetische Basis gibt. Gegenfrage: Warum sollte man sie therapieren? Warum therapieren wir nicht Heterosexualität? Weil es keine Störung ist? Richtig! Und Homosexualität ist auch keine. Also warum über Therapie reden?
Dem therapeutischen Fehlschluss liegt wohl die Überzeugung zugrunde, dass ein Phänomen, für das es keine (starke) genetische Basis gibt, veränderlicher ist. Das kann man so aber nicht sagen. Wir gehen heute doch von einer großen Plastizität des Gehirns aus und wissen ebenfalls um die Regulierung von Genaktivität durch Umwelteinflüsse, etwa über epigenetische Mechanismen. Oder mit anderen Worten: Wenn prinzipiell alles veränderlich ist, warum dann nicht die sexuelle Orientierung?
Der liberale Rechtsstaat
Das richtige Gegenargument gegen intolerante Kräfte, die einen nicht so akzeptieren, wie man ist, besteht meiner Meinung nach nicht darin, sich ein falsches Argument über genetische Determination aus den Fingern zu saugen. Die richtige Erwiderung kann und muss meiner Meinung nach nur sein:
Wir leben in einem liberalen Rechtsstaat, in dem erlaubt ist, was nicht verboten ist, und man zudem frei ist, das zu tun, was man will, sofern man nicht die Freiheit eines Anderen einschränkt. Ergänzend könnte man noch hinzufügen, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein Grundrecht und die Sexualität ein wesentlicher Teil davon ist. Insofern darf der Staat Bi-, Hetero- oder Homosexualität nicht nur nicht verbieten, sondern muss er sogar ermöglichen, dass Menschen diesen Neigungen nachgehen können.
Man hat das Argument von der biologischen oder genetischen Determination der Sexualität mitunter verwendet, um Konservative zur Zustimmung etwa zur "Homo-Ehe" zu bewegen. Der sensibelste Punkt ist dabei das Adoptionsrecht. Gemäß Befragungen scheinen manche Konservative zu denken, dass Homosexualität weniger "ansteckend" ist, wenn sie von Geburt an festgelegt ist.
Dass diese biologische Rhetorik nach hinten losgehen kann, sehen wir jetzt, wo eine Studie die Vorstellung von "Schwulengenen" unterminiert. Man sollte ehrlich rechtsstaatlich und rechtsphilosophisch diskutieren, anstatt zu versuchen, seinen Diskussionsgegner mit konstruierten biologischen Argumenten zu überzeugen.
Ich bin jedoch optimistischer, dass sich der Gedanke, Homosexualität müsse man therapieren, therapieren lässt. Mitunter reicht das Verständnis eines guten Artikels zum Thema.