Wenn der Kaugummi zum Zensurgrund wird
Die Pressefreiheit ist vor allem im Krieg in Gefahr, gerät in Zeiten des Kampfes gegen den "allgegenwärtigen" Terrorismus aber generell unter Druck
Kriege sind Medienereignisse, Phasen erhöhter Aufmerksamkeit. Die Medien profitieren vom Krieg, denn Gewalt bringt Quote. Bad news are good news, wie es früher mal hieß. Doch die Kriegsberichterstattung hinterlässt bei vielen Mediennutzern - den TV-Zuschauern vor allem - einen faden Beigeschmack, weil die Konstruktion der Nachrichten angesichts der militärischen Medienzensur besonders deutlich wird. Eine Tagung der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung erforschte am Welttag der Pressefreiheit den Zusammenhang zwischen Demokratie, Krieg und Medien und förderte dabei Einblicke in strukturelle Zensurzusammenhänge zutage. Die gibt es nicht nur in Zentralasien, sondern auch mitten in Europa und verstärkt in den USA.
Freimut Duve ist ein Interventionist. Der Medienbeauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) darf aus seinem Mandat heraus, das die 54 Mitgliedsstaaten 1998 nach zähem Ringen begründeten, die Fahne der Pressefreiheit stärker schwingen, als es seine Kollegen bei anderen Regierungsorganisationen wie der UNO nicht einmal zu träumen wagen. So besucht er die Zensurbüros in Staaten wie Usbekistan und wettert dagegen an, dass dort wie vor 50 Jahren "jede Zeile in der Zeitung abgehakt wird".
Kurz darauf erhält der weißhaarige Watchdog eine Einladung ins unweite Kasachstan - zur Besichtigung der dort rasch aufgegebenen Ex-Zensurbüros. Doch der gute Wille des nach außen als Demokratie auftretenden Staats kann den alten Sozialdemokraten nicht davon abbringen, gegen die dort stattfindende Form der "Privatisierung" der Medien Stellung zu beziehen. Denn geht alles mit demokratischen Dingen zu, wenn der kasachstanische Gouverneur die wichtigsten Medien des Landes an seine Frau für 200 Euro verkauft und die ehemaligen Staatsbetriebe gleichzeitig in eine steuer- und zollfreie Zone auslagert?
Zuständig ist der in Wien stationierte Mittsechziger vor allem für die "Transformationsstaaten", die Nationen auf dem Balkan etwa oder Länder der ehemaligen Sowjetunion. Für die postkommunistischen Staaten hat er den Begriff der "strukturellen Zensur" geprägt. Ihre Regierungen nutzen die bestehenden alten Verwaltungskader zur indirekten Zensur der Medien. So wird beispielsweise die Feuerpolizei in missliebige Redaktionen geschickt, die deren Räume plötzlich die nächsten 14 Tagen untersuchen müssen. Oder die Mieten für die Bürogebäude, die sich meist noch in öffentlicher Hand befinden, werden rasch mal um eine Null vor dem Koma erhöht.
Schlimmer sei nur noch die "Zensur durch Mord" an Journalisten. Den weltweiten Spitzenplatz in dieser Disziplin belege seit 50 Jahren Kolumbien. Doch eine "Gefahr der Kolumbianisierung" sieht Duve auch in einer Reihe (ex-)russischer Provinzen. In der Ukraine etwa sei eine dem Tod geweihte Journalistin, die sich mit dem korrupten Regime angelegt habe, vielleicht nur durch eine von der OSZE geförderte Medientour durch die westlichen Metropolen ihrem "Schicksal" bisher entgangen.
Warum in die Ferne schweifen, wenn Berlusconi doch so nah
Doch Duve, dessen Herzenskind die Jugendliche in schwelenden Krisenregionen zu offenen Diskussionen unters Zirkuszelt holende und Internet-Cafés zurücklassende Projektreihe "Verteidigung der Zukunft" ist, legt sich auch mit Regierungschefs an, die seinem Amtssitz und der Demokratie näher liegen: "Die OSZE" - und damit meint er in diesem Fall sich selbst - "ist die einzige EU-Institution, die seit dem Frühjahr Berlusconi kritisiert, weil in Italien die Verfassungsorgane mit Füßen getreten werden."
