Wenn zwei sich streiten

Christoph Markschies (Präsident der Humboldt-Uni Berlin). Alle Fotos: Stefan Höltgen

Am Ende des Darwin-Jahres bleibt eine Frage zum Glück unbeantwortet

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Kurz vor Ende des Darwin-Jahres hat das Museum für Naturkunde eine Tagung zum Streit über Kreationismus und Szientismu veranstaltet. Die dort aufgearbeiteten Positionen - und die dort nicht verhandelte Meta-Position - liefern einen guten Überblick darüber, was es im Darwin-Jahr eigentlich zu feiern gab.

Das hätte sich der studierte Theologe Charles Darwin wohl kaum träumen lassen: dass seine Evolutionstheorie zu seinem 200. Geburtstag zu einem Markstein für einen kulturellen Streit werden würde, bei dem nichts Geringeres als die Status von Glauben und Wissen zur Debatte stehen. Der Grundstein dafür war allerdings schon mit Ende des Mittelalters und dem Beginn der neuzeitlichen Philosophie und Erkenntnistheorie gelegt worden - mit einigen Recht ließe sich der von Descartes entfachte Dualismus zwischen dem Mentalen und dem Physischen ohnehin als der Ausgangspunkt ausmachen, von dem aus die modernen Naturwissenschaften ihren methodologischen Weg betreten haben, der heute als "methodischer Naturalismus" beschildert ist.

Für Darwin war die Suche nach einem Entwicklungsplan der Natur aber durchaus noch kein Widerspruch zum religiösen Schöpfungsakt, sondern vielmehr der Versuch hinter die wundersame Methodik desselben zu blicken. Dass sich die Evolutionstheorie recht schnell zu einer Globaltheorie für die Mechanismen aller möglichen Erfahrungsbereiche von Ethnologie und Soziologie über die Technik und Ökonomie bis zur Ästhetik entwickeln würde, war für ihn nicht abzusehen. Die Katholische Kirche hat diese Entwicklung scheinbar antizipiert und in einem "Syllabus Errorum", der wie Darwins "On the origin of species ..." ebenfalls vor genau 150 Jahren erschienen ist, alle Fehllehren verdammt und aufgelistet - die Evolutionstheorie lässt sich darin allenfalls implizit finden.

Harald Lesch

Methodischer Naturalismus

Zurück in die Berliner Gegenwart: Harald Lesch, der aus dem Fernsehen bekannte und stets ein wenig zappelig wirkende Professor für Astrophysik und Naturphilosophie hat auf der Berliner Tagung den ersten Vortrag gehalten und darin vor allem die Viabilität des methodischen Naturalismus hervorgehoben. Roy Wood Sellar hatte dessen "Credo" auf den Punkt gebracht: "Wenn es um die Beschreibung und Erklärung der Welt geht, sind die Naturwissenschaften das Maß aller Dinge." Die vermeintliche Hybris hinter diesem Satz versteckt sich in den hier noch nicht klar definierten Begriffen "Erklärung", "Welt" und "Maß aller Dinge". Ohne weitere Erläuterung wirkt es zunächst so, als erklärten die Naturwissenschaften "alles" - und dazu zählen eben auch metaphysische Fragen. Und demgemäss hat Lesch dann auch das Leben, das Universum und den ganzen Rest zum Gegenstand der Naturwissenschaften erklärt. Nun, beinahe "den ganzen Rest", denn für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde nach dem Urknall und den zu dieser Zeit unermesslich kleinen Raum gäbe es noch keine physikalische Beschreibung und dort, so Lesch, könne Gott durchaus ein Plätzchen gefunden haben.

