Was will die AfD?

Seite 3: Fantasmen der Identität

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Äußerungen von Storch und Petry zu den Anschlägen in Brüssel haben trotz der Versuche, die rechtsnationalen Tendenzen zu marginalisieren, wieder versucht, die Empörungsschiene zu bedienen und die Schuld dafür der Einwanderungspolitik der Regierung und der Mulit-Kulti-Kultur zuzuschieben, die nichts machen, wegsehen und auf Integration setzen. Beide Frauen, die sich gerne einmal befehden und in Konkurrenz zueinander stehen, suchen den Terroranschlag für ihre Politik zu instrumentalisieren. Das machen viele, aber ihre Richtung ist deutlich nationalistisch oder identitär. Es sei "unsere Kultur" getroffen worden, so Storch, die "verschütt gegangen (ist) unter all dem Multi-Kulti-Gequatsche. Und jeder einzelne, der heute starb, der starb, weil es Menschen gibt, die diese unsere Kultur sterben sehen wollen."

Petry argumentierte ganz ähnlich. Dabei steht nicht Demokratie, Rechtsstaat, Freiheit, Aufklärung oder auch Toleranz im Vordergrund, sondern die Nation oder die Identität, zur Not auch als Europäer, aber jedenfalls gegen die Bösen und gegen diejenigen, die nicht national, sondern etwa kosmopolitisch ausgerichtet sind, im Übrigen eine Kernidee der universalistisch angelegten abendländischen Aufklärung, die schon vor der Ausbildung der Nationalstaaten stattgefunden hat. Petry schrieb:

Es geht um unsere Identität als freiheitlich aufgeklärte Europäer! Wir sind fest entschlossen, diesem Treiben ein Ende zu setzen! Jetzt werden Sie nämlich wieder irgendetwas sein. Sie waren Charlie, sie waren Paris und jetzt sind alle Brüssel oder gar Belgien. Nun werden alle so damit beschäftigt sein, gegen rechte Hetzer aufzustehen und zu demonstrieren, dass sie dabei vergessen, etwas dagegen zu tun! Dann heißt es vielleicht bald: Ich bin Berlin, Rom, Malmö und Rotterdam! Damit Sie Ihre nutzlosen Bilder nicht immer austauschen müssen, ein kleiner Tip: ‪#‎IchbinWelt‬

Das passt immer und vor allem immer öfter, ihr Heuchler. Heute sind wieder Menschen gestorben und es werden weitere sterben, so lange ihr selbst nicht wisst, wer ihr wirklich seid und wofür ihr steht. Es geht nämlich um unsere Identität als freiheitlich aufgeklärte Europäer!

Petry

Wer nicht national oder gar völkisch auf Selbsterhaltung ausgerichtet ist, wird für den Terror verantwortlich gemacht, der zudem nichts mit der amerikanischen und europäischen Politik und Kultur zu tun haben soll, auch wenn die Terroristen von Brüssel in Europa aufgewachsen und belgische Bürger sind, sie haben mit der jetzigen Einwanderungswelle nichts zu tun. Die Argumentation erinnert an Breivik, der auch den liberalen Bürgern seines Landes vorwarf, die Kultur zu zerstören, um zu legitimieren, warum er zum Widerstand mitsamt Massaker genötigt sei.

Der Hang zum Terror als Widerstand zur Erhaltung des Abendlandes ist nicht die Politik der AfD, aber sie ist in derselben Gedankenwelt verwurzelt, die eine historisch auch durch Invasionen und Völkerwanderungen entstandene Kultur auf Teufel heraus verteidigen will, auch wenn das Bild vom Kampf des Abendlandes gegen das Morgenland der Vergangenheit angehört und lediglich widerspiegelt, was die Islamisten nur andersherum auch vertreten.

