Was wären wir nur ohne Hacker?

Pekka Himanens "The Hacker Ethic" betreibt nicht nur Heldenverehrung, sondern geht auch von falschen Voraussetzungen aus

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Zu Beginn des Jahres 2001 – je nachdem, wie man zählt, also auch zu Beginn des 3. Jahrtausends – publiziert Pekka Himanen sein Buch "The Hacker Ethic and the Spirit of the Information Age". Linus Torvalds steuert den Prolog bei, Manuel Castells den Epilog. Nun sind gerade die beiden Letztgenannten nicht irgendwer, während mir aber zunächst die Frage "Pekka wer?" durch den Kopf schoss. Linus Torvalds genießt in der Computerszene und weit darüber hinaus den Ruf des Helden, der als Schöpfer von Linux den Kampf gegen den Betriebssystemmonopolisten Microsoft aufgenommen hat. Manuel Castells wiederum ist nicht unter Computerfreaks, aber unter Soziologen für sein dreibändiges Werk "The Information Age" bekannt. Solche Berühmtheiten holt man sich nicht ins Boot eines Publikationsprojekts, wenn man nicht der Überzeugung ist, Großes zu verkünden. Und umgekehrt lassen sich diese wohl kaum für etwas engagieren, von dessen Bedeutung sie nicht hinreichend überzeugt sind.

Zumindest im Internet ist die Resonanz auch sehr positiv. Benutzt man Google, um nach "Pekka Himanen" zu suchen, wird man eine Unzahl von Fundstellen präsentiert bekommen. Viele davon verweisen auf Rezensionen in englischsprachigen Computerzeitschriften, in denen das Buch "The Hacker Ethic and the Spirit of the Information Age" besprochen wurde. Zumindest im englischen Sprachraum ist das Buch sehr gut angekommen; bei Amazon waren die Einschätzungen der Leser in aller Regel begeistert: fünf Sterne. Doch ist dieses Urteil wirklich aufrechtzuerhalten?

Prolog und Epilog sind im Grunde nicht der Rede wert: Linus Torvalds gibt auf wenigen Seiten wieder, was von Pekka Himanen in sieben Kapiteln durchgekaut wird; Manuel Castells wiederum schreibt eine Zusammenfassung seines Buches "The Rise of The Network Society" und stellt den Zusammenhang zu Pekka Himanens Text allenfalls deklaratorisch in den letzten Zeilen des Epilogs her. Ohne Kenntnis seines Buches ist der Epilog eher nutzlos.

In den ersten vier Kapiteln kontrastiert Himanen Hackerethik und Max Webers "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" aus dem Jahre 1904. Unter Soziologen gilt Webers Text als herausragende Analyse der Entstehung des Kapitalismus aus religiösen Wurzeln, in erster Linie aus der protestantischen Prädestinationslehre. Der damit verbundene Arbeitsethos ist dadurch gekennzeichnet, dass Arbeit als Sinn an sich gesehen wird, dass Menschen ihr Leben arbeitszentriert organisieren und alle anderen Aspekte des Lebens in den Hintergrund bzw. in den Dienst der Arbeit stellen, auch wenn diese Arbeit keinerlei innere Befriedigung schafft. Dem stellt Himanen seine Hackerethik entgegen, die darauf abhebt, dass Hacker sich in jeder Situation so verhalten, dass alle Tätigkeiten innere Befriedigung, Lust, ja Unterhaltung abwerfen. Hacker tun die Dinge aus Passion, nicht aus Pflicht.

Die ersten vier Kapitel könnte man zwar inhaltlich durchaus kritisieren, doch haben sie zumindest einen inneren Zusammenhang und verfolgen eine einheitliche Argumentation. Mit Kapitel fünf und den folgenden Abschnitten drängt sich jedoch das Gefühl auf, dass Himanen so recht nichts mehr einfallen wollte. Es wird willkürlich und in Schlagworten auf wichtige Fragen des Umgangs mit Informations- und Kommunikationstechnik eingegangen. Hier, im Kernland sozialer und moralischer Probleme, wird deutlich, dass der Text Himanens trotz der Anleihen bei Max Weber allenfalls essayistischen Ansprüchen genügen kann.

Er nimmt beispielsweise nicht wahr, dass im angelsächsischen Sprachraum – und dies gilt mit leichten Abstrichen, vor allem mit einer zeitlichen Verzögerung, auch für die deutschsprachige Diskussion – eine Fülle von Publikationen erschienen ist. Spätestens seit der Einführung des WWW und dem damit verbundenen rasanten Anstieg der Nutzerzahlen des Internet, also seit Beginn der 90er Jahre, werden die Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaften aus ökonomischer, sozialer, ethischer, juristischer und politischer Perspektive diskutiert. Aber außer Manuel Castells – der als Co-Autor beinahe gezwungenermaßen zitiert werden musste –, Whitfield Diffie mit Susan Landau und Lawrence Lessig zitiert Himanen allenfalls Texte aus dem Internet, die zumindest vom Titel her einigermaßen relevant in Bezug auf das Themenspektrum sozialer Wandel, Verantwortung, Technikfolgen erscheinen. Doch ob es gefällt oder nicht: nur sehr wenige Sozialwissenschaftler, Juristen, Philosophen oder Politikwissenschaftler publizieren ihre Texte im Internet; sie muss man schon in Fachzeitschriften oder Büchern suchen.

