Wer wird die Arche bauen?

Seite 4: Jemseits der grünen Zone

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Nachhaltige Stadtmodelle für den gesamten Planeten zu schaffen, und nicht nur für einige privilegierte Länder oder Gesellschaftsschichten, erfordert ein enormes Maß an Fantasie, wie es die Künstler und Wissenschaftler in den Glanzzeiten der Vhutemas und des Bauhaus bewiesen haben. Es erfordert eine kompromisslose Bereitschaft, über den Horizont eines neoliberalen Kapitalismus hinauszublicken und eine globale Revolution zu beginnen, die die Arbeitskraft der informellen Arbeiterklassen ebenso wie die arme Landbevölkerung nutzt, um eine nachhaltige Umstrukturierung ihrer Lebensbedingungen zu erreichen.

Natürlich ist das eine vollkommen unrealistische Vorstellung, aber entweder begeben wir uns heute auf eine hoffnungsvolle Reise und glauben daran, dass die Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ingenieuren, Ökologen und Umweltaktivisten einen kleinen, aber entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, dass die Schaffung einer neuen Welt etwas mehr in den Bereich des Möglichen rückt, oder wir ergeben uns in eine Zukunft, in der Planer und Architekten nur noch die Handlanger elitärer alternativer Lebensformen sind. Die "grünen Zonen" unseres Planeten mögen zwar reichhaltige Möglichkeiten für die Monumentalisierung individueller Visionen bieten, aber die ethischen Fragen von Architektur und Planung können nur in den Mietskasernen und Ballungsräumen der "roten Zonen" gelöst werden.

Ich bin daher der Ansicht, dass wir uns einzig durch eine Rückkehr zu einer explizit utopischen Denkweise Klarheit über die Mindestvoraussetzungen für den Erhalt humanitärer Solidarität angesichts des Zusammenspiels der unterschiedlichen planetaren Krisen verschaffen können. Ich glaube verstehen zu können, was die italienisch-marxistischen Architekten Tafuri und Dal Co meinten, als sie vor "einer Rückentwicklung zum Utopismus" warnten, um jedoch unseren Horizont so weit öffnen zu können, dass wir in der Lage sind, die Herausforderungen des Anthropozäns zu meistern, ist es erforderlich, alternative Formen und Kombinationen von Mitteln, Praktiken und sozialen Beziehungen in Betracht zu ziehen. Dafür müssen wir uns aber von den wirtschaftspolitischen Überzeugungen befreien, die uns an die Gegenwart ketten.

Natürlich spreche ich heute zu Ihnen als ein in die Jahre gekommener Sozialist, der nach wie vor mit derselben Inbrunst an die Selbstemanzipation der Arbeiter glaubt wie Gouverneurin Sarah Palin an die Karibujagd. Aber Utopismus bedeutet nicht zwangsläufig Millenialismus und ist auch nicht auf Prototypen und Zeichenpult beschränkt. Eine der vielversprechendsten Entwicklungen in diesem neuen intellektuellen Raum, in dem Forscher und Aktivisten über die Auswirkungen der Erderwärmung auf die weitere Zukunft unserer Erde diskutieren, ist eine ganz neue Bereitschaft, sich dem Notwendigen zu verschreiben, anstatt dem Machbaren. Immer mehr Experten vertreten die Ansicht, dass uns jetzt nur noch zwei Möglichkeiten bleiben: Entweder wir kämpfen für die Umsetzung "unmöglicher" Lösungen für die immer komplexeren Probleme der Armut in Städten und der Klimaveränderung oder wir machen uns zu Komplizen eines Prozesses, dem die Menschheit letztendlich zum Opfer fallen wird.

Ich denke, dass wir daher Mut aus einem kürzlich erschienenen Editorial (11. September 2008) der Zeitschrift Nature schöpfen können. Im Anschluss an die Erklärung, dass die "Herausforderungen einer schleichenden Urbanisierung integrative, multidisziplinäre Ansätze und ein neues Denken auf den Plan rufen", fordern die Redakteure die Wohlstandsländer auf, eine Null-Kohlenstoff-Revolution in den Dritte-Welt-Städten zu finanzieren. "Es mag utopisch erscheinen", schreiben sie, "die Einführung dieser Innovationen in den Ballungszentren der Schwellen- und Entwicklungsländern zu fördern, wenn sich viele der Einwohner kaum ein Dach über dem Kopf leisten können. Diese Länder haben jedoch schon bewiesen, dass sie ein Talent für technischen Fortschritt besitzen, z. B. durch die Umgehung von Festnetzinfrastrukturen mit Hilfe von Mobiltelefonen. Viele der ärmeren Länder haben auch eine langjährige Tradition, Gebäude an lokale Praktiken, Umgebungen und Klimabedingungen anzupassen, sozusagen eine natürliche Disposition für integrative Planung, die uns in der westlichen Welt leider abhanden gekommen ist. Jetzt haben diese Länder die Möglichkeit, ihre traditionellen Ansätze mit modernen Technologien zu verknüpfen."

Auch der Human Development Report 2007/2008 der Vereinten Nationen weist darauf hin, dass eine "zukünftige humanitäre Solidarität" auf massiven Hilfsprogrammen aufbauen muss, die den Entwicklungsländern die Möglichkeit geben, sich an drastische Klimaveränderungen anzupassen. Der Bericht fordert eine Beseitigung der "Widerstände gegen die schnelle Finanzierung von Low-Carbon-Technologien, die dringend erforderlich sind, um gefährliche Klimaveränderungen zu vermeiden… Wir dürfen die Ärmsten dieser Welt nicht mit ihren eigenen Ressourcen allein lassen, während sich die Bürger der Wohlstandsländer hinter der Fassade des Klimaschutzes verschanzen… Um es ganz deutlich auszudrücken: Die Armen dieser Welt, ebenso wie zukünftige Generationen, können sich die Selbstgefälligkeit und die Ausflüchte nicht leisten, die im Rahmen der internationalen Klimaschutzverhandlungen nach wie vor den Ton angeben." Eine Weigerung, entschlossen im Interesse der gesamten Menschheit zu handeln, "käme einem moralischen Versagen gleich, das in diesem Ausmaß beispiellos in der Geschichte der Menschheit wäre".

Wenn Ihnen dies wie ein sentimentaler Schlachtruf oder ein Überbleibsel aus der 68er-Generation erscheint, sei's drum. Denn wer auch nur einige der Beweise aus dem ersten Teil dieses Vortrags akzeptiert, der muss, so er es wagt, einen "realistischen" Blick auf die Zukunftsaussichten der Menschheit zu werfen, genau wie beim Anblick des Kopfes der Medusa, auf der Stelle zu Stein erstarren.