Wenn Gefühlsehrlichkeit zur Straftat gemacht wird

Ein Hamburger Jurist will Angela Merkel wegen ihrer Freude über die Erschießung Osama bin Ladens vor Gericht bringen

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Als letzte Woche bekannt wurde, dass US Navy Seals den Terrorscheich Osama bin Laden erschossen, da äußerten sich zahlreiche Politiker in aller Welt positiv zu der Nachricht. Auch Angela Merkel meinte: "Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten". Nach Kritik aus ihrer eigenen Partei (bei der vielleicht auch eine Weisung des Vatikan, worüber Christen sich freuen dürfen und worüber nicht, Eindruck gemacht hatte), versuchte Regierungssprecher Steffen Seibert die Interpretation dieser Äußerung darauf einzuengen, dass sich die Bundeskanzlerin nur über einen möglichen Sicherheitsgewinn und nicht über die Tötung an sich freue.

Dem Hamburger Richter Heinz Uthmann reichte dies jedoch nicht, und der stellte bei der örtlichen Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen des Verdachts auf "Billigung einer Straftat". Dieses in § 140 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelte Verbot stellt nicht die "Billigung" jeder, sondern nur bestimmter Straftaten selbst unter Strafe. In Facebook durch ein Klicken auf einen Guttenberg-gefällt-mir-Button zum Ausdruck zu bringen, dass Immaterialgüterfragen nichts im Strafrecht verloren haben, ist beispielsweise ungefährlich, während die Meinungsäußerung mit einen Schottern-gefällt-mir-Button theoretisch eine Hausdurchsuchung und einen Strafprozess zur Folge haben kann.

Dem Spiegel sagte Uthmann, er wolle mit der Strafanzeige "Empörung und Erschütterung" über das seiner Ansicht nach "würdelose und stillose Verhalten" der Bundeskanzlerin "zum Ausdruck bringen". Doch wenn ein bloß "stilloses Verhalten" mit bis zu drei Jahren Haft bedroht ist, dann stimmt mit dem Strafrecht möglicherweise etwas nicht. Etwas, das nun vielleicht auch der Bundeskanzlerin auffällt.

Foto: Publik15. Lizenz: CC-BY 2.0.

In Deutschland setzt sich jeder, der eine Meinung äußert, erheblichen rechtlichen Risiken aus – nicht nur durch das Abmahnwesen und die fantasievolle Rechtsprechung der Pressekammer des Hamburger Landgerichts, sondern auch durch das Strafrecht , das nicht nur den § 140, sondern zahlreiche weitere (sehr wenig bekannte, aber sehr breit anwendbare) Äußerungsverbotsvorschriften kennt.

Die Frage, inwieweit "Störpropaganda" gegen Streitkräfte (§ 89 StGB), das "Offenbaren von Staatsgeheimnissen" (§ 95 StGB) und "Friedensgefährdende Beziehungen" (§ 100 StGB) unter Strafe gestellt werden sollten, betrifft beispielsweise nicht nur bekannte Menschenrechtsverletzerregime, sondern auch die Bundesrepublik. Dort gibt es zwar keine Vorschrift, die eine "Beleidigung des Türkentums" unter Strafe stellt, dafür aber eine, welche die "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole" (§ 90a StGB) mit Gefängnis bedroht. Drei Monate bis fünf Jahre Strafe gibt es auch für eine "Verunglimpfung des Bundespräsidenten" (§ 90 StGB).

Noch weniger bekannt ist, dass es auch "Straftaten gegen ausländische Staaten" gibt – dazu zählt beispielsweise die "Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten" (§ 104 StGB). Auch die "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten" ist in Deutschland nach § 103 StGB mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bedroht. Im Zweifelsfall ließen sich damit sogar aus kritischen Bemerkungen gegen Muammar al-Gaddafi zumindest Hausdurchsuchungen und Prozesse basteln.

