Wenn die Freiheitseinschränkung zur Normalität wird

Ein Symposium zu den Schwarzen Listen in Europa zeigte das weitgehende Desinteresse an der Thematik

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Das junge Paar auf der Webseite könnte mit ihren modischen T-Shirts auf jedem modernen Werbemagazin reüssieren. Doch die Verantwortlichen für diese Seite standen monatelang in Dänemark wegen des Verdachts auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Ihnen drohten Gefängnisstrafen bis zu 2,5 Jahren, weil sie T-Shirts mit politischen Logos herstellen und vertreiben. „Fighters und Lovers“ nennt sich die Gruppe, die T-Shirts mit dem Logo der kolumbianischen Guerilla FARC und der palästinensischen PFLP bedruckt und vertreibt. Ein Teil des Erlöses geht an zivile Projekte, die den politischen Organisationen nahe stehen, deren Logo auf den T-Shirts steht. Eines dieser Projekte ist ein Radio in Kolumbien.

Seit einigen Tagen können die Fighters und Lovers aufatmen. „T-Shirts sind keine Terrorhilfe", befanden zwei der drei Richter in Kopenhagen Ende letzter Woche und sprachen die sieben Angeklagten frei. Die Richter kritisierten in der Urteilsbegründung gleichzeitig jene Schwarzen Listen, auf denen sowohl FARC als auch PFLP stehen und die Grundlage des Verfahrens gewesen sind: Beide Gruppen hätten Verbrechen wie Mord oder Entführungen begangen, aber ihre Aktionen hätten nicht beabsichtigt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder die politischen oder wirtschaftlichen Systeme ihrer Länder zu zerstören, weswegen es keine Terrorgruppen seien. Einer der Richter betrachtete allerdings die FARC als Terrorgruppe.

Die Bekanntgabe des Urteils wurde denn auch auf einem Symposium, das sich am vergangenen Wochenende in der Freien Universität Brüssel mit den Schwarzen Listen befasste, mit Genugtuung aufgenommen. Die nun nicht mehr kriminalisierten T-Shirts fanden guten Absatz. Doch ein Delegierter einer Solidaritätsgruppe aus Dänemark dämpfte zu großen Optimismus. In den nächsten Monaten stehen in Kopenhagen neue Prozesse wegen Unterstützung der FARC bevor. Betroffen ist die linke Solidaritätsgruppe Opror, die eine Geldspende an die FARC weitergeleitet haben soll. Auch der dänischen Holz-, Industrie- und Bauarbeitergewerkschaft TIB droht ein Verfahren. Sie hat in der letzten Woche dem kolumbianischen Gewerkschafter Raul Reyes, der sich mittlerweile der FARC angeschlossen hat, eine Geldspende von ca. 1.300 Euro zukommen lassen.

Selektive Aufmerksamkeit

Viele solcher Beispiele waren auf dem Symposium zu hören. Doch eine Strategie, wie es gelingen könnte, mit einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne gegen die Schwarzen Listen vorzugehen, war in Brüssel kaum zu hören. Es wurden allerdings erfolgreiche Beispiele auf nationaler Ebene vorgestellt. Dazu gehört die britische Kampagne gegen die Kriminalisierung von Communities, die sich vor allem dagegen wendet, dass mit dem zum Feindbild gewordenen Schlagwort des Islamismus ganze Bevölkerungsgruppen unter Terrorverdacht geraten und diskriminiert werden. Mit Stadtteil- und Community-Konzepten, die an die Bürgerrechtsbewegung in den USA der 70er Jahre erinnern, gelingt es, auch die Betroffenen mit einzubeziehen.

Damit aber kommt das Thema aus den Seminarräumen heraus, wo die Engagierten anderen Engagierten die Situation erklären. In Brüssel blieben die Juristen und Menschenrechtler aus verschiedenen Staaten weitgehend unter sich. Das ist für sie ein schon gewohnter Zustand, wird ihnen aber bei solchen Treffen regelmäßig wieder vor Augen geführt. Nur in den Pausen wurde denn auch mal darüber gesprochen, wo die Ursachen für das Desinteresse liegen könnten.

So meinte der Bremer Rechtsanwalt Eberhard Schultz, dass die Kritiker der Rechtseinschränkungen oft an den Zielgruppen vorbei argumentieren, wenn sie den Eindruck erwecken, dass bald alle von den Folgen der Schwarzen Listen betroffen seien. Tatsächlich seien hier immer noch in erster Linke Aktivisten verschiedener politischer Bewegungen im Visier. Andererseits würden gerade von Video- und Onlineüberwachungen tatsächlich alle betroffen. Das hat zu einer gesteigerten Sensibilität geführt, was sich an den Protesten gegen die Vorratsdatenspeicherung in den letzten Monaten gezeigt habe. Die wiederum war in Brüssel kein Thema.

Auch am Beispiel Dänemark zeigte sich die selektive Aufmerksamkeit beim Thema Freiheitseinschränkung. Während in den vergangenen Monaten Tausende nach dem Abriss eines selbstverwalteten Jugendzentrums in Kopenhagen auf die Straße gegangen sind, fanden die monatelangen Prozesse gegen die Hersteller der Polit-T-Shirts kaum Beachtung. Auch in der Presse wurde erst bei Prozessende gelegentlich berichtet.

Ein Beispiel für selektive Berichterstattung und Wahrnehmung gibt es aktuell auch in der Türkei. Während der Schüler Marco W. durch seine achtmonatige Haft in der Türkei wegen des durchaus noch nicht widerlegten Verdachts auf Vergewaltigung einer Minderjährigen zum Liebling von deutschen Boulevardmedien und Stammtischen wurde, kennt kaum jemand Mehmet Bakir und Mehmet Desde.

Die beiden Kurden, die jahrzehntelang in Deutschland gelebt haben, wurden im Juli 2002 bei einem Kurzurlaub in der Türkei unter dem Vorwurf verhaftet, Flugblätter einer kaum bekannten “Bolschewistischen Partei Nordkurdistan-Türkei” am Strand verteilt zu haben. Obwohl es keine Beweise gab, mussten die beiden Männer monatelang in einem Hochsicherheitsgefängnis zubringen, durften nach ihrer Freilassung das Land nicht verlassen und wurden durch zwei Instanzen von der türkischen Justiz zu 30monatigen Haftstrafen verurteilt, die sie mittlerweile antreten mussten. Das absurde Verfahren könnte durchaus als ein weiteres Beispiel für die Serie Kafka in Europa gelten, findet in den deutschen Medien, aber auch in großen Teilen der Solidaritätsbewegung, kaum Interesse.