Dass der römische Regierungschef "etwas mehr als 90 Prozent des italienischen Fernsehens kontrolliert", ist für den ehemaligen Bundestagsabgeordneten ein unhaltbarer Zustand. Gar nicht einmal wegen der Selbstbeweihräucherung in den eigenen Medien, sondern vielmehr wegen der "Schweigezone", die erzeugt werde. Denn jenseits der Alpen sieht Duve das "neugierige journalistische Alltagsgeschäft" gefährdet, das mal hinter die Kulissen der Verwaltung schaue und so der Korruption zumindest mit Zufallstreffern das Leben schwer mache.
Der Blick in die USA und damit in ein Land, das sich dafür rühmt, die Pressefreiheit erfunden zu haben, zeigt weitere, wenn auch teilweise sublimere Formen der Zensur. Jenseits des Atlantiks ist der Kriegsgegner seit dem 11. September "der Terrorismus". So kommt es noch stärker als in Waffengängen mit einem klar gekennzeichneten Feind zu einem Zwei-Frontenkrieg: Einem unsichtbaren gegen die terroristischen Netzwerke, bei dem Geheimdienstoperationen immer wichtiger werden, und einem sichtbaren, inszenierten Schaugefecht für die heimischen Zuschauer und Leser.
Selbstzensur in den USA
Die militärischen Versuche, etwa die Berichterstattung über die Luftschläge gegen die Taliban in Afghanistan direkt zu steuern und über eine Heerschar von Presse-Offizieren die Mär vom unblutigen Krieg zu verbreiten, ist längst in eine offene Selbstzensur der amerikanischen Medien umgeschlagen. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und seinen Informationsgenerälen ist es vortrefflich gelungen, den Appell an das amerikanische Nationalgefühl mit dem medialen Agenda-Setting zu verknüpfen.
Der Afghanistan-Krieg wurde so zu einer Auseinandersetzung, in der höchstens der arabische TV-Sender Al Dschasira verhinderte, dass ausschließlich Informationen aus zweiter Hand von Militärs an die in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad auf Bilder und News wartenden Reporter gereicht wurden. Doch schon ein "Dokument der Zeitgeschichte", wie Astrid Frohloff, Nachrichtenredakteurin bei Sat.1, die umstrittene Video-Botschaft bin Ladins nennt, schaffte es nicht oder nur für wenige Sekunden auf die amerikanischen TV-Bildschirme. Seitdem findet die in den USA in akademischen Kreisen durchaus geführte Intellektuellendebatte über den Krieg gegen die "Achse des Bösen" in den Medien de facto nicht statt. Sie wird in englischen und deutschen Feuilletons geführt. Wozu braucht es da noch ein eigenes "Office of Strategic Influence", das die öffentliche Meinung noch stärker Pentagon-gerecht aufbereitet (Aus für die Propaganda-Abteilung des Pentagon)? Es ist längst nicht mehr so, dass nur in Zentralasien "jede kritische Stimme eine terroristische Stimme ist", wie Freimut Duve sagt.
Die Herausforderung, im Spannungsfeld zwischen militärischen Interessen und einem öffentlichen, von der Verfassung geschützten und geforderten Auftrag in Krisensituationen möglichst objektiv zu berichten, sind seit dem 11. September jedenfalls größer geworden, erklärt Frohloff. Dabei kann die TV-Journalistin, die vor der Übernahme der "18:30-Hauptnachrichten" in Sat.1 auch "im Feld" recherchierte, seit ihren Auslandseinsätzen im Nahen Osten ein Lied von der militärischen Konstruktion von Wirklichkeit während kriegerischen Konflikten singen. Während der Krise um die UNO-Waffeninspekteure im Irak rund um den Jahreswechsel 1997/98 berichtete die 39-jährige Journalistin aus Bagdad - beziehungsweise versuchte, vom Krisenherd zu berichten.
Es ist verdammt schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.
