Weltkrieg? Na und?

Weltkugel und Raketen

Die Ukraine schießt Nato-Raketen auf russisches Gebiet. Putin droht mit Vergeltung gegen westliche Staaten. Berlin tut das ab. Warum?

Die Ukraine schießt nun mit Nato-Raketen auf Ziele in Russland. Russland behält sich vor, gegen die Lieferanten und Genehmiger aus den USA, Großbritannien und Frankreich vorzugehen. Das würde einen dritten Weltkrieg bedeuten. Und die hiesige Politik und ihre Begleitmedien?

Sprechen lieber über noch mehr Waffen für die Ukraine und dass man sich keine Angst einjagen lassen solle.

Ein Mix aus Aufwiegeln und Abwiegeln

Eine eigentümliche Mischung aus kriegerischer Aufwiegelung und demonstrativer Abwiegelung: Da hat Russland eine neue Rakete erfolgreich gegen Ziele in der Ukraine getestet – als Antwort auf den Beschuss mit Atacms-Raketen der USA und den britischen Storm Shadow-Marschflugkörpern.

Der Einsatz wurde sogar den USA angekündigt, damit keine Missverständnisse entstehen – von wegen, dass da eine Waffe gegen sie unterwegs sei; und mit dem Selbstbewusstsein, dass dennoch diese Rakete nicht würde abgewehrt werden können – was auch zutraf. Der russische Präsident hatte dies mit einer beunruhigenden Drohung verbunden:

Wir betrachten uns als berechtigt, unsere Waffen gegen militärische Einrichtungen jener Länder einzusetzen, die es zulassen, ihre Waffen gegen unsere Einrichtungen einzusetzen, und im Falle einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschlossen und spiegelbildlich reagieren. Ich empfehle den herrschenden Eliten der Länder, die Pläne aushecken, ihre Militärkontingente gegen Russland einzusetzen, dies ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Wladimir Putin

Putin kann viel erzählen …

Und wie fällt die Reaktion der angesprochenen Staaten aus? Aus den USA und Großbritannien gibt es keine offiziellen Stellungnahmen. Die Lieferung und Genehmigung weitreichender Raketen und Marschflugkörper geht ungerührt weiter.

Frankreich schließt sich dem ausdrücklich an. Die Ukraine dürfe die gelieferten Scalp-Marschflugkörper mit großer Reichweite gegen Russland einsetzen. Dies liege in der "Logik der Selbstverteidigung", so Außenminister Barrot.

Dem pflichtete der deutsche Regierungschef bei und empörte sich über die "furchtbare Eskalation" – nicht des Westens natürlich, sondern Russlands, weil es seinerseits neue Raketen abgefeuert hatte.

Deutschland sei ein entschiedener Unterstützer der Ukraine. Aber es bleibe dabei, dass keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine geliefert würden, betont Scholz. Eine direkte Auseinandersetzung zwischen der Nato und Russland müsse vermieden werden

MDR

… aber der wird schon nicht ernst machen

Bundeskanzler Scholz trifft den entscheidenden Punkt: Es soll bitte schön beim Stellvertreterkrieg in der Ukraine bleiben. Dass der Westen Russland also in der Ukraine bekriegt, Russland das aber nicht als Kriegserklärung des Westens auffasst.

Zu einer solchen Strategie gehört allerdings, dass die Gegenseite mitspielt. Erstaunlich, wie sicher die USA und ihre europäischen Mitstreiter darin sind – zumal Politiker wie Medien ständig das Bild eines "bösen" Putins zeichnen, eines "Monsters", "unberechenbar" und "furchtbar".

Dieser Unmensch mitsamt seiner ihm folgenden politischen Elite in Moskau soll ausgerechnet bei der Frage zu Krieg und Frieden die Signale des Westens wie gewünscht deuten? Mithin nicht "falsch verstehen": Den Beschuss Russlands mit Nato-Raketen ermöglichen wir, genehmigen wir und finden das gut. Aber das ist keine Kriegserklärung! Und wenn die andere Seite darauf hinweist, man könnte das doch "falsch verstehen"?

Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen gesenkt

Dann wird das ignoriert oder abgetan – wie auch zuvor Moskaus Hinweis auf seine Atomstreitmacht. Hat Russland die denn eingesetzt? Nein. Eben! Keine Aufregung hat auch die geänderte Nukleardoktrin Moskaus erzeugt.

