Wider die Content-Kontroll-Manie der Datenherren

Das Verbraucherministerium sagt mangelhaften Kopierschutzverfahren und einem einseitig für die Informationsindustrie Partei ergreifenden Urheberrecht den Kampf an

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Für die Balance der Interessen, die in einem der Wissensgesellschaft angemessenen Urheberrecht erforderlich ist, sind die Argumente der Nutzer bislang noch nicht hinreichend zu Wort gekommen (Die Nutzer brauchen eine Lobby). Spät, aber vielleicht nicht zu spät, besinnt sich nun das grüne Verbraucherschutzministerium, das sich bislang vor allem mit Bio-Siegeln, BSE-Rindern und der Obsteinfuhr abgeackert hat, seiner naturgemäßen Rolle: Der parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger ergreift im Gespräch mit Telepolis erstmals deutlich Partei für die Usergemeinde.

Die Musikindustrie hat seit Herbst begonnen, en masse Audio-CDs mit Kopierschutzverfahren zu bestücken. Dabei wird allerdings häufig nicht nur das Kopieren im Computer verhindert, sondern auch das Abspielen am PC oder auf älteren CD-Playern. Sind solche CDs mangelhaft, wie der Gerätehersteller Philips behauptet, der den Audio-CD-Standard mitentwickelt hat?

Mathias Berninger: Wenn diese CDs auf handelsüblichen CD-Playern nicht abgespielt werden können, sind sie natürlich mangelhaft. Der Kunde geht bei seinem Kauf davon aus, dass er die für viel Geld erworbene CD auf allen seinen Geräten abspielen kann, egal ob CD- oder DVD-Player, CD-ROM-Laufwerk oder sonstigen Lesegeräten. Was den Audio-CD-Standard betrifft, hat Philips meiner Meinung nach zurecht darauf hingewiesen, dass CDs, die in ihrer Struktur so stark verändert wurden, wie wir es bei einigen der kopiergeschützten Silberscheiben beobachten können, den vereinbarten Standard nicht erfüllen und so gesehen auch nicht als "Compact Disc" vertrieben werden dürfen. Der interessante Punkt ist, dass Philips auf eine Klage gegen die Hersteller verzichtet, da die Patentrechte in den nächsten Monaten ablaufen werden und sich eine längere gerichtliche Auseinandersetzung für das Unternehmen nicht lohnt. Es gibt also bei CDs keine Instanz, die auf die Einhaltung der vereinbarten Standards drängt.

Was können die Verbraucher selbst tun?

Mathias Berninger: Philips hat die weiteren Entscheidungen bezüglich der CD-Standards in die Hände der Verbraucher gelegt. Nach Auffassung des Unternehmens haben kopiergeschützte CDs mit den beschriebenen Mängeln auf dem Markt keine Chance, da sie von den Konsumenten boykottiert werden. In Großbritannien haben sich die Händler nach einer Beschwerdewelle bereits geweigert, kopiergeschützte CDs zu vertreiben und damit den nötigen Druck auf die Hersteller ausgeübt. Auch für Deutschland kann ein solcher Boykott die Musikindustrie zur Einsicht bringen. Damit der Verbraucher seine Macht an der Ladentheke ausüben kann, ist aber eine klare Kennzeichnung der kopiergeschützten CