Weniger Geld für Forschung und Entwicklung

Die deutsche Wirtschaft hat ihre Aufwendungen im Jahr 2004 um 1,7% reduziert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Jahr 2000 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Lissabon auf eine Reihe von Zielvorgaben, die bis 2010 erreicht werden und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Europas entscheidend voranbringen sollten. Zu ihnen gehörte auch die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3% des Bruttoinlandsprodukts.

In Finnland (2002: 3,46%) und Schweden (2001: 4,27%) wurden diese Pläne bereits in die Tat umgesetzt, doch andernorts gibt es nur wenig positive Ansätze. Das gilt bedauerlicherweise auch für Deutschland. Hier hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im vergangenen Sommer rund 28.000 Unternehmen befragt und so ermittelt, dass die entsprechenden Aufwendungen im Jahr 2004 um 1,7% auf 45,9 Milliarden Euro reduziert wurden. Nach den mitunter fast zweistelligen Zuwachsraten der 90er Jahre und deutlichen Steigerungen zu Beginn des neuen Jahrtausends bedeutet das einen markanten Einschnitt, auch wenn für 2005 wieder ein Anstieg um 2,4% geplant ist.

Aus den neuesten Zahlen folgerte der Generalsekretär des Stifterverbandes Andreas Schlüter, "dass der Forschungsstandort Deutschland sich seit 2003 nicht wesentlich weiter entwickelt hat". Für diesen unerfreulichen Befund sind nach seiner Einschätzung neben der gebremsten Konjunktur und der schlechten Grundstimmung auch die steuerlichen Rahmenbedingungen verantwortlich. Diese Situation ist umso bedenklicher, als die deutsche Wirtschaft, insbesondere die Bereiche Automobilindustrie, Elektrotechnik, Chemische Industrie und Maschinenbau, ohnehin schon zwei Drittel der Kosten für Forschung und Entwicklung finanziert. Nach Angaben des Verbandes ist ihr Anteil seit 1995 von 60% auf 66% im Jahr 2003 gestiegen, während die staatliche Beteiligung im selben Zeitraum von 38% auf etwa 31% zurückging.

Schlüter forderte Bund und Länder deshalb nachdrücklich auf, ihre Ausgaben "deutlich" zu steigern. Darüber hinaus sei eine "grundlegende Evaluation" des staatlichen Forschungssystems vonnöten, da selbiges noch immer zu unflexibel auf die Anforderungen einer interdisziplinären, internationalen und weitgehend vernetzten Wirtschaft und Wissenschaft reagiere.

Außerdem plädierte Schlüter - wie auch die Hochschulrektorenkonferenz (Studiengebühren statt Studienqualität) - dafür, die Förderung von Spitzenuniversitäten nicht vom Scheitern der Föderalismuskommission abhängig zu machen. Grundsätzlich müsse im Bereich Bildung, Forschung und Entwicklung endlich eine klare Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern erreicht werden:

Die Mischzuständigkeiten von Bund und Ländern für den Hochschul- und Forschungsbereich haben auch die Verantwortlichkeiten verwischt. Wir brauchen dringend eine Entflechtung der Zuständigkeiten und der Finanzierung von Bund und Ländern im Hochschul- und Forschungsbereich, um einen wettbewerblichen Föderalismus zu entwickeln. Wir können es uns nicht leisten, das Engagement für Bildung und Forschung in Deutschland schleifen zu lassen.

Das gilt insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt internationaler Konkurrenz. Zwar liegt Deutschland im weltweiten Vergleich der Bruttoinlandsaufwendungen mit 2,55% auf Platz 8, doch der Abstand zu den führenden Nationen Japan (2003: 3,12%), Finnland, Schweden und Israel (2003: 4,90%) ist beträchtlich.

Außerdem forschen deutsche Konzerne schon jetzt für knapp 12 Milliarden Euro in ausländischen Tochterunternehmen, und da die Großunternehmen rund 87% der Gesamtinvestitionen aufbringen, während die der kleinen und mittelständischen bei etwa 13% liegen, dürfte sich diese Tendenz noch verstärken.

Ein weiterer kritischer Punkt ist das fortdauernde Ungleichgewicht zwischen Ost- und Westdeutschland. Nach Ermittlungen des Stifterverbandes arbeiteten 2003 insgesamt 303.550 Menschen im Bereich Forschung und Entwicklung. 269.730 waren an westdeutschen Standorten beschäftigt, das entspricht einem Anteil von 88,9%. Da er 2001 bei 88,0% und 1995 bei 88,5% lag, hat sich die Situation für die ostdeutschen Bundesländer also noch verschlechtert.

Unter diesen Voraussetzungen sei die Anhebung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3% des Bruttoinlandsprodukts bis 2010 "nur noch schwer zu erreichen", meinte Andreas Schlüter.

Bis zum Jahre 2003 ist der Anteil der FuE-Aufwendungen am Bruttoinlandsprodukt zwar stetig von 2,25 % (1995) auf 2,55 % in 2003 gestiegen, aber diese Entwicklung ist zu verhalten.

Im Bundesministerium für Bildung und Forschung wird das weniger kritisch gesehen. Ministerin Edelgard Bulmahn (SPD) freute sich angesichts der aktuellen Zahlen überraschenderweise sogar, "dass die Wirtschaft trotz der schwachen Konjunktur der letzten Jahre bei Forschung und Entwicklung Kurs gehalten hat". Sie wertete den Anstieg der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 2,55% als persönlichen oder doch wenigstens parteipolitischen Erfolg:

Das ist vor allem auf ein verbessertes Klima für Forschung und Entwicklung zurückzuführen. (...) Die Wirtschafts- und Sozialreformen der Bundesregierung haben die Spielräume der Wirtschaft bereits erhöht.

Über diese etwas eigenwillige Sicht der Dinge wird sicher noch sehr kontrovers diskutiert werden.