Wenn Banken Politiker über den Tisch ziehen

Volker Handon über das Innenleben des Finanzsystems - Teil 1

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Der ehemalige Wertpapierhändler Volker Handon schildert in seinem Buch Der Psycho-Trader seine fünfundzwanzigjährigen Erfahrungen als Arbitrageur für Banken und Fondsgesellschaften und vermittelt seine Einsichten in ein Finanzsystem, das in seiner akuten Form grundsätzlich mit unlauteren Methoden arbeitet, eine erhebliche Gefahr für die Realwirtschaft darstellt und dank staatlicher Unterstützung künstlich am Leben erhalten wird.

Herr Handon, Drogen, Sex und Abzocke in der Finanzbranche: Wie nah ist denn Wolfs Of Wallstreet dran an der Realität? War das am Ende gar eine Art Dokumentarfilm?
Volker Handon: Mal abgesehen vom Übertreibungsfaktor Hollywood liefert der Film eine durchaus realitätsnahe Darstellung von erfolgreichen, provisionsbasierten Verkaufsgesellschaften. Gleichgültig ob es sich dabei um den Verkauf von Versicherungsverträgen, Finanzdienstleistungen oder Finanzprodukten handelt, kommen solche Exzesse, wie sie in dem Kinofilm dargestellt wurden, regelmäßig vor. In Deutschland sind Firmen wie die Hamburg-Mannheimer mit ihren Sexreisen oder die Frankfurter Immobilien-Truppe S&K mit ihren legendären Sex- und Drogenpartys nur einige Wenige unter vielen Beispielen.
Je erfolgreicher solche Drückerkolonnen arbeiten und je höher die festgelegten Provisionen sind, desto schneller verlieren die Beteiligten die Bodenhaftung. Wenn das Geld erst einmal wie aus einer Rainfall-Dusche auf eine Horde von Kleingeistern runterprasselt, sind Exzesse jedweder Art nur eine logische Folge. Jordan Belfort, auf dessen Biographie Scorseses Film basiert, war allerdings kein Trader oder Börsenhändler im klassischen Sinne, sondern eher ein begnadeter Verkäufer.
Was die Frage nach den Drogen im heutigen Computerhandel betrifft, so ist das in etwa wie beim Doping im Spitzensport. Wer mit Höchstleistungen gewinnen will, greift, wenn es sein muss, zu leistungssteigernden Mitteln. Es gibt Banken, die von Bewerbern für den Börsenhandel Testosteron-Tests verlangten. Sie suchen also ganz gezielt nach aggressiven Zockern, von denen nur eines verlangt wird: pausenlos Gewinne zu generieren. Bei diesem permanenten Erfolgsdruck, liegt der Griff zu Amphetaminen aller Art relativ nahe. Sie reduzieren die Angst und stärken das Gefühl der Unbesiegbarkeit: Speed braucht eben Speed.

"Der Rest der Realwirtschaft zahlt bei diesem Business die Zeche"

