Weimarer Provinzposse mit Kamera

Weil sie auch Redaktionen von Tageszeitungen, Politikerbüros und Arztpraxen mit abdeckten, wurden die kaum installierten Videokameras in Weimar wieder abgebaut

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Schon längst gehört die Kameraüberwachung auf öffentlichen Plätzen zur alltäglichen Normalität (Wie eine Seuche). In der Regel protestieren Bürgerrechtsgruppen gegen die zunehmende Dauerbeobachtung. Doch ein Großteil der Bevölkerung unterstützt sie mit dem Verweis auf mehr Sicherheit und Schutz vor Kriminalität.

Um so erstaunlicher, dass in Weimar jetzt die frisch installierten Kameras wieder abgebaut werden mussten und mittlerweile sogar der Stuhl des verantwortlichen thüringischen Innenministers Andreas Trautvetter mit CDU-Parteibuch wackelt. Nicht einmal eine Woche waren die Kameras in Betrieb und sorgten für eine Debatte, wie sie von Bürgerrechtlern bei diesem Thema bisher vergeblich angemahnt wurde. In der Klassikerstadt entzündete sich die Auseinandersetzung vor allem an der Überwachung am zentralen Goetheplatz und dem nahen Theaterplatz. Dort befinden sich nicht nur die Redaktionen der Thüringer Landeszeitung und der Thüringer Allgemeinen. Auch die Büros der Stadtratfraktionen von SPD und Bündnisgrünen sowie Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien wären durch die Kameras einsehbar gewesen. #

Das veranlasste die Lokalredaktion der Thüringischen Landeszeitung am vergangenen Mittwoch sogar zu einer Protestaktion. Eine ganze Zeitungsseite wurde mit den Slogans: "Ich bin ein unbescholtener Bürger, ich bin eine unbescholtene Bürgerin" bedruckt. Die Leser wurden aufgefordert, damit vor das Redaktionshaus zu kommen und sich von der Kamera fotografieren zu lassen. Außerdem warnte das Blatt auch im redaktionellen Teil vor einer Gefahr für die Pressefreiheit durch die Überwachung. Allerdings meldeten sich im extra eingerichteten Forum auch viele Verteidiger der Kameras zu Wort. Diese Protestaktionen führte dazu, dass sich Silvia Liebaug, die Datenschutzbeauftragte des Landes Thüringen, für die Angelegenheit zu interessieren begann.

Innenminister Trautvetter scheint von den Protesten überrascht worden. Noch vor wenigen Tagen versicherte er, dass es keine rechtlichen Probleme gebe. Es sei eine Maske über die Kamera gelegt worden, so dass die Fenster und Eingänge der Zeitungsredaktionen abgedeckt würden. Allerdings wurde schnell klar, dass es nur bei schönen Worten geblieben war: "Am Montagnachmittag stellte sich bei der Vorkonferenz der Staatssekretäre für die Kabinettssitzung heraus, dass der Minister nichts geregelt hatte. Der Redaktionseingang war nicht abgedeckt, die Büros der Landtags-Vizepräsidentin Irene Ellenberger nicht und auch nicht die Arzt- und Anwaltspraxen", schrieb die Thüringer Allgemeine.

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag Wolfgang Fiedler ging auf Distanz zu seinem Parteifreund Trautvetter, in dem er von mangelnder Sensibilität bei der Kamerainstallierung sprach. Außerdem stellte er öffentlich die Frage, ob es nicht besser sei, auf die Überwachung des Goetheplatzes ganz zu verzichten.

Genau das scheint auch das Fazit der Affäre zu sein. Wenn es das Ziel der Videoüberwachung ist, die Kriminalität zu verringern, dann seien die Überwachungsobjekte doch an diesen Plätzen nicht am richtigen Ort, meinen viele Kritiker. Plätze ohne Zeitungsredaktionen, Ärztepraxen und Anwaltskanzleien dürfen nach dieser Logik überwacht werden. Dabei müsste das Recht auf das eigene Bild für alle Menschen gelten.