Danach könnte es zum Einsatz von Atomwaffen kommen nicht nur bei einer existenziellen Bedrohung. Sondern, auch wenn etwa die russische Exklave Kaliningrad angegriffen würde oder im Falle, dass "die Schaffung oder Erweiterung bestehender Militärbündnisse, die ihre Infrastruktur den Grenzen Russlands annähern, zu einer Gefahr werden kann".1

Sprich: Die Nato rückt ihr Militär gefährlich nahe an die russischen Grenzen heran. Im Baltikum, nun auch in Finnland und strategisch am wichtigsten: in der Ukraine. Und nicht weit entfernt die Nato-Aufmarschgebiete in den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts: Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, Slowakei.

Frank Nienhuysen von der Süddeutschen Zeitung formuliert wohl die Mehrheitsmeinung in der deutschen Öffentlichkeit2:

Putin pflegt das Prinzip des Erschreckens und Drohens (…) Auch wenn für Putin die Wahrheit über Ursache und Wirkung der Eskalation längst keine Rolle spielt, so wird er sich bei aller Skrupellosigkeit hüten, einen Nato-Staat anzugreifen (…) Die Helferstaaten der Ukraine sollten sich deshalb nicht einschüchtern lassen…

Aufrüstung dauert – warum kommt "der Russe" nicht jetzt?

Offenbar rechnen die hiesigen Herrschaften und ihre journalistischen Begleiter nicht mit einem russischen Angriff auf die Helferstaaten. Seltsam, wo doch nach verbreiteter Lesart Putin einen "imperialen Traum" (Olaf Scholz) hegt und ganz Europa bedroht. Und deshalb alle Länder auf diesem Kontinent jetzt unbedingt aufrüsten müssen, was die Staatsverschuldung dafür hergibt.

Deutschland soll demnach bis 2029 "kriegstüchtig" (Boris Pistorius) werden. Die Kriegsmaschinerie wird zusammen mit Frankreich und Großbritannien enorm verstärkt, Einheiten und Material werden nach Osten verlegt.

Und die de facto ohnehin in die Nato schon lange eingemeindeten Schweden und Finnland mobilisieren nun ebenfalls noch mehr Kriegsmittel. Das dauert aber eine Weile. Dann müsste Russland doch dieses Zeitfenster nutzen und jetzt sein Imperium Richtung Westen erweitern?

In der Ukraine geht es um – die Ukraine: als Nato-Stützpunkt

Davon ist indes nichts zu bemerken – und der Westen befürchtet dies auch nicht.

Könnte es also sein, dass es tatsächlich in der Ukraine um die Ukraine geht? Dass Russland mit allen Mitteln verhindern will, einen weiteren Nato-Stützpunkt in bevorzugter Lage mit bestem Blick auf Moskau vorgesetzt zu bekommen?

Sollte es wirklich so sein, wie es dieser unberechenbare, furchtbare Präsident immer wieder betont hat: Es geht Russland darum, die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern? Weil es um die Feindschaft des Westens weiß und ein solcher Stützpunkt für den Westen einen außerordentlichen militärstrategischen Vorteil brächte?

Rhetorische Fragen, zugegeben. Tatsächlich verhält es sich so: Die eine überragende Weltmacht – USA – will eine weitere Weltmacht – Russland – in die Schranken weisen.

Dafür befeuert sie die Abkehr eines einstigen Verbündeten und engen Wirtschaftspartners – Ukraine – von dieser weiteren Weltmacht. Und sie zwingt dafür ihre europäischen Verbündeten, ihre bislang vorteilhaften Beziehungen zu dieser weiteren Weltmacht abzubrechen und sich in die Front gegen diese einzureihen.

Die Ukraine wird für ihre Hinwendung zur Nato mit einem Krieg belohnt, den sie stellvertretend für das Bündnis führen darf. Auf dass Russland ruiniert wird, wie es die Hoffnung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Beginn des Krieges war.

Der Aggressor in der Defensive …

Darin liegt das ganze Geheimnis des einerseits Abwiegelns, andererseits Aufwiegelns hierzulande: Man weiß um die eigene Überlegenheit. Die weiter ausgebaut wird, unter anderem mit Mittelstreckenraketen in Deutschland.3

Russland kann es sich militärisch gar nicht erlauben, gegen die Nato vorzugehen. Das Land ist mit einer riesigen Frontlinie voller massiv gerüsteter Staaten konfrontiert. Und noch dazu in einen zermürbenden Stellungskrieg verwickelt.

Der Aggressor Putin ist in der Defensive. Da lässt ihn der Westen auch nicht mehr raus. Aufreizend gelassen werden daher Moskaus Drohungen abgetan als folgenloses Säbelrasseln.

