Welcome to my Home Page

Das volkstümliche Web Teil V

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Die Begrüßung findet sich meist auf Webseiten, deren Hauptzweck darin besteht, der Welt Hallo zu sagen. Auf diesen sehr persönlichen und wahrhaft von Amateuren erstellten Werken entsteht aus Urlaubsfotos, einem Lebenslauf, einer Sammlung von Hintergrundbildern, Rezepten, Links zu "anderen tollen Seiten" und "Alles über Status Quo" eine Ansammlung ungeordneter Information.

Obwohl "Willkommen auf meiner Homepage" nur als freundliche Begrüßung gedacht ist, erkennen erfahrene Benutzer sie als Warnung, dass der Rest der Website einen ähnlichen Informationsgehalt aufweisen dürfte.

Meine eigene Surf-Erfahrung zeigt jedoch, dass es keinen wirklichen Zusammenhang zwischen einer Willkommensbotschaft und der Qualität einer Website gibt, sie erscheint sowohl auf vollkommen sinnlosen wie auf reichhaltigen Seiten gleichermaßen. Allerdings ist das Amateurweb zugegebenermaßen durch einen Mangel an Strukturierung und zusammengewürfelten, schwer unter einen Hut zu bringenden Inhalten gekennzeichnet.

Das ist jedoch keinesfalls eine negative Eigenschaft, besonders im heutigen Web; denn so wird deutlich, dass eine richtige Person die Website kreiert hat, und nicht eine Marketingabteilung oder ein Content Management System. So erhalten die Informationen Authentizität, denn aus zehn Jahren Web lässt sich die Lehre ziehen, dass die Hingabe eines einzigen Amateurs mehr wert sein kann als die Arbeit eines Dutzends bezahlter Spezialisten. Beispielsweise sind Seiten von Fans eines Stars oft aktueller und ausführlicher als die offiziellen Agenturseiten. Besonders wenn dieser Star noch nicht wirklich groß geworden ist, sind Seiten von Fans die einzige Möglichkeit etwas zu erfahren. Und von echten Benutzern verfasste technische Anleitungen mit How-tos und Tipps sind meistens hilfreich und frei von Marketingphrasen.

In Fällen wie Geschäften aus der Umgebung, kleinen Unternehmen oder Hotels besteht zudem ein berechtigtes Bedürfnis, auch online bevorzugt mit richtigen Personen zu kommunizieren. Wenn eine Hotelbesitzerin die Website ihres Hotels selbst gemacht hat und sich dort gleichberechtigt neben Beschreibungen der Einrichtung auch eine Liste ihrer Hobbys sowie Fotos lokaler Hunde und Katzen finden, bekommt man doch gleich das Gefühl, dass der Service in dem Hotel genau so persönlich sein wird. Doch am Wichtigsten ist: Man erwartet, dass die Online-Buchung direkt an das Hotel geht, und nicht an einen Reisezwischenhändler. Diese Annahme lässt sich leider erst bei der Ankunft überprüfen, denn das Rezept für eine typische Amateurseite ist kein Geheimnis und lässt sich imitieren ...

Der "Welcome to my home page"-Stil hat durchaus seine Vorteile und in einigen Situationen funktioniert er sogar als beste Designlösung; besonders in Fällen, in denen es einfach keine andere Möglichkeit gibt, selbst wenn das Projekt keine persönliche Homepage ist.

Einige Beispiele:

Diese Promosite von BIFI kann wohl als eine der großartigsten Imitationen des Amateurstils gelten. Die merkwürdigen Gestalten aus den BIFI-Fernsehspots, die in einer undefinierbaren Fabrik arbeiten, erstellen hier die Website der Fabrik, offensichtlich in ihrer Freizeit. Stolz wird das Zomtec-Mundwasser gleich neben privaten Homepages präsentiert und Neuigkeiten veröffentlicht, die nichts mit BIFI zu tun haben. Also eine überzeugende Website von Spinnern für Gleichgesinnte, die ständig aktualisiert wird: Seit einiger Zeit gibt es sogar eine Flash-Version die wie der typische erste Versuch mit Flash aussieht.

Die Site des Wise County Sheriff's Department in Texas wird gepflegt von Lieutenant Joy und Sergeant Huffman. Sie verwenden hierfür Front Page 2000. Das Foto auf der Startseite ist verlinkt mit der Emailadresse des Sheriffs. Die Seite enthält viele alberne Grafiken und eine Menge wichtiger Hinweise für die Bürger von Wise County. Obwohl das alles unprofessionell aussieht und viele bekannte Schwächen von Amateurseiten hat (zum Beispiel die Navigation, die von einer anderen Seite kopiert und dann nur leicht angepasst wurde), transportiert sie ihre Botschaft auf die bestmögliche Weise: "Euer Sheriff ist hier, unter euch und für euch, und er weiß, dass man eure Steuergelder besser einsetzen kann als eine Designagentur anzuheuern." Ein neuer, junger Sheriff übernahm kürzlich den Dienst und ich hoffe, dass er die Seite nicht einem professionellen Redesign unterziehen wird.

D-A-S-H soll junge, locker organisierte Aktivistengruppen dazu ermuntern, sich im Internet zu engagieren und ihre Arbeit dort zu dokumentieren und zu vernetzen. Ein durch-gestalteter Look wäre hier sicher Fehl am Platz, stattdessen haben die Designer M. Stolz und D. Gestricht in diesem Entwurf mit der natürlichen Sprache des Webs gearbeitet.

