Wer zu spät kommt, den bestraft das Kleben!

Alien sein, das ist fein

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Das sind die Regeln für den Pixelpark: Regel Nummer 1: Vorher die Gegend auskundschaften. Auf Kameras und Polizisten achten. Mach' Dir Freunde in der lokalen Szene. Sie wissen Bescheid und können Dir helfen.
Nummer 2: Nachts arbeiten. Taschenlampe. Klebepistole. Schweiss.
Nummer 3: Sei schnell. Die Anderen wollen Deine Arbeit stören. Sie sind ordentliche Buergerleyn. Sie wollen, dass kruder Beton aussieht wie kruder Beton. Sie wollen Dein Gehirn veröden.

Doch auch ihre geballte Macht und ihr gezunder Buergerleynverstand können sie nicht aufhalten, die

INVASION!

Am nächsten Tag sind sie dann überall. Kleine Invaders. Auch die Telepolis-Korrespondenten Ulrich Gutmair und Martin Conrads haben sie schon bei ihrem Besuch in Paris im Jahr 1999 gesichtet und sogar fotografiert: Bonbonbunt-kulleräugige Aliens aus Badezimmerfliesenmosaiksteinchen, die nächtens von Herrn Invader an die Mauern schon vieler Städte und Metropolen geklebt worden sind.

Als Ihr ergebenster Berichterstatter vor nicht allzulanger Zeit die herrliche Stadt Bern, den Inbegriff entspannten Schweizertums, bereiste, konnte er nicht umhin, auch dort die Invader wahrzunehmen, sich spontan an Gutmair/Conrads' angenehmen Artikel zu erinnern und umgehend zur Dokumentation zu schreiten:

Alien sein, das ist fein. Foto: Günter Hack

Die Invader kleben an Berner Brücken, glotzen neugierig von alten Bürgerhäusern und blinzeln lichtscheu unter den ehrwürdigen Arkaden der Bundesstadt hervor. Sie muten so exzentrisch an, als wären sie schon immer Schweizer gewesen und Bern ihre ureigenste Heimat. Sie sensibilisieren die Eingeweihten für die Stadt. Sofort aktivieren sich Jagd- und Suchinstinkte, man will unwillkürlich den nächsten Invader finden und entdeckt stattdessen eine ganze Stadt. Auch die Bewohner der Stadt werden ihrerseits auf einen aufmerksam, wenn man mit dem irren Grinsen und dem entschlossenen Blick eines britischen Gentleman-Insektenforschers um ihre Ecken huscht, die Kamera im Anschlag, um das nächste seltene Exemplar zu registrieren:

"Mr. Alien, I presume?"

Space Invaders sind das lustige Update des Graffiti. Sie erobern den Raum und lassen Urbanität neu erleben, weil man sofort in einen anderen Modus der Wahrnehmung wechselt. Was Neugier erregt, ist schon mal gut. Kunst, die nicht öffentlich von den Buergerleyn und ihren Bütteln genehmigt ist, und sich nicht artgerecht in Museen oder in den protzigen Zentralen hohler Megakonzerne aufhält, ist verpothen! Oh ja. Verpothen ist auch gut. Sehr gut, sogar. So gut, dass man sich unbedingt sofort nach Bern aufmachen, dort Dick from Outaspace von Rockers Hi-Fi in Sonys Wandersmann schieben und auf Entdeckungsreise begeben sollte.

Ein Exemplar der zwecks Immersion in die eigenartigeren Seiten des Schweizertums erworbenen und schon wirklich etwas komischen Zeitschrift SoDa hilft bei der Aufklärung. Der Invader sei 30 Jahre alt und stamme aus Paris, heißt es da. Als Gimmick klebt noch eine von den feinen Berner Grafikmenschen Büro Destruct gestaltete Stadtkarte samt eingezeichneter Invader in dem Heft. Das nenne ich professionell und nehme einen Cappuccino, gucke den wunderschönen Berner Frauen nach, während drüben, auf der berüchtigten Terrasse des Hotels Bellevue, die superreichen Freaks ihre Geschäfte aushecken. Jaja, die Schweizerdesigner geben mir den Glauben an Print zurück, so wie sie ihre komischen Magazine gestalten und sorgfältig schönes Papier dafür auswählen und haufenweise Sonderfarben dazuklatschen und das in makelloser Schweizerqualität... Die kommen bei mir gleich nach GOTT, das heißt, in diesem speziellen Fall, Designers Republic, Sheffield, wenn ich mich recht erinnere... Die immer diese schönen Cover für Autechre und anderen fratzeligen Robo-Bleep gemacht haben. Was bin ich doch für ein ausgebuffter Connaisseur!