Peter Esterházy, ungarischer Bestseller-Autor
"Alle westlichen Journalisten standen unter der Obhut des Informationsministeriums", erinnert sich Frohloff an die allgegenwärtige Beeinflussung der an die Heimatredaktionen überspielten Bilder und Töne. "Ein Begleiter ließ uns die gesamten 14 Tage nicht aus den Augen, lieferte jeden Abend einen schriftlichen Bericht ab. Jeder Schritt außerhalb des Hotels wurde observiert. Interviews gab es nur nach Genehmigung." Die Gespräche seien unterbrochen, der Schnitt sei begleitet und auch der Text verfolgt worden. "Das waren sehr gut ausgebildete mehrsprachige Leute." Eine heimliche Kontaktaufnahme zu Informanten sei nicht möglich gewesen, da eine solche auch für diese zu gefährlich gewesen wäre.
Strenge Zensurauflagen überall im Nahen Osten
Eine derartige Gängelung ist Frohloff zufolge aber keineswegs nur für den Irak typisch. Auch der andauernde Konflikt zwischen Israel und Palästina habe erneut gezeigt, wie überall in Nahost die journalistische Arbeit behindert werde. 95 durch Schüsse verletzte und einen toten Berichterstatter weise die Statistik der Organisation Reporter ohne Grenzen bisher aus - während Israel weiter behaupte, dass die Presse ohne Auflagen ihrer Arbeit nachgehen könne. Enge Grenzen zieht das israelische Militär aber gleichzeitig auch in Friedenszeiten, wenn es um seine eigenen Belange geht. So durfte Frohloff den Großteil eines Interviews mit einer jungen israelischen Soldatin für ein Feature über Frauen in der Armee nicht verwenden, weil die Dame Kaugummi kaute, was den Zensoren nicht gefiel.
Wozu dann aber noch die kostspieligen Ausflüge in die Wüste, wo doch die großen Bildagenturen AP und Reuters rund um die Uhr ihre "Flashes" aus Zentren erhöhter Aufmerksamkeit im Sekundentakt um die Welt jagen? Mehr als ein Anhängsel sind gerade deutsche, über eher beschränkte Mittel verfügende TV-Sender im Ausland eh nicht, da sie auf die Logistik und die technischen Überspielungsmöglichkeiten der Großen angewiesen sind, meint Frohloff.
Trotzdem sei es wichtig, vor Ort zu sein, "allein um selbst gedrehtes Bildmaterial zu bekommen". Denn der Druck, aktuelle und eigene Bilder den Zuschauern zur Verfügung zu stellen und "als erster auf Sendung zu sein", sei gerade im Internet-Zeitalter enorm gewachsen. Und manchmal sei es in einer ruhigen Minute sogar möglich gewesen, das Aufgenommene "so", also ohne End-Zensur, nach Berlin zu überspielen. Für unbedingt erforderlich hält es die Nachrichtenredakteurin allerdings, bei den letztlich gesendeten Berichten immer die Quellen der einzelnen Bildbeiträge zu nennen und den "einseitigen Informationsfluss" zu thematisieren.
Es ist nicht möglich, ein authentisches, wahres Bild von der Realität zu liefern, schon gar nicht in Kriegszeiten.
Astrid Frohloff, Moderatorin der 18:30-Nachrichten bei Sat.1
Was also bleibt von der Pressefreiheit, die von Politikern wie dem Chef der Hessischen Staatskanzlei, Jochen Riebel, doch nach wie vor als "eine der größten Errungenschaften der Demokratie" gefeiert wird? Wie lässt sich der Mantel der Verschwiegenheit lüften, der sich mit der (Wieder-) Entdeckung der sanften, strukturellen und offenen Zensur immer weiter ausbreitet? Verwandeln sich die Medien in Zukunft vom Wachhund zum Schoßhund, oder sind sie doch schon immer der eigentliche Kampfhund, der Konflikte gar noch anstachelt?
Auf der Berliner Konferenz zu Demokratie, Krieg und Medien waren sich Freimut Duve und Harald Müller, geschäftsführender Vorstand der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung jedenfalls einig, dass über das Beginnen, Führen und Verarbeiten von Krieg noch viel mehr als bisher "breite Diskurse" unter Einschluss gesellschaftlich geachteter Akteure geführt werden müssen. Die Wirksamkeit der öffentlichen Debatte sei nicht zu unterschätzen, sagte Duve. "Sie hat mindestens ein so starkes Gewicht wie jeder Regierungsfederstrich."