Sicherlich könnte man diese Nachfrage nach Publikationen der traditionellen Art als kleinlich oder konservativ empfinden, doch muss man bei Himanen ein seltsames Ungleichgewicht feststellen: Auf der einen Seite zitiert er beinahe jeden der platonischen Dialoge, um seine Sicht der Dinge zu stützen, aber kaum einen der aktuellen Beiträge zur Internetethik. Schon hier könnte eine gewisse Voreingenommenheit vermutet werden, doch verstärkt sich diese Gefühl beinahe zur Gewissheit, wenn man betrachtet, aus welchem Autorenkreis er seine Internetzitatstellen bezieht. Schon aus den Titeln der Publikationen ist ersichtlich, dass es Himanen nicht geschafft hat, über den Tellerrand der Open Source-Gemeinde bzw. der Linux-Bewegung hinauszuschauen.

Unzweifelhaft sind aus diesem Bereich viele wertvolle Impulse auch zur Diskussion von Privacy und freiem Informationszusammenhang gekommen. Doch sollte dies nicht dazu führen, einen teilweise schon ins Peinliche und Unerträgliche gehenden Lobgesang auf Linus Torvalds, Linux, Hacker und Open Source zu halten. Und dabei in einer mehr als offensichtlichen Rangfolge, die den historischen Ereignissen beileibe nicht gerecht wird, denn Hacker und Open Source waren ja vor Torvalds und Linux da. Gewollt oder nicht betreibt Himanen damit so etwas wie Heldenverehrung – zumindest beteiligt er sich zusammen mit Torvalds und Castells an einer solchen –, die schon deshalb nicht akzeptabel ist, weil sie zum einen völlig kritiklos daher kommt und zum anderen einer mehr als offensichtlichen Parallele zu den Selbst- und Fremdstilisierungen rund um Gates, Grove oder Dell entspricht. Doch gerade auf Bill Gates wird die Linux-Gemeinde ja nicht müde einzuschlagen.

Die genannten Einwände wären eigentlich schon genug, um das Buch Pekka Himanens als netten, aber gescheiterten Versuch anzusehen, eine plausible Gegenposition zu neoliberalen Strömungen aufzubauen. Leider jedoch enthält das Buch auch inhaltlich schwere Fehler, sowohl was seine Prämissen als auch was seine Schlussfolgerungen angeht. Da viel zu viele Einwände geäußert werden könnten, möchte ich mich deshalb jeweils auf einen Aspekt konzentrieren.

Himanen unterstellt, dass die Open Source-Gemeinde keine Hierarchien kenne bzw. Autoritätsverhältnisse nie auf Dauer gestellt werden, sondern nur temporär sind und durch Kompetenz aufrechterhalten werden. Jede Person könne, so ein weitverbreiteter Mythos, Beiträge zu Linux und anderen Open Source-Projekten liefern. Diese würden dann rein nach ihrer Qualität und nicht nach irgendwelchen Hierarchiekriterien beurteilt. Doch dies scheint zumindest stark bezweifelbar. Der Orbiten Free Software Survey vom Mai 2000 spricht hier eine ganz andere Sprache:

"Free software development may be distributed, but it is most certainly very top heavy."

Der Survey zeigt, dass der Anteil der unorganisierten oder Gelegenheitsprogrammierer am Code von Free Software gering ist. Hier ist ein Prozess hin zur Professionalisierung zu beobachten, der nur noch sehr wenig mit dem idyllischen Bild des idealistischen Hackers als Gegenstück zum selbstversorgenden Ökobauern gemeinsam hat. Und er zeigt, dass sich im Bereich der Open Source Gruppen entwickeln, die nicht ohne weiteres zugänglich sind.

Von Kennern der Szene wird außerdem berichtet, dass es gar nicht so unproblematisch ist, als Neuling beispielsweise an einer Newsgroup oder Mailinglist teilzunehmen. Hier muss man oftmals eingeführt werden durch arrivierte Mitglieder, Fragen und Bemerkungen müssen von solchen Leuten zunächst erlaubt bzw. unterstützt werden. Ohne Zweifel entwickelt hier eine Subkultur ihre eigenen Statuspositionen. Alles andere wäre auch mehr als verwunderlich.

Es ist wohl kaum verwunderlich, wenn aus falschen Prämissen falsche Schlussfolgerungen und falsche Gesellschaftsmodelle entwickelt werden. Pekka Himanen beschreibt das Tun von Hackern als das Wirken von Einzelnen. Daran ändert auch die stetige Wiederholung der Behauptung nichts, dass Hacker ihre "Produkte" für andere Menschen herstellen. Doch es wird vergessen, dass alle modernen Industriegesellschaften und auch die so genannten Informations- bzw. Wissensgesellschaften hochgradig arbeitsteilig organisiert sind.