Sie waren jahrelang als Finanz-Trader spezialisiert auf Arbitrage-Gewinne tätig. Macht dieser Geschäftszweig für die Realwirtschaft Sinn?
Volker Handon: Aus der Sicht eines Arbitrageurs und kleiner Teil der Realwirtschaft muss die Frage mit einem klaren "Ja" beantwortet werden. Solange es zeitgleiche Preisdifferenzen für gleiche Produkte auf unterschiedlichen Marktplätzen gibt, ist das Ausnutzen dieser Differenzen für einen Arbitrageur eine hochwillkommene und einfache Einnahmequelle. Und nicht nur der Arbitrageur ist Nutznießer. Alle Beteiligten in dieser Handelskette haben finanzielle Vorteile. An erster Stelle die Order ausführenden Banken, Clearinghäuser und Börsen, die von diesem Kuchen ihr Stück abhaben möchten. Deshalb scannen heute Computerprogramme von Handelshäusern permanent den Markt nach diesen Preisdifferenzen ab.
Der Rest der Realwirtschaft zahlt bei diesem Business natürlich die Zeche: mit zu hohen Kaufkursen oder zu niedrigen Verkaufskursen. Dieses Spiel ließe sich einfach verhindern, wenn einheitliche Märkte für gleiche Produkte geschaffen würden oder der Kunde selbst die komplette Information über den jeweils besten Preis an dem entsprechenden Börsenplatz von seiner Hausbank geliefert bekommen würde. Zusätzlich müssten die kleinen Privat-Trader auch einen Handelszugang zu allen betreffenden Börsen bekommen, um ein vorteilhaftes Geschäft auch tätigen zu können. Dem ist aber nicht so.
Das sogenannte Globaltrading, verbunden mit Globalclearing, ist nur Profis vorbehalten und die lassen sich nur ungern was vom Teller wegnehmen. Solange wir in einer zersplitterten Börsenlandschaft leben, Banken ihren Kunden die gerade beschriebenen Dienstleistungen vorenthalten und bestimmte Börsenzugänge nur für die Profis zugänglich sind, wird es immer Arbitragegewinne geben. Politischer Wille aber könnte Arbitragegewinne Einzelner im Börsenhandel verhindern und faire Marktbedingungen für viele Marktteilnehmer herstellen.

"Die weitaus größte Gefahr für das Finanzsystem geht heute vom Schattenbanksystem aus"

Was ist an ihrem Metier für das Finanzsystem gefährlich?
Volker Handon: Das größte Problem im Handel für das Finanzsystem stellt die Machtkonzentration einzelner Marktakteure dar. Wenn einzelne Handelsunternehmen zuviel Geld unter Verwaltung haben und solche Marktteilnehmer plötzlich gleiche Interessen verfolgen, also zeitgleiche Verkäufe oder Käufe tätigen, kann es zu außerordentlichen Kursbewegungen kommen, die zwar mathematisch unwahrscheinlich, aber schon öfters vorgekommen sind. Ist das Spekulationskapital auf sehr viele Akteure verteilt, sinkt die Wahrscheinlichkeit extremer Bewegungen, die aber trotzdem jederzeit möglich sind. Letztlich führen solche Kursausreißer immer zur Geldumverteilungen unter den Marktakteilnehmern und das ist ja eigentlich Sinn der Börse und von allen gewünscht, nur möchte keiner der Spender, sprich der Verlierer sein.
Die weitaus größte Gefahr für das Finanzsystem geht heute aber von Hedgefonds und dem gesamten Schattenbanksystem aus, das weiterhin ohne jede Kontrolle im globalen Finanzbusiness aktiv ist. Hier ist akuter Handlungsbedarf angesagt.
Wie oft gibt es Insider-Geschäfte und warum werden Sie nicht unterbunden?
Volker Handon: Das wesentliche Merkmal eines Insidergeschäftes ist ja ein Wissensvorsprung verbunden mit der Annahme, dass dieses Wissen eine Marktreaktion hervorrufen wird. Es gibt eine Unzahl von sogenannten Insidergeschäften, die sich zweifelsfrei als solche nachweisen lassen und strafwürdig sind. Das Beispiel in meinem Buch von Ex-IG-Metall-Chef Franz Steinkühler ist nur eine besonders dreiste und zugleich dämliche Variante gewesen, bei der die Sachlage relativ eindeutig war. Trotz strenger Compliance Regeln wird sich Insiderhandel nie ganz verhindern lassen. Wo ein krimineller Wille ist, gibt es auch immer einen Weg.
Interessanter sind die Beispiele, bei denen die Frage nach dem Insiderhandel nicht so einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Nehmen wir als Beispiel die Börsenempfehlung von einer großen, weltweit agierenden Investmentbank wie zum Beispiel Goldman Sachs. Dieses Haus hat so viele Follower und Lemminge, die jede dieser Empfehlungen sofort in Handelsaktivitäten umsetzten. Selbst Algotradingmaschinen scannen die Homepage von Goldman und sämtlichen Nachrichtenagenturen, um noch schneller an solche Empfehlungen zu kommen. Jetzt verkauft oder bietet Goldman seinen guten Kunden diese kursbeeinflussenden Empfehlungen aber viel früher, als dem Rest der Welt. Diese Kunden verfügen also früher als andere über Kauf- oder Verkaufsempfehlungen und die eigene Handelsabteilung von Goldman sowieso.
Ist das nun Insiderhandel? Es wurde doch nur eine Empfehlung ausgesprochen. Ich habe noch niemanden getroffen, der den Mut hatte, diese gängige Praxis offiziell als Insiderhandel zu bezeichnen. Ein Finanzunternehmen mit soviel Einfluss sollte verpflichtet werden, allen Marktteilnehmern gleichzeitig seine Marktmeinung zu bestimmten Ereignissen oder Finanzmärkten zukommen zu lassen.
Ein anderes Beispiel: Die viel diskutierte Netzneutralität im Internet gibt es an der Börse nicht. An der Börse entscheidet die Brieftasche über die Zugriffsgeschwindigkeit. Gegen eine saftige Gebühr bietet die Börse Marktteilnehmern besonders schnelle Leitungen oder einen Serverplatze an, der sich direkt neben den börseneigenen Servern befindet. Das alles dient nur dem Zweck, schneller als andere Marktteilnehmer am Marktgeschehen teilnehmen zu können und diesen Geschwindigkeits- und Zugriffsvorteil in bare Münze umzusetzen. Dieses Verhalten, das von Börsenbetreibern gewünscht und gefördert wird, ist meiner Ansicht nach eine Form von erkauftem Insiderhandel - nur mit gesetzgeberischer Rückendeckung.
Es gibt noch jede Menge weiterer Beispiele, die tagtäglich stattfinden. Doch erst wenn sich ein klarer Konsens für faire Marktbedingungen für alle durchgesetzt hat, kann Insiderhandel weitgehend unter Strafe gestellt und unterbunden werden. Hier fehlt es offensichtlich an politischem Willen oder an der Arbeitslust, um diese Gerechtigkeitslücke zu schließen.