Ebay ist ein weiteres gutes Beispiel, weil es den Benutzern gestattet, innerhalb der Artikelbeschreibungen mit HTML herumzuspielen. So wird improviesiert und die Improvisationen sehen unprofessionell und salopp aus. Dadurch entsteht eine spontane Flohmarktatmosphäre.

Im Januar 2005 eröffnete der New Yorker Künstler Cory Arcangel seine Ausstellung Welcome to my *Homepage* Artshow Ein guter Name für eine Ansammlung von Computerarbeiten, die der Künstler zuhause und alleine, ohne die Mithilfe einer Gruppe von Programmierern, Designern und Managern gemacht hat. Der naive Titel unterstreicht die Gegenposition zu komplizierten und teuren Produkionen des Medienkunstmarktes, "Welcome to my *Homepage* Artshow" kommuniziert auf eine freundliche Art: "Do It Yourself!"

Den "Welcome to my homepage"-Stil gemeinsam mit dem Volkstümlichen Web als aktuell brauchbare Herangehensweise ans Webdesign ins Rampenlicht zu tragen liegt mir zudem am Herzen, weil sich beide während der Dot-com-Jahre und des Broadband-Booms nicht diskreditiert und verbraucht haben. Dadurch werden sie nicht mit eitler Vergänglichkeit, Oberflächlichkeit und einem Mangel an Humor in Verbindung gebracht.

2004 organisierte die art.teleportacia-Gallerie den 1000$ Page Award um Aufmerksamkeit auf das nicht-professionelle Web zu lenken, eine Motivation für Neueinsteiger zu schaffen und natürlich -- das war letztendlich doch am Wichtigsten -- um einige noch unbekannte Seiten zu Gesicht zu bekommen. Tatsächlich fanden sich einige schöne Überraschungen. Zwischen den zu erwartenden Blogs, Portfolios und Web-Kunstwerken stieß die Jury auf Seiten, auf denen man sich gleich "Willkommen!" fühlt. Eine davon begeisterte uns besonders:

Pierre Ysewijn, Doktor der Psychologie und der Erziehungswissenschaften aus Belgien (momentan in der Schweiz lebend), gab sich sehr viel Mühe mit der Willkommensbotschaft auf seiner persönlichen Homepage: Er begrüßt seine Gäste mit einem Videoclip auf Englisch, Deutsch oder Französisch, direkt von ihm an die Besucher gerichtet. Eine sehr ehrliche Einladung zur Kommunikation. Man sieht wie Herr Ysewijn aussieht, wie alt er ist, wie er sich anhört und sich vorstellt. Die Videos enthalten sehr viel Information und tragen das altmodische "Welcome to my home page" ins DSL-Zeitalter. Zum ersten Mal wird die Willkommensbotschaft zum wirklichen Inhalt.

Mail Me!

Wie zu erwarten steht am Ende des Artikels wie am Ende jeder anständigen Webseite der "Mail Me"-Link. Egal ob als Bild oder reiner Text, lange Zeit funktionierte dieses Kontaktangebot wunderbar. Als das Web größtenteils aus Amateurseiten bestand, gehörte es gleichberechtigten Benutzern. Man konnte sich sicher sein, dass hinter jeder Email-Adresse eine Person stand, welche bereitwillig auf Fragen, Lob und Beleidigungen wartete.

Bis heute existieren Feedback-Elemente auf privaten Webseiten, was es nicht mehr gibt ist der allgemeine Brauch, Feedback zu geben. Dafür gibt es viele Gründe, natürlich wurde das Ansehen des Mediums Email vom Spam-Phänomen stark angekratzt. Für mindestens genau so wichtig halte ich jedoch die zunehmende Professionalisierung und Automatisierung des Online-Lebens und den Übergang zu verschiedenen, spezialisierten Formen der Interaktion und Kommunikation: Ausfüllen, bestellen, updaten, Passwort wiederholen, Support kontaktieren, info@ informieren und dann zur Kasse gehen. Wer heute Unbekannten eine Email schreibt, geht zudem das Risiko ein, bereits auf dem Wege im Junk-Filter hängen zu bleiben oder hinterher selbst noch mehr Spam als bisher zu bekommen.

Die einstmals faszinierende Option, direkt mit dem Autor einer Webseite in Kontakt zu treten, wurde inzwischen von Blogs verdrängt. Anstatt dem Autor direkt mitzuteilen: "Coole Seite!" schreibt man das lieber ins eigene Blog. Das lockt mehr Leser auf die gebloggte Seite und zieht weitere Kommentare in weiteren Blogs nach sich. Der Counter zeigt mehr und mehr Zugriffe, aber Niemand sagt einem irgendetwas.

Ich vermisse wirklich die Emails von den Besuchern meiner Website, viel mehr als Sterntapeten und plumpe Framesets. Zwar weiß ich, dass von Zeit zu Zeit das Web aussehen wird wie vor zehn Jahren - animierte GIFs werden nicht in Vergessenheit geraten und zur Weihnachtszeit werden Jingle Bells und Celine Dion auf unzähligen Seiten im MIDI-Format erklingen. Aber selbst das wird wohl niemanden dazu bewegen, eine Email zu schreiben: "Was für ein Müll! Frohe Weihnachten!" Das ist vorbei und ich bezweifle, dass Webdesigner etwas dagegen tun können.

Olia Lialina mailto:olia@profolia.org

Sie lasen den fünften und letzten Teil von "Das volkstümliche Web", einer erweiterten und illustrierten Version meines Vortrags auf der Konferenz A Decade of Web Design in Amsterdam, Januar 2005, ursprünglich auf Englisch gehalten. Ins Deutsche übersetzt hat den Text Dragan Espenschied.