Propagandadelikte

1960 wurde die in § 130 StGB mit Strafe bedrohte "Anreizung zum Klassenkampf" in "Volksverhetzung" umbenannt und der Deliktsumfang erweitert. Die Verwendung von Begriffen wie "Aufstachelung", "Verächtlichmachung", "Billigung", "Rechtfertigung" und "Verharmlosung" erlaubt auch durchaus problematische Auslegungen des im letzten Jahr erneut verschärften Paragrafen. So merkte etwa der Historiker Ernst Nolte an, dass sich in der Geschichtswissenschaft die "offenkundige Wahrheit" mit der Quellen- oder Befundlage ändert. Bedroht der Gesetzgeber – wenn auch in gut gemeinter Absicht – solche Veränderungen potenziell mit Strafe, dann greift er in die Freiheit der Wissenschaft ein und versperrt möglicherweise den Weg zu neuen Erkenntnissen. "Wer allgemein bekannte, historische Tatsachen leugnet, macht sich ohnehin lächerlich" schrieb Reinhard Müller in der FAZ dazu. Trotzdem werden solche problematischen Vorschriften nicht abgebaut, sondern erweitert - vor allem über die europäische Ebene.

Deutsche Medien empören sich seit vielen Jahren zu Recht darüber, dass man in China bereits für Dalai-Lama-Bilder und die tibetische Flagge bestraft werden kann. Allerdings dürfen tibetische Buddhisten auch in Deutschland nicht alle ihre Heilssymbole straffrei verwenden – siehe das Verbot des "Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen" (§ 86 StGB) und des "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" (§ 86a StGB). Wer glaubt, dass diese Zwänge nur in einem eindeutigen politischen Absichtskontext gelten, der täuscht sich. Diese Erfahrung musste unter anderem auch der amerikanische Softwarehersteller Corel machen, der darüber mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden in Konflikt geriet.

Die Tatsache, dass ständig neue Zeichen in den Kreis verbotener Symbole aufgenommen werden, sodass sie mittlerweile buchdicke Broschüren der Landesämter für Verfassungsschutz füllen, zeigt, dass hier ein nicht völlig unproblematischer Weg beschritten wird. Ob sich mit einem Verbot der Zeichen auch die Inhalte bekämpfen lassen, ist fraglich. Skeptisch macht in jedem Fall, dass es keine aussagekräftigen Studien über diesbezügliche Auswirkungen der immer umfassenderen Verbote zu geben scheint. Berücksichtigt man, dass sich Gleichberechtigung und Minderheitenschutz möglicherweise auch mit milderen Mitteln als dem Strafrecht fördern lassen, scheint zumindest eine Evaluierung dieser Verbotsregelungen durchaus angebracht.

Eine Ahndung der "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" (§ 166 StGB) wäre möglicherweise nicht nur rechtssystematisch gesehen im Zivilrecht weitaus besser aufgehoben als im Strafrecht – ebenso wie "Beleidigung" (§ 185 StGB) allgemein und ähnliche Verbotstatbestände, die eher von privatem als von öffentlichem Interesse sind. Kaum nachvollziehbar ist, warum solche Wortdelikte nach § 188 StGB wesentlich härter (nämlich mit bis zu fünf Jahren) bestraft werden, wenn sie sich gegen Politiker richten.

Opferlose und Einwilligungsstraftaten

Solch problematische Vorschriften finden sich nicht nur bei den "Straftaten gegen den demokratischen Rechtsstaat", "gegen die öffentliche Ordnung" und die "persönliche Ehre". Es gibt sie auch in großer Zahl im so genannten "Nebenstrafrecht" - also in den Gesetzen, die außerhalb des StGB nicht nur Bußgelder, sondern Strafen androhen: Dazu zählen vor allem Steuer- Betäubungsmittel- und Urheberrechtsdelikte. Hier finden sich besonders häufig so genannte opferlose oder einvernehmliche Straftaten.

Die Menge solcher Delikte nahm in den letzten Jahrzehnten stark zu – und sie steigt weiter. Mit ihr steigen die Risiken eines unwissentlichen Begehens von Straftaten ein einem Ausmaß, dass sie den Rechtsstaat von einer anderen als der Deliktsseite her bedroht: Behörden können durch solche Vorschriften zunehmend nach dem Grundsatz "Irgendwas findet sich immer" handeln – und so "Kooperation" ohne Rechtsgrundlage erzwingen.

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