"Die Banken haben die Politik zunächst für ihre Rettung und dann für ihre Regulierung beraten"

Mit dem Bankenrettungsschirm wurden den Banken ihre waghalsigen Unternehmungen mit einem gewaltigen Aufwand an Steuergeldern finanziert. War dies das falsche Signal an die Finanzbranche?
Volker Handon: Hier kann man ja eigentlich nicht von falschen Signalen an die Finanzbranche reden. Die Signalgeber waren doch die Finanzinstitute selbst. Die Branche hat schnell erkannt, wie sie und ihre Eigentümer, die Probleme, die ihnen durch ihre eigenen Fehler entstanden sind, lösen können. Für diese Lösung wurde der gesamte Lobbyistenapparat in Richtung Berlin in Bewegung gesetzt. Jedem Politiker, der es wissen wollte, wurde dezidiert erklärt, dass eine Rettung nur mit Steuergeldern möglich sei. Und damit beim Volk kein größerer Unmut aufkommt, wurde diese Form der Rettung des Finanzsystems von der Kanzlerin und ihrem Finanzminister auch noch für "alternativlos" erklärt. Die Banken haben also in Deutschland die Politik zunächst für ihre Rettung und dann für ihre Regulierung beraten. Und weil das schließlich Arbeit macht, haben sie der Regierung für diese Qualitätsberatung auch noch fette Rechnungen gestellt. Das ist schon dreist.
In Deutschland haben sich die Politiker von den Banken ganz klar über den Tisch ziehen lassen. Da aber in der politischen Landschaft damals allgemeine Ahnungslosigkeit herrschte, kam man mit dieser Strategie schnell zum Erfolg und an das Geld der Steuerzahler. Bis zum heutigen Tage ist eine realistische Abwicklung einer systemrelevanten Bank wie zum Beispiel der Deutschen Bank ohne den immensen Einsatz der Geldschöpfungsfähigkeit von Notenbanken oder durch Steuergeldern, einschließlich der Enteignung von Inhabern und Aktionären, nicht möglich. Die Vision, die von Politikern gerne verbreitet wird, eine große Bank sei nach all den Reförmchen nun ohne weiteres abwicklungsfähig, ist echte Volksverdummung.