Zum Connaisseur sein gehört natürlich auch la recherche. Also ab ins Netz und den Invader ausfindig machen. Anonym wie er ist, hat er seine eigene Website, die man unter der Adresse www.space-invaders.com bestaunen kann. Es empfangen einen krude gemeißelte Pixel, eine Artikelschnipselgalerie und haufenweise Fotos und Videos. Das ist gut, straightforward und sehr, sehr jetzt. Im Hintergrund grummelt der selbstverständlich original gesampelte Sound der noch originaleren Space Invaders. Obwohl ich schon immer Pac-Man vorgezogen habe, bin ich begeistert. Adrenalin und Endorphine pusten den Staub von meinen Sprachneuronen und legen spontan eine derartige verschütt gegangen geglaubte französische Sprachmacht in mir frei, dass ich beschließe, ein Email an Herrn Invader in dessen Muttersprache zu schreiben. Das ist nun schon einige Wochen her. Am Montag hat er geantwortet und es hat sich herausgestellt, dass er ein guter Typ ist.

Zunächst rückt er sein Alter nicht raus. No sweat, baby. Das kenne ich ja schon aus dem SoDa-Artikel. Angeschmiert. Invader schreibt, er hätte 1988 mit der Invasion begonnen. Die ersten Artikel aus seinem Online-Pressearchiv stammen von Mitte/Ende der 90er. Hmmm. Skepsis. Als nächstes die Gretchenfrage vom deutschen Hänsel: "Avez-vous déjà eu des conflits avec la police?"

"Oui, souvent", antwortet der Künstler. Oft gerät Invader mit den Bürgerleynbütteln aneinander. Den Berner Kunstpompfüneberern hat er nachts und nebelns ein fettes Raumschiff an die Kunsthallenwand betoniert. Sie haben es, so berichten die verdienstvollen Kollegen von SoDa, wieder abgepickelt. Wie nicht anders zu erwarten.

Als Invader mit seinem Projekt angefangen hat, so erzählt er, habe er sich nicht mit der Geschichte des Graffiti auseinandergesetzt. Erst später habe er die Verbindung zu dieser Kunsttradition hergestellt. Er kenne zwei Handvoll Post-Graffiti-Spezialisten, die sich in den Metropolen dieses Planeten mit der Weiterentwicklung ihrer Kunst beschäftigten. Er meint damit vermutlich coole Figuren wie seinen eigenen Kumpel Zeus, der, wenn die Sonne schon niedrig steht, die Schatten von Gegenständen mit schwarzem Spray auf den Asphalt fixiert und anschließend einen feinen silbrigen Halo drumrumsprüht. Der Schatten bleibt. Genauso wie der Eindruck, dass Invader und seine Crew verdammt gute Künstler sind. Invader nimmt die authentischen visuellen Codes unserer Generation auf und erobert uns damit den Raum. Space Invaders - jeder versteht das. Es bietet viele Einstiegsmöglichkeiten. Kulleraugen und Pixelquark für einfachere Leute wie mich und jede Menge Subtext für die Fraktion mit den schwarzen Rollkragenpullovern. Es ist Pop, aber ohne sich penetrant anzubiedern. Es spielt mit retro, aber es ist nicht retro, denn da stehen die Originalität und die Materialtreue dazwischen. Invader weist nicht gähnend zurück in die erkalteten 80er, sondern seine Pixeldivisionen blinzeln hoffnungsvoll in die Zukunft. Er signiert seine Mail mit:

Regards from Space, Invader.

Invader beweist mir, dass die Kunst weitergeht. Da steht nicht irgendein teurer Klotz da und wartet auf Interpretation, so wie es die blutleeren Schleicher gerne haben, sondern da wird nächtens geschlichen und gebastelt und getrickst und entwischt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Kleben! Echte Kunst ist schneller als die Bullen.

Mannomann. Ich hatte selten so viel Spaß. Merci beaucoup, Invader from Space!

P.S.:

Am Ende, weil es mir gerade beim Kartoffelchipsknuspern so einfällt, noch ein Vorschlag für ein lustiges Partyspiel unter Superintellektuellen: Derjenige, der den einseitigen Artikel mit den meisten Wörtern verfasst, die von der automatischen Rechtschreibstasiautomatik von Winword rot unterringelt werden, aber nichtsdestotrotz richtig geschrieben sind, hat gewonnen und darf gratis eine Seite aus Jean-Paul Sartres La Nausée im Original rückwärts vorlesen. Also, Jungs und Mädels: Schwarze Rollkragenpullover zurechtstulpen und ab an die Notebooks!!!

Ein Wort, das ich übrigens zu meiner großen Enttäuschung weder im Rechtschreib- noch im Herkunftswörterbuch-Duden, geschweige denn in Wahrigs Fremdwörterlexikon finden konnte und dennoch auf Anhieb richtig geschrieben habe! Aber wozu gibt es denn das Internet? Hier hat sich Herr Mag. Dr. Gregor Retti, verdienstvoller Austriazismenforscher an der Universität Innsbruck, die Mühe gemacht, den ausdrucksstarken Wortschatz unserer südlichen Sprachverwandten online zu stellen. Allerdings nicht ohne unter der Rubrik "Erhebungsdaten" den Namen seines eigenen Landes gleich zweimal falsch zu schreiben!