Wenn bestimmte Stadtbewohner unsichtbar werden

Seite 2: Berlin: Angekurbelter Markt in der Innenstadt und keine Mietenregulierung

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Im Wahlkampf beschwichtigte die SPD, man werde "manche Versäumnisse" bei der Wohnungspolitik nachholen: So äußerte der Berliner Senator für Städtebau Müller (SPD) am 2. September für das RBB-Fernsehen, man würde wieder mehr Wohnungen für moderate Mieten bauen: "für künftige Generationen in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren". Gemäß dem bundesweiten Programm der SPD sollen "30 Prozent des öffentlich geschaffenen Wohnraums mit einer Sozial- und Belegungsbindung versehen" werden. Heißt: Neue Aufforstung, nachdem der große Kahlschlag für den freien Markt erfolgte.

Da sind schon große Hoffnungen an einen neuen Bauboom zu richten. Übrigens könnten z.B. in Berlin Sozialwohnungen fast nur noch in Randbezirken entstehen. Vor zehn Jahren hatte man mit Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) den sozialen Wohnungsbau eingestellt, 28.000 Mietverhältnisse wurden nicht mehr subventioniert. Und in der Innenstadt kamen bei der Liberalisierung und der Privatisierung vieler Objekte Teuersanierungen oder Bebauung mit Luxuswohnungen, auch Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen. Ganze Bevölkerungsteile tauschten sich in den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg durch die Gentrifizierung aus, von Bewohnern, die hier vor dem Mauerfall wohnten, blieben nur 20 Prozent bis 2011 ("Mieter-Echo" Dezember 2011).

Zugleich setzte die Stadtregierung auf kreatives Marketing und Freizeitindustrie als neuen Wirtschaftszweig und warb systematisch für den Zuzug großer Firmen und freiberuflicher Kräfte. So wurden u.a. frühere Wohnbezirke wie Kreuzberg und Neukölln zunehmend zu Erlebnisbezirken - mit entsprechender Aufwertung und Verteuerung. In Neukölln, früher bekannt als Armen-Bezirk, wurde wohnungspolitische Aufwertung hier deutlich von ordnungspolitischen Konzepten begleitet. Das Buch des Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky "Neukölln ist überall" liefert indirekt auch ein Dokument dazu.

Buschkowsky thematisierte "Problemgruppen" und vermeintliche Hartz IV-Erschleichung, und er erklärte sich unzufrieden mit den vorhandenen Sozialprogrammen. Er wollte mehr ordnungspolitische Instrumente bei Leistungsbeziehenden. Indem er wiederholt kollektive Zuschreibungen und Verdächtigungen vor allem gegenüber Einwanderern anwandte, bemüht er im Buch rassistische Klischees. Kritiker seines Buches befanden, dass er Racial Profiling und Stimmungsmache ermögliche.

Eine von der SPD versprochene Mieterhöhungs-Obergrenze bei Neuvermietungen würde die Mietenspirale nach oben gesetzlich verlangsamen. Das käme etwas spät. Der Standard in vielen Innenstädten liegt bereits zu hoch für Billigjobbende und Erwerbslose. Mit erstaunlichem Gleichmut nahm z. B. die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD), Mietsteigerungen hin - über Jahre. Dabei wollten Berliner Mieterverbände schon 2007 über engere Bemessungsgrenzen beim Wert "ortsüblicher" Mieten (mit jährlichem offiziellen "Mietspiegel") verhandeln. Junge-Reyer verwies immerzu auf die "Nachfrage am Markt", und außerdem: Berlin sei ja im Vergleich zu München noch moderat. Über Instrumente zur Mietenregulierung wollte sie nicht nachdenken, wie der Stadtsoziologe Andrej Holm schon 2008 in der Zeitung "Analyse und Kritik" monierte.

Deutlich top-down konzipiert war auch das Prestige-Projekt für kommerzielle Stadtstrukturierung "Mediaspree" am Spreeufer im Osten der Stadt (Friedrichshain-Kreuzberg). Seit 2007 sollten Flächen in Ufernähe für Investoren freigegeben werden, eine neue Anlage mit Firmenquartieren, Büros und Hotels war geplant. Der Bau der Event-Großhalle "O2-World" samt Großparkplatz der Investorengruppe mit Aufsicht des US-Unternehmers Anschutz war damals schon beschlossen und wurde umgesetzt.

Demonstration "Wem gehört die Stadt?" am 28.September in Berlin. Bild: B. v. Criegern

Zahlreiche Anwohner wendeten sich in der Kampagne "Mediaspree versenken" gegen die Ausweitung der Bebauung und stellten den Bürgerentscheid "Spreeufer für alle" auf. Man forderte u. a. einen mindestens 50 Meter breiten unbebauten Uferstreifen und die Einhaltung der Berliner Traufhöhe (22 Meter). Doch der Senat wollte sich nicht an den Bürgerentscheid binden. Das liegt nun fünf Jahre zurück, seitdem wurde die Vertriebszentrale von Daimler Benz errichtet - wie die O2-Halle kann sie die Nähe zum bekannten Mauerstreifen "East Side Gallery" mit den weltberühmten Graffiti als einen Publikumsmagneten nutzen. Heute entstehen auf dem Plangebiet auch ein 63 Meter- Hochhaus für Eigentumswohnungen sowie ein Einkaufszentrum.

Verdrängt werden Erwerbsarme durch die angekurbelten Preise am Wohnungsmarkt. Und gegen die bloße Anwesenheit von Armen wendete sich eine Vermieterin sogar, obwohl sie zahlten. Letzten September kündigte eine Vermieterin in der Prenzlauer Allee (Prenzlauer Berg) dem Obdachlosen-Selbsthilfeverein "Mob e. V.- Obdachlose machen mobil" und begründete, der Bezirk sei schick geworden und der Verein passe nicht mehr hierher. Im stadtbekannten Verein konnten sich Obdachlose mit dem Verkauf der Zeitung "Straßenfeger" etwas Geld verdienen; im Haus betrieb "mob e.V." jahrelang die Zeitungsredaktion, ein Obdachlosencafé und eine Übernachtungsetage. Hier wurde offenbar eine sozialfeindliche Komponente der Aufwertung formuliert, wenn nach Art von Klassendenken die bloße Anwesenheit von Armen nicht mehr geduldet wird. Ihre Sichtbarkeit störte.