Wenn Himanen die Bücher von Manuel Castells nur etwas genauer gelesen hätte, ist es schwer vorstellbar, dass er sein Buch in ähnlicher Weise geschrieben hätte, denn der Begriff der Netzwerkgesellschaft beinhaltet selbstverständlich Arbeitsteiligkeit. Sie bedeutet aber auch Abhängigkeit - und Softwareproduktion macht hier keine Ausnahme. Projekte wie Linux müssen koordiniert werden, denn Software, die modular von vielen Personen geschrieben wird, beinhaltet Schnittstellen und damit Abhängigkeiten. Dies bedeutet aber auch, dass die daran Beteiligten darauf vertrauen können müssen, dass Abmachungen eingehalten werden und dass Termintreue erfüllt wird. Dahinter steht letztlich ein Prozess der Professionalisierung, der durch die Zahlen des oben schon genannten Orbiten Software Survey auch bestätigt wird. Damit ist aber häufig ausgeschlossen, dass die daran Beteiligten so agieren, wie dies Pekka Himanen offensichtlich meint. Hier kann eben nicht nur nach dem Lustprinzip vorgegangen werden: Verantwortungsübernahme beinhaltet oftmals Unterordnung, Frust, Überarbeitung, Unlust.

Doch wichtiger ist, dass Himanen ebenso wie Torvalds der Meinung ist, dass jeder Mensch bei jeder Arbeit ein Hacker sein könne. Doch es gibt – leider – zu viele Bereiche der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die nur dann funktionieren, wenn die dort Beschäftigten von "acht bis fünf" arbeiten, sich allgemein also an feste Abläufe orientieren und diese auch nicht hinterfragen. Der Gesundheitssektor ist nur einer dieser Bereiche, in dem eine solche Verbindlichkeit mit den damit verbundenen Nachteilen für die Beschäftigten unabdingbar ist.

Hacker bilden eine Minderheit; hinzu kommt, dass selbst Himanen an verschiedenen Stellen seines Buches mehr oder minder beiläufig bemerkt, dass sie z. B. keine homogene Gruppe bezüglich Themen wie der Hackerethik darstellen. Die Frage ist, ob Hacker nur eine Minderheit im eigentlichen Sinn oder aber eine Art der Avantgarde bilden. Sie selbst, zumindest durch ihre Sprachrohre wie Linus Torvalds oder Pekka Himanen, sehen sich als Avantgarde, die zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen will und wird. Aber von außen betrachtet erscheinen sie beileibe nicht so avantgardistisch. Ihre Technikgläubigkeit ist nichts wirklich Neues in der Geschichte; neu wäre nur, wenn diese Gläubigkeit berechtigt wäre. Doch hat Technik in der Vergangenheit eher zur Verschärfung von sozialen Problemen denn zu ihrer Lösung beigetragen.

Etwa zu glauben, dass Privacy als soziales Problem alleine schon durch die Verwendung von Kryptographie zu lösen wäre, ist im besten Falle blauäugig. Es wird dabei schlicht übersehen, das demokratisch verfasste Gemeinwesen im Einzelfall durchaus ein legitimes Interesse an der Abhörung elektronischer Kommunikation haben. Wie dies mit den wiederum legitimen Ansprüchen der Netzbenutzer nach Vertraulichkeit der Kommunikation in Einklang zu bringen ist, kann nicht durch die Verwendung einer Technik beantwortet werden. Hier müssen sich Bürger und Institutionen auf gemeinsame Normen des Umgangs einigen; das aber ist ein sozialer bzw. politischer Prozess. Pekka Himanen kann dies in seiner mehr als deutlichen Distanz zu gesellschaftlichen Institutionen nicht sehen. Er teilt diese Einstellung mit vielen Neoliberalen, von denen er sich allenfalls verbal unterscheidet.

Letztlich ist Pekka Himanens "The Hacker Ethic and the Spirit of the Information Age" ein großer Widerspruch in sich und ein großer Irrtum hinsichtlich der Bedeutung der selbstgewählten Bezugsgruppe. Denn wenn es in der Hackergemeinde keine auf Dauer gestellte Autorität geben soll, kann und darf es auch keine verbindliche Ethik bzw. Ideologie der Hacker geben. Es ist zwar verständlich, dass nach dem praktisch weltweiten Zusammenbruch des kommunistischen Projekts viele Menschen nach Utopien suchen, doch angesichts der desillusionierenden Folgen dieses gigantischen sozialen Experiments sollten wir alle – ob Hacker oder nicht – Heilsversprechen gegenüber mehr als skeptisch sein, egal ob sie von Pekka Himanen, Linus Torvalds oder sonst wem stammen.

The Hacker Ethic: And The Spirit of the Information Age, by Pekka Himanen, Linus Torvalds and Manuel Castells, 232 pp, New York: Random House 2001, 24.95 Dollars.