Weder Putin noch Nato: Mehr Sicherheit durch Blockfreiheit?

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Streitbar: Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Archivbild: MeJudice / CC BY 3.0

Die Münchner Sicherheitskonferenz setzt auf Abschreckung. Was Griechenlands Ex-Finanzminister auf der Gegenkonferenz vorschlug.

Während auf der Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende alle Zeichen auf Wettrüsten standen und Bundeskanzler Olaf Scholz den Zusammenhalt der Nato-Staaten beschwor, hat Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis auf einer Gegenveranstaltung im Rahmen der Internationalen Münchner Friedenskonferenz für eine neue Blockfreien-Bewegung geworben.

Blockfreiheit: Historische Alternative zu Nato und Warschauer Pakt

Es gebe einen neuen Kalten Krieg – und aus einem solchen sei auch das historische Bündnis blockfreier Staaten hervorgegangen, erinnerte er.

Auf Initiative Indiens und Jugoslawiens hatten im Jahr 1961 mehrere Staaten, die sich nach der Auflösung der Kolonien weder dem kapitalistischen Westen noch dem realsozialistischen Warschauer Pakt anschließen wollten, einen eigenen Zusammenschluss gegründet. Als Ziele benannten sie Selbstbestimmung, Antikolonialismus, Antiimperialismus und Antirassismus – und sie warnten vor einem dritten Weltkrieg als Folge der Blockkonfrontation.

Angesichts der Töne von der Münchner Sicherheitskonferenz waren sich auf der Gegenveranstaltung der Friedensorganisationen alle einig, dass die heutige Situation mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion mindestens ebenso gefährlich ist.

Mahnung: Ein Dritter Weltkrieg ist nicht die einzige Gefahr

"Es braucht nur einen Funken, um eine enorme Katastrophe auszulösen", sagte Varoufakis. Der Theologe Boniface Mabanza Bambu von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika hatte zuvor betont, dass eine weltweite "Friedensagenda" auch die Voraussetzung sei, um angesichts der Klimakatastrophe die richtigen Prioritäten zu setzen und "die größte Katastrophe für die Menschheit" zu stoppen.

Aus der Perspektive des globalen Südens sei die "Normalität" schon immer eine andere gewesen als im globalen Norden und Westen vor dem Ukraine-Krieg und der Corona-Krise. Normalität habe dort viel mit funktionierenden Lieferketten zu tun gehabt, während große Teile der Menschheit schon immer Mangel, Unsicherheit und Gewalt kannten.

Aufrüstung und Abschreckung: Die Devise von Kanzler Scholz

Lichtjahre entfernt von dieser Wahrnehmung schien die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich auf der Sicherheitskonferenz im Luxushotel Bayerischer Hof auf den Krieg in der Ukraine konzentrierte, den Zusammenhalt der Nato gegen Russland beschwor und um Verständnis für hohe Rüstungsausgaben warb.

"Einen Diktatfrieden auf Geheiß Moskaus wird es nicht geben, weil wir das nicht zulassen werden", so der deutsche Kanzler. Zugleich betonte Scholz, er wolle keinen direkten Krieg zwischen der Nato und Russland.

Allerdings sprach er von Fähigkeiten "zur Abschreckung", die "glaubwürdig sein und glaubwürdig bleiben" müssten – wenige Tage, nachdem die EU-Spitzenkandidatin seiner Partei, Katarina Barley, in einem Interview auch eine eigene EU-Atombombe in Betracht gezogen hatte, falls auf den "Schutzschirm" der USA kein Verlass mehr sei.

Rüstungsetat: Düstere Aussicht für die 2030er-Jahre

"Ich erzähle Ihnen vermutlich nichts Neues, wenn ich sage: Deutschland investiert dieses Jahr und auch in den kommenden Jahren, in den 20er-, den 30er Jahren und darüber hinaus, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung", sagte Scholz am Samstag in München. "Wir müssen uns mehr denn je darum kümmern, dass unsere Abschreckung modernen Anforderungen gerecht wird."

Dementsprechend machte sich Varoufakis auch keine Illusionen, dass aktuell in Europa Regierende für eine neue Blockfreien-Bewegung gewonnen werden könnten. Diese Bewegung müsse "von unten" kommen, betonte er. Die Frage nach zeitlichen Perspektiven blieb angesichts der aktuellen Eskalationsgefahr im Raum stehen.

Warum die Nato kein Sicherheitsgarant ist: Zwei Argumente

Varoufakis gehört der gesamteuropäischen Bewegung DiEM25 an, was für "Democracy in Europe Movement 2025" steht. Er war im Januar 2015 auf der Liste der Linkspartei Syriza ins griechische Parlament gewählt und wenig später als Finanzminister vereidigt worden, trat aber im Juli 2015 zurück, als sich abzeichnete, dass die Regierung in Athen das Ergebnis des Volksentscheids gegen das EU-Spardiktat nicht umsetzen würde.

Aus aus seiner Sicht ist es eine Illusion, wenn sich osteuropäische Länder von der Nato-Mitgliedschaft mehr Sicherheit versprechen – sein eigenes Land werde militärisch am ehesten von einem anderen Nato-Staat, nämlich der Türkei bedroht, schrieb Varoufakis unlängst in einem englischsprachigen Debattenbeitrag.

Darin rief er auch in Erinnerung, dass weder historisch noch aktuell alle Nato-Staaten Demokratien seien. Den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hatte er jedoch klar verurteilt und Wladimir Putin als Verbrecher bezeichnet.

Friedens- oder Kriegslogik: Wer sind die Traumtänzer?

Auf den gängigen Vorwurf der "Traumtänzerei" an die Friedensbewegung ging auf dem Podium der Philosophieprofessor Olaf Müller ein: Aus seiner Sicht kann es erst recht Traumtänzerei sein, davon auszugehen, dass Wettrüsten und die Logik der Abschreckung einen womöglich finalen Weltkrieg verhindern.

Varoufakis hatte zuvor auch eine Rede auf der Abschlusskundgebung der Gegendemonstration zur Münchner Sicherheitskonferenz gehalten. Dort war wesentlich stärker der Israel-Gaza-Krieg thematisiert worden.

Israel-Gaza-Krieg als Schwerpunkt der Proteste

Einige hatten dabei eine rund 45 Meter lange Folie mit Namen von Bombenopfern aus Gaza durch die Münchner Innenstadt getragen – 5.000 Namen waren es nach Angaben von Beteiligten, die Liste sei aber unvollständig.

Auf der Demonstration fiel von palästinensischer Seite auch der Vorwurf des Genozids. Auch Varoufakis schloss sich dem an und gab der deutschen Regierung eine Mitschuld, weil sie die Netanjahu-Regierung in Israel unterstütze.

Der Terrorangriff der palästinensischen Hamas vom 7. Oktober 2023 wurde nicht verschwiegen, aber eine Rednerin hatte bereits bei der Auftaktkundgebung betont, dem seien 75 Jahre Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und mehrere Kriege vorausgegangen.

Den Vorwurf des Genozids hatten in den vergangenen zwei Jahren auch häufig ukrainische Politiker gegen Russland erhoben. Strafrechtsexperten sprachen in diesem Zusammenhang davon, dass der Genozidbegriff in politischen Debatten anders verwendet werde, als er juristisch konstruiert sei.