Welt im Umbruch: Sorgen nur die USA für Frieden?

Seite 4: Westliche Allianzen bestimmen die Geopolitik

Aus geopolitischer Sicht sind (westliche) militärische und politische Allianzen die Grundlage der gesamten Architektur der internationalen Beziehungen. Hierbei handelt es sich um eine sehr verallgemeinerte Makroebene der institutionellen Analyse, die die Phänomene und Ereignisse der internationalen Politik ausschließlich aus formaler Sicht betrachtet.

Die Institutionen einer Nation, die Teil eines Systems von Allianzen und Konflikten sind, haben sicherlich eine sehr reale und solide Komponente, sind aber nicht unbedingt ein organisches Produkt des politischen Lebens eines Landes, sondern eher ein Überbau.

Wir haben daher die Hauptmotive der internationalen Politik skizziert und beschlossen, sie wie folgt zu definieren: das geopolitische Motiv oder das Motiv der Realpolitik; die moralistische Vernunft oder die Vernunft des Universalismus der Menschenrechte und des sogenannten liberalen Interventionismus; und schließlich das multipolare Motiv oder das Motiv der echten internationalen Zusammenarbeit.

Die Wissenschaft der Geopolitik, der geopolitische Blick, konzentriert sich auf den formalen und institutionellen Faktor der internationalen Beziehungen und lässt den menschlichen und kulturellen Faktor außer Acht.

Sie betrachtet die Welt als einen Ort des Wettbewerbs zwischen Ländern und Nationen, die das natürliche Ergebnis von Gesellschaften mit einem harmonischen allgemeinen Willen sind, und nicht das Produkt spezifischer interner und externer politischer Umstände.

Gesellschaften sind oft keine sehr einheitlichen Organismen – verschiedene soziale Gruppen können einander feindlich gegenüberstehen –, aber im Allgemeinen können Gesellschaften durch Social Engineering geformt werden und auf diese Weise Konsens oder zumindest passive Unterstützung schaffen. Die Eliten verbündeter Länder können kooptiert werden.

Die moralische Vernunft ist die Grundlage des liberalen Interventionismus und steht in engem Zusammenhang mit der geopolitischen Vernunft.

Einerseits dient die moralische Vernunft als Rechtfertigung für die eigenen geopolitischen Motive: Macht ist als solche ein Bestreben, Macht wäre nur eine natürliche Folge moralischer Überlegenheit und der Gerechtigkeit, die sich aus der moralischen Überlegenheit derjenigen ergibt, die die universalen Rechte schützen und für das Gute stehen.

Andererseits schließt die moralische Vernunft ebenso wie die geopolitische Vernunft von vornherein aus, dass ihre Konkurrenten politische Akteure mit legitimen Interessen sein können: Konkurrenten sind nicht nur Rivalen in der geopolitischen Arena, sondern stellen eine Inkarnation des Bösen dar.

Die multipolare Vernunft hingegen steht im Gegensatz sowohl zur geopolitischen Vernunft als auch zur politischen Vernunft. Multipolare Vernunft geht von der Anerkennung legitimer Interessen unterschiedlicher politischer Akteure aus und betont damit die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit.

Doch die Tragödie der multipolaren Vernunft liegt darin, dass sie erst dann praktikabel und möglich wird, wenn alle politischen Akteure an sie glauben.

Während der hegemoniale Expansionismus der Geopolitik und die moralische Festigkeit natürliche Phänomene als Produkte der Logik der Selbsterhaltung und Bestätigung politischer Einheiten sind, setzt die multipolare Vernunft die Erkenntnis voraus, dass die scheinbare Heiligkeit der eigenen Interessen nicht immer mit den Interessen anderer übereinstimmt.

In einer Welt, in der die Möglichkeiten zur Rivalität sehr zahlreich sind, wäre eine solche Anerkennung unerlässlich, wenn das Ausmaß des Leids auf der Welt verringert und Streitigkeiten zwischen Nationen friedlich beigelegt werden könnten.

Leider scheint dies heute eine Fata Morgana in sehr ferner Zukunft zu sein. Die Logik des geopolitischen Denkens, begleitet von der Dienerin der moralischen Vernunft, dominiert weiterhin die Welt.

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