Martina Köbl-Ebert

Der Kosmologie, wie auch der gesamten Naturwissenschaft geht es natürlich nicht darum, ein Refugium für Gott zu ermitteln und erst recht nicht, sich überhaupt in theologische Fragestellungen einzumischen. Der Rhetorik Leschs ließ sich aber bereits entnehmen, dass diese Rolle dennoch immer wieder eingenommen werden muss, und sei's im Modus des Witzelns, weil sich die Naturwissenschaften durch zwei Parteien in einem eigentlich theologischen Diskurs instrumentalisiert sehen. Auf der einen Seite stehen kreationistische Ideologien, die religiöse Schöpfungserzählungen naturwissenschaftlich beweisen wollen; auf der anderen Seite Szientisten wie Richard Dawkins. Diese versuchen im Gegenteil Religion und Glauben als Hirngespinste und (schlimmer noch) psychischen Defekt abzutun - ebenfalls, indem sie naturwissenschaftliche Gegenbeweise ins Feld führen. Ein so verstandener und praktizierter Atheismus verkennt nicht nur seine dialektische Befangenheit (er ist sozusagen nur die andere Seite derselben Medaille), sondern auch die dogmatische Ausrichtung, die ein derartiger Totalitätsanspruch mit sich führt. Welche Formen das dann zukünftig annehmen könnte, lässt sich als sarkastische Dystopie in der "South-Park"-Doppelfolge "Go God Go" belachen.

Schaubild von Martina Köbl-Eberg, die über die Begriffe "Zufall" und "Design" sprach

It's a political struggle

Es gibt selbstverständlich auch gemäßigte Positionen, die in der Überzahl sind, wegen ihrer "ruhigeren Rhetorik" aber nur selten im öffentlichen Diskurs zu vernehmen sind. Das gemäßigte Gespräch findet zwischen drei Parteien statt: neben den Naturwissenschaftlern, die ihren Arbeitsgegenstand nicht über seinen Definitionsrahmen hinaus ausdehnen, stehen jene Theologen, die gerade in dem Gebaren der Kreationisten eine Gefahr für die Religionsausübung sehen. So haben sich auf der Tagung vor allem der Beauftragte für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Hansjörg Hemminger, und der Berliner Philosoph und Theologe Richard Schröder gegen dieses Missverständnis einer vernaturwissenschaftlichten Schöpfungstheorie ausgesprochen, indem sie einerseits noch einmal den text-historischen Hintergrund der Schöpfungsgeschichten rekapituliert haben und andererseits die Gefahr für den fruchtbaren Austausch zwischen beiden Weltzugangsweisen betonten, wenn jede von ihnen Totalitätsansprüche erhebe.

V.l.n.r.: Hansjörg Hemminger (Theologe), Martina Köbl-Ebert (Geologin), Horst Bayrhuber (Biologe), Harald Lesch

Die dritte Partei wird durch die Philosophie bestritten, die in Berlin in Form des zum Star avancierten Richard David Precht vertreten war. Precht hat zentrale Probleme der deutschen Darwin-Rezeption hervorgehoben, die etwa durch die verschiedenen Übersetzungen von "survival of the fittest" aufgetreten sind, und zu verschiedenen historischen Missbräuchen der Theorie geführt haben. Damit hat er aber auch genau den wunden Punkt jener dialektischen Befangenheit von Szientismus und Kreationismus markiert: Die Positionen lassen sich nur vor dem Hintergrund einer politischen und ideologischen Lektüre verstehen. Der Kampf ist vor allem ein Kampf um die Diskurshoheit - ausgetragen auf dem Feld naturwissenschaftlicher Rationalität und Begründungslogik. Im Prinzip, könnte man sagen, wollen beide dasselbe: Recht bekommen. Und dieses Rechthaben, da schließt sich der Kreis zur Philosophie der Neuzeit, ist gekoppelt an logische und empirische Beweisverfahren und eben nicht am Glauben.

Precht in Action

Tertium non datur?

