Weniger Gefängnis, mehr Verantwortung

Wie vermeidet man Rückfalltäter? - Frankreich und Norwegen gehen neue Wege

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In Frankreich hat die Zahl der Gefängnisinsassen Rekordwerte erreicht. Über 67.000 Häftlinge sitzen in Haftanstalten, die pLatz für ungefähr 57.000 haben, so die Zahlen, die im Herbst letzten Jahres veröffentlicht wurden. In den letzten zehn Jahren hat die Zahl um 20.000 zugenommen. Dabei ist es vor allem eine Zahl, die den Angelpunkt der Reformdiskussion ausmacht: die Rückfallquote. Laut offiziellen Statistiken liegt sie bei 46 Prozent in den ersten fünf Jahren nach Beendigung der Haftstrafe. Manche Veröffentlichungen bringen sogar noch höhere Quoten ins Spiel.

Die hohe Rückfallquote will Justizministerin Christiane Taubira ändern. Mit einer Reform, von der sie behauptet, dass es sie in der Welt noch nicht gegeben hat. Den grundlegenden, konzeptionellen Ansatz - weniger Freiheitsstrafen und mehr Hafterleichterung - hat die Ministerin schon im September letzten Jahres der Öffentlichkeit bekannt gemacht, um das Thema einer Debatte auszusetzen. Die ersten Kritiken lauteten wie erwartet. Vertreter der ehemaligen Regierungspartei UMP warfen ihr eine "traditionelle linke Entschuldigungskultur" vor, zu viel Gutmenschentum ("angélisme") statt Härte, die im Fall von Straftätern unbedingt angebracht sei (Hat die Linke bessere Ideen für den Strafvollzug?).

Nun präzisierte die Justizministerin und verwehrte sich gegen Pauschalisierungen. Ihr gehe es nicht um die Abschaffung von Gefängnissen, wie dies manche Kritiker nahelegten. Das Gefängnis sei notwendig, aber ihrer Meinung nach soll die Gefängnisstrafe nicht die einzige Strafe sein, zu der man zurückgreift, weil sie häufig zu Rückfällen führt. Vor allem kurze Strafen, die oft automatisch vergeben werden, ohne sich Gedanken über die Zeit danach zu machen. Der Gefängnisaufenthalt schafft auch Vorraussetzungen, die einen Rückfall erleichtern, lässt Taubira verstehen. Und sie ist mit dieser Meinung nicht die einzige.

"Eine gewisse Anzahl von Verpflichtungen"

Ihr Konzept setzt an zwei Momenten an, bei der Strafe und bei der Betreuung der Häftlinge. Taubira stellt sich die Schaffung einer ungewöhnlichen Bewährungsstrafe vor. Der Richter soll, statt eine Freiheitsstrafe auszusprechen, dem Straffälligen "eine gewisse Anzahl von Verpflichtungen" auferlegen. Zum Beispiel die Verpflichtung, das Opfer zu entschädigen, damit der Straftäter ein gefühl für die Schwere seiner Tat bekommt und für die Notwendigkeit den Schaden, so weit es geht, wiedergutzumachen. Dazu könne der Richter dem Täter auch auferlegen, dass er sich zu einer Ausbildung verpflichtet und zur Arbeitssuche. Ausgangsbegrenzungen seien ein weiteres Mittel. Werden die Bedingungen nicht eingehalten, kommt der Täter hinter Gittern.

Gefängnisinnenhof, Bild: Wikipedia

Darüber hinaus, und das ist ihr zweiter Ansatzpunkt, will Taubira die Betreuung der Straffälligen verbessern. Bislang sei es sehr häufig so, dass Strafgefangene am Ende ihrer Freiheitsstrafe ohne Wohnung und ohne Arbeit auf der Straße stünden und keine Ahnung hätten, wie sie sich wieder in die Gesellschaft integrieren könnten, was das Risiko der Rückfälligkeit erhöhe. Von Ausnahmefällen abgesehen schlägt Taubira an dieser Stelle eine Strafmilderung für die letzten Monate vor, damit der Häftling unterstützt durch einen Betreuer Vorbereitungen für das neue Leben draußen trifft.

Taubira baut auf den Willen der Insassen, dass sie ein normales Leben führen wollen und nicht beabsichtigen, wieder kriminell zu werden. Diesem Ansatz folgt man auch woanders, mit, wie die berühmte norwegische Häftlingsinsel Bastoy vorführt, mit erstaunlichen Methoden und Ergebnissen. Die Rückfallquote in Bastoy, wo Häftlingen mit oft schwerkrimineller Vergangenheit die letzten Jahre ihrer Haft in einer Art Wohngemeinschaften mit größeren Freiheiten verbringen, liegt bei 16 Prozent, dem niedrigsten Wert in Europa.

"You'll see," he says. "It's like living in a village, a community. Everybody has to work. But we have free time so we can do some fishing, or in summer we can swim off the beach. We know we are prisoners but here we feel like people."

Über das Leben in Bastoy

"But we are watching them all the time"

Auch dort hat man sich auf die Fahnen geschrieben, was Taubira als Leitgedanken formuliert: Jeder, der aus dem Gefängnis entlassen wird, und nicht auf die Zeit danach vorbereitet ist, ist ein Risiko. Ein Rückfalltäter bedeutet ein neues Opfer. Wegsperren ist kein Alternative. Sie besteht darin, die Straffälligen bei ihrer Verantwortung zu packen.

Im viel gerühmten Bastoy spricht der Gefängnisdirektor von Respekt: "Here I give prisoners respect; this way we teach them to respect others." Doch deutet er auch darauf, was damit verbunden ist, nämlich viel Einsatz von Personal und Zeit: "But we are watching them all the time. It is important that when they are released they are less likely to commit more crimes. That is justice for society."

An diesem Punkt dürfte es schwierig werden für die Reform, die die französische Justizministerin vorhat. Ihre Vorschläge, die, wie auch in Norwegen und anders als dies Kritiker pauschal sehen wollen, zwischen unterschiedlichen Straftaten differenzieren und auch die Persönlichkeit und Einstellungen des Straftäters berücksichtigen, implizieren einen großen personellen Aufwand. Und dies in Zeiten der Wirtschaftskrise und knappen Kassen in Frankreich.