Dabei ließ Russland Taten folgen, als die USA und Europa seine Forderung nach Neutralität der Ukraine ablehnten. Doch mehr traut der Westen ihm nicht zu.

… aber er hat Mittel, dahinauszukommenn

Ein ziemliches Risiko – denn bei aller westlicher Überlegenheit hat der buchstäblich treffende Einsatz der neuen Oreschnik-Rakete gezeigt, dass Russland seinerseits ebenfalls über rasend schnelle und kaum abzuwehrende Raketen mit längerer Reichweite verfügt.

Und wer kann sicher sein, dass Moskau die nicht auf Nato-Stützpunkte abschießt? Präsident Putin hat ja ganz klar erklärt, wann dieser Fall eintreten kann – mit unter Umständen auch nuklearen Sprengköpfen.

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Andererseits hört das Aufwiegeln damit überhaupt nicht auf, im Gegenteil. Noch mehr Waffen und noch mehr Druck auf die Länder, die den westlichen Boykott gegen Russland nicht mittragen oder sogar dieses Regime unterstützen.

Iran, Nordkorea und China sind da im Visier – wenngleich auf dem Gipfeltreffen der Außenminister der sieben größten westlichen Industrienationen Ende November sie nicht namentlich genannt wurden. Bundesaußenministerin Baerbock drohte jedem Unterstützer Russlands mit Sanktionen.4

Krieg ist Frieden

National brüstet sich die SPD mit dem amtierenden Kanzler als Partei des Friedens. Dabei hatte sie noch kurz überlegt, den Kriegs-, pardon: Verteidigungsminister gegen Scholz als Spitzenkandidat für die bevorstehende Bundestagswahl auszutauschen – wo der doch viel beliebter ist mit seinem zackigen Aufrüstungsprogramm.

Nun bleibt sie bei Olaf. Und der stoppt zwar nicht seine Zeitenwende mit dem 100 Millionen-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr und mit der Stationierung von Russland erreichenden Mittelstreckenraketen.

Aber er liefert der Ukraine keine bis zu 500 Kilometer fliegenden Taurus-Marschflugkörper. "Friedenspolitik" heißt demnach für ihn: Krieg weiter anheizen, aber bitte nicht vom Kriegsgegner als Gegner behandelt werden. Und das dient dem Frieden – in Deutschland. "Krieg ist Frieden" sozusagen – besser hätte es George Orwell nicht ausdrücken können.

Wer gewinnt? Zwischen Pest und Cholera

Der Krieg in der Ukraine geht jetzt in sein viertes Jahr. Ein Ende ist nicht abzusehen – beziehungsweise möchte man sich nicht ausmalen: Russland darf nicht gewinnen, heißt es aus dem Westen.

Droht dies aber einzutreten, werden die USA & Co dann doch zu aktiven Kriegsparteien, um ebendies zu verhindern. Es folgt unvermeidlich der Weltkrieg mit Russland.

Gerät umgekehrt Russland ins Hintertreffen, sieht seine Existenz bedroht durch eine in Zukunft mit Massenvernichtungswaffen ausgestattete Ukraine, greift die Nukleardoktrin.

Gegenwärtigt sieht es eher nach einem Sieg für Russland aus. Die ukrainische Front bröckelt, an zahlreichen Stellen rücken Moskaus Einheiten vor. Der Vorstoß von Kiews Armee nach Kursk ist gestoppt. Es droht die Einkreisung durch die russischen Streitkräfte.

Der Westen kommt kaum mit Ersatzlieferungen für Waffen und zerstörte Infrastruktur hinterher. Da erscheint die Erlaubnis für die Ukraine, Nato-Raketen mit mehreren Hundert Kilometern Reichweite auf Russland zu schießen, fast schon als Akt der Verzweiflung.

Lieber ein Schrecken ohne Ende …

Aus Sicht der deutschen Regierung bietet sich angesichts dessen die zynische Hoffnung an, dass es in der Ukraine einfach so weitergeht. Lieber ein Schrecken ohne Ende als ein Ende mit einem – für Deutschland gewiss verheerenden – Schrecken.

Das kostet zwar eine Menge, und die Energie wird nie mehr so günstig zu bekommen sein wie vor dem Kriegsbeginn. Aber wenigstens bleibt der Krieg weit weg.

Dann können die Herrschaften in Berlin an der Bewältigung der deutschen Krise arbeiten. Die da heißt: Wieder tonangebend in der globalen Staatenkonkurrenz zu werden. Ein wenig ab- und aufwiegeln gegen Russland schadet dabei nicht.