Dass gerade Religiosität in ihrer Zerrform als Kreationismus einen solchen Anspruch entwickelt, lässt sich - wie eingangs erwähnt - wohl nur institutionshistorisch erklären. Mit dem wachsenden Einfluss der Naturwissenschaften auf die Lebenswelt des Menschen mussten die Religionen mehr und mehr Wahrheitsansprüche auf- bzw. an die Naturwissenschaften abgeben. Der von den Kreationisten konstatierte Wahrheitsanspruch des Bibelwortes von der Schöpfung scheint ein Rest dieses Prozesses zu sein, der sich an vermeintlichen Erklärungslücken der Evolutionstheorie abarbeitet. Die Kreationisten, die mit diesem Anspruch in den Glaubenskrieg gegen die Naturwissenschaften treten, stellen auf diese Weise aber nicht bloß ihren eigenen Anspruch auf die Möglichkeit einer Glaubenswahrheit jenseits empirischer und logischer Weltbeschreibungen zur Disposition; sie offenbaren vor allem auch eine tiefe Sehnsucht nach Glauben in "Zeiten des Wissens".

Patrick Illinger (Süddeutsche Zeitung)

Warum ein Mensch nämlich antritt, seinen Glauben wie eine Gewissheit zu verteidigen und sogar zu verbreiten, ist tatsächlich eine mentalitätsgeschichtliche Frage wie auch die Sehnsucht des Szientisten, alles, woran man "nur glauben kann" aus der Welt zu bekommen und durch naturwissenschaftliche Rationalität zu ersetzen. Die eigentliche Frage müsse daher an die Kulturwissenschaften gestellt werden und einerseits die historischen Ursachen für diesen Streit ermitteln, andererseits unsere kontemporären Kulturen beschreiben um herauszufinden, warum wir gerade in den vergangenen Jahren und trotz der Postmoderne wieder Totalitätsansprüche in Bezug auf die Welterklärungsmodelle entwickeln.

Haeckel-Forscher Uwe Hoßfeld

Widerstreit als Lebensmodus

Diese Frage wurde auf der Darwin-Tagung nicht gestellt, wenngleich sie auch über allen Vorträgen geschwebt hat. Vor allem im letzten Teil der Veranstaltung, in dem Modelle für Religionsdidaktik im Schulunterricht vorgestellt wurden, hat sich am empirischen Forschungsmaterial gezeigt, wie sehr bereits Kinder und Jugendliche derartigen Totalitätsansprüchen nachhängen - der einen wie der anderen Richtung. Antworten auf die Konstitution des Individuums in/seit der Neuzeit hat es zuhauf gegeben und nicht wenige davon haben die grundsätzliche Dichotomisierung von Leib und Seele, die Angst vor der Zukunft, die sozialen Individualisierungsprozesse und den Werteverlust thematisiert - alle möglichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen beschäftigen sich mit diesem Prozess und haben ihn als conditio humana des neuzeitlichen Menschen festgestellt.

Die Didaktiker (v.l.n.r.): Annette Upmeier zu Belzen, Martin Rothgangel, Marcus Hammann

Folgte man dieser Zuschreibung konsequent, ließe sich selbst der Disput zwischen Kreationisten/Szientisten und gemäßigten Naturwissenschaftlern/Theologen bereits selbst als ein Ausweg beschreiben. Gesellschaftliche Diskurse werden gerade durch ihre Verschiedenheit und unterschiedlichen Ansprüche am Leben gehalten. Die wesentlichen Fragen eben nicht letztgültig beantworten zu können, ist dabei gewünscht. Es müsste sich nur ein Modus des Streits finden lassen, der die jeweiligen Antwortvorschläge in keine Hierarchie einzuordnen versucht, sondern deren Gültigkeit für verschiedene Lebensbereiche wieder mehr berücksichtigt. Die Evolutionstheorie bietet als das derzeit am stärksten umstrittene Gebiet hierzu die besseren Möglichkeiten; die vielfältigen Beschäftigungen mit Darwin im vergangenen Jahr haben das gezeigt. Sie erfolgreich zu entideologisieren müsste dazu am Anfang stehen. Falls dafür ein kalendarischer Anlass benötigt wird, ließe sich der im kommenden Jahr im vierhundertsten Jahrestag von Galileos erstem Beweis gegen das heliozentrische Weltbild und im hundertjährigen Jubiläum des katholischen "Antimodernisteneides" finden.