Auch der Nationalstaat war stets ein Konstrukt, der in der Regel mit der Unterwerfung von Minderheiten einherging. Auch heute noch beherrschen Konflikte zwischen unterschiedlichen Kulturen oder Ethnien die Politik vieler europäischer Staaten, wie ein Blick nach Großbritannien, Spanien oder Belgien offenbaren würde. Ihn heute noch mit ethnischen oder religiösen Identitäten zu verbinden, ist geradezu grotesk und geschichtsvergessen. Nicht nur leben in Deutschland viele Menschen mit Migrationshintergrund, die Deutschen selbst sind ein Produkt von Einwanderungen (und sie waren ein Volk von Migranten nach Nord- und Südamerika oder nach Osteuropa und Russland), zudem gibt es die deutsche Nation nicht sonderlich lange. Davor gab es ein Gebilde, ähnlich, wenn auch weniger integriert wie die EU heute. Die deutsche Sprache wird nicht nur in Deutschland gesprochen, sondern auch in Österreich und der Schweiz, aber auch in Südtirol und im Elsass. Ist man bald wieder bei Großdeutschland?

In den Landtagswahlkämpfen konnte die AfD die Angst vor den (muslimischen) Flüchtlingen oder eher deren Abwehr, Masseneinwanderung genannt, was wohl nicht zufällig an Ausdrücke wie Massenvernichtungswaffen erinnert, als primäres Thema durchsetzen und damit die anderen Parteien vor sich hertreiben. Mitgeholfen hat dabei auch die CSU, in der man noch immer glaubt, dass durch Aufgreifen und Forcieren der damit verbundenen Themen - Staatsversagen, Schutz der nationalen Grenzen, Abwehr der "Überflutung", Erhalt der deutschen Leitkultur etc. - das rechte, zur AfD tendierende Wählerpotential ausgetrocknet werden kann. Es wird allerdings eher verstärkt: in der Partei selbst, die sich nach Umfragen halten kann, aber auch durch die AfD, die gleichwohl auch in Bayern zweistellige Werte erreichen kann und mittlerweile nach dem DeutschlandTrend mit 12 Prozent zur drittstärksten Partei bundesweit geworden ist.

In den Wahlprogrammen war man oft ein wenig deutlicher und auch nationalistischer sowie rückwärtsgewandter, im Parteiprogramm versucht man ein weniger zurückhaltender zu formulieren und lässt auch einige Themen aus.

Zur Bewahrung und Förderung unserer vielfältigen National- und Regionalkultur gehört auch, dass wir die ungezügelte Masseneinwanderung sofort stoppen und von den hier bereits ansässigen Einwanderern konsequent einfordern, dass sie unsere kulturellen Standards respektieren, die gesellschaftlichen Regeln befolgen und sich aktiv in unser historisch gewachsenes Gemeinwesen einfügen.

Unsere Politik achtet den Menschen so wie er ist - mit seinen ethnisch- kulturellen, aber auch geschlechtlichen Identitäten. Wir wehren uns gegen lebensfremde Gesellschaftsexperimente, die den Wandel der Geschlechterrollen manipulieren und einen neuen, geschlechtsneutralen Menschen erschaffen wollen.

Wahlprogramm AfD Sachsen-Anhalt

Die Sehnsucht nach dem Identitären findet sich nicht nur in nationalen Aspekten mitsamt der Ablehnung des Fremden, sondern auch im Versuch, die traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau, fixiert auf die Produktion möglichst vieler Kinder, aufrechtzuerhalten und den Kampf gegen den Feminismus, die Gleichstellung und alles, was nach Gender riecht, möglichst zu verbannen. Auch darin gleichen die Sehnsüchte der neuen Rechten fundamentalistischen Bestrebungen im Islam oder im Christentum, wo ebenfalls die traditionelle Familie, die herkömmlichen Geschlechterrollen und die Bedeutung der natürlichen Reproduktion verteidigt oder neu durchgesetzt werden sollen.

Die Alternative für Deutschland ist wahrhaft konservativ, der Weg nach vorne soll zurückgehen und in eine starre politische, ethnische, territoriale, finanzielle, gedankliche und sexuelle Ordnung mit geschlossenen Türen münden. Eigentlich ziemlich langweilig, auch wenn sich die Vertreter so fühlen, als würden sie den Aufbruch repräsentieren. Es ist, so könnte man sagen, eine dialektische Reaktion auf die Auflösungen der Grenzen der Staaten und der fixierten Identitäten, die Aufklärung, Kapitalismus, Internationalismus/Globalisierung, Technik und Machtkritik auch als Utopie und in Reaktion auf Faschismus und Stalinismus vorangetrieben haben. Der Rückzug in Festungen und die Abwehr der universalistischen Aufklärung verbindet die rechten Bewegungen in Europa mit dem Islamismus.