Wenn sich Liebe in Gift verwandelt

Wie eine kleine Kunstausstellung zu fragwürdiger Berühmtheit gelangte

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Man muss bis in die hinterste Ecke im Erdgeschoss des Künstlerhauses Bethanien in Berlin/Kreuzberg gehen, um sie zu finden: eine kleine Kunstausstellung mit dem Titel "When Love Turns to Poison". Hier werden künstlerische Arbeiten von sieben Künstlern und einem Künstlerpaar zu der "vergifteten" Seite von Liebe und Sexualität gezeigt. Die Auseinandersetzung um diese Ausstellung ist genauso spektakulär wie jede Ausstellung zum Thema Sexualität

Doch plötzlich kam diese Ausstellung zu fragwürdiger Berühmtheit. Kinderschützer meinten Kinderpornografie entdeckt zu haben, brachten es gar zu dem Vorwurf, Pädophile würden sich an den Bildern aufgeilen können. Einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Bilder mussten für diese Vorwürfe herhalten. Der Ruf nach Zensur wurde laut, die Ausstellung solle geschlossen werden, wurde gefordert. Aufmerksam geworden durch den Medienrummel trat dann noch ein stadtbekannter Störer und Bibelfanatiker in Aktion und zerstörte einen Teil der Ausstellung. Die Ausstellung musste danach für kurze Zeit geschlossen werden.

Kunst gegen Kindesmissbrauch, einmal aus der Sicht des Vereins "Gegen Missbrauch" und einmal aus der von Beth Love

Die Bezirksbürgermeisterin, Frau Cornelia Reinauer (PDS), stellte sich hinter die Ausstellung und die Künstler und lud die Kritiker zu einem Gespräch ein. Dabei machte sie deutlich, dass sie nicht bereit sei, die Ausstellung schließen zu lassen. Die Künstler griffen die Kritik auf und haben ihre Arbeiten um erklärende Hinweise ergänzt. Besonders hervorgetan hat sich der Vorsitzende des Vereins "Gegen Missbrauch". Er hatte die Ausstellung zwar nur im Internet gesehen, jedoch genügte ihm dies schon, um eine einstweilige Verfügung zur Schließung zu beantragen. Dass dieser Antrag fehlerhaft war und so nicht bearbeitet werden konnte, ist nur ein Bonmot am Rande. Inzwischen hat der Vorsitzende erklärt, dass die fehlenden Unterlagen nicht nachgereicht werden und damit die einstweilige Verfügung nicht beantragt würde.

Ein Ausstellungsgegenstand gelangte durch diesen Medienrummel zu Berühmtheit: die Häkelpuppe von Françoise Cactus (auch Stereo Total). Skandal: Puppe will Superstar werden betitelte die TAZ ihren Artikel. Diese Häkelpuppe, die einen ziemlich unerotischen Topflappencharme hat, geriet unversehens zum Gegenstand von Kinderschändervorwürfen in den Zeitungen Bild und B.Z.. Dabei hatte Cactus Wollita ausgerechnet nach dem Vorbild einer gewerblichen Sexanzeige in der B. Z. gehäkelt: "Scharfe Wollmaus, 18 Jahre jung, will dich verwöhnen. Immer bereit."

Die Diskussion über diese Ausstellung macht einmal mehr deutlich, dass die Darstellungen zum Thema Sexualität noch immer, oder schon wieder, zu heftigen Auseinandersetzungen, zum Ruf nach Zensur und zur Zerstörung führen. Dazu wird erst gar nicht der Dialog mit den Künstlern gesucht, über die Medienöffentlichkeit wird Stimmung gemacht und mit einstweiligen Verfügungen versucht, öffentlichen Druck auszuüben. Die Bezirksbürgermeisterin lädt nun zu einer Diskussion am letzten Ausstellungstag ein.