"Der Markt wäre sofort tot"

Wie ist Ihre Meinung zur Tobin-Tax?
Volker Handon: Die Tobin-Tax sollte ursprünglich ausschließlich auf Devisengeschäfte erhoben werden. Inzwischen redet man von einer Finanztransaktionssteuer (FTS), die möglichst sämtliche Finanzgeschäfte betreffen soll. In der öffentlichen Diskussion um die FTS werden dabei gerne Äpfel mit Birnen verglichen. Zum Beispiel wird die FTS häufig mit der Umsatzsteuer gleichgesetzt, was sie definitiv nicht ist. Würde sie nach dem jetzigen Modell, in dieser geplanten Höhe eingeführt, wäre der Markt sofort tot, weshalb auch die gerne vorgerechneten, exorbitanten Einnahmen für den Staat reine Illusion sind.
Wenn man schon über die Einführung einer solchen Steuer nachdenkt, wäre die Beachtung von folgenden Punkten aus meiner Sicht von großer Wichtigkeit:
  1. Die Höhe der Steuer, die sich immer auf Nominalbeträge beziehen müsste, sollte homöopathischer Natur sein, um die Transaktionskosten von zum Beispiel Derivaten nicht explodieren zu lassen. Denn sonst kommt der Handel zum Erliegen.
  2. Das neu erzielte Steueraufkommen dürfte nur zweckgebunden verwendet werden, also für Krisenfälle, die in der Finanzwirtschaft verursacht wurden. Die eingesammelten Steuern sollten also in einem "Feuerwehrfond" angespart werden.
  3. Die Steuer müsste einheitlich für alle EU-Länder auf europäischer Ebene festgesetzt werden.
  4. Sie sollte als Quellensteuer von den jeweiligen Börsen abgeführt werden, um ein Abschleichen der Marktteilnehmer an außereuropäische Orte zu verhindern.
Grundsätzlich bin ich als Händler gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, hätte allerdings einen besseren Vorschlag zu machen. Warum überlässt man das heute weitgehend automatisierte Börsenbusiness eigentlich den Banken? Eine staatliche Börse, die zudem das Clearinggeschäft übernimmt, könnte sich für den Staat als ewig und kräftig sprudelnde Einnahmequelle erweisen, um die dringend erforderlichen Investitionen in Bildung, Infrastruktur, die Energiewende oder die Kosten einer Finanzkrise zu stemmen.

"Es existiert keine Abschreckung unter den Akteuren"

Welche Lehren sollte man aus der Bankenkrise ziehen?
Volker Handon: Die Bankenkrise hat mindestens zwei Fehlentwicklungen in unserer heutigen Welt offengelegt, die keineswegs bereinigt sind. Das eine Problem ist die mangelnde Bildung der Konsumenten, der breiten Bevölkerung, in finanziellen, wirtschaftlich Bereichen. In welcher anderen Branche kaufen die Kunden pausenlos Produkte, von denen sie weder wissen, wie sie heißen, was sie nutzen oder worin ein mögliches Risiko besteht. Gerade diese Unwissenheit der Betroffenen war der Nährboden, der eine objektive Betrachtung von möglichen Risiken unmöglich machte und der Gier nach scheinbar sicheren Renditen freien Lauf ließ.
Das zweite Problem ist die Straflosigkeit, mit der Entscheider in der Finanzbranche nach wie vor hochriskante Geschäfte tätigen können. Es existiert keine Abschreckung unter den Akteuren, die den ein oder anderen Bankmanager zum Umdenken animieren könnten oder gar ein ganz anderes Bewusstsein zur eigenen beruflichen Tätigkeit entstehen lassen würde. Angestellte Trader und Investmentbanker sitzen im Börsencasino und spielen mit dem Geld anderer Leute. Verluste spüren diese Zocker nicht am eigenen Geldbeutel. Die an dieser Stelle lächerliche Debatte um die Begrenzung von Boni ist reine Augenwischerei und eine Beruhigungspille für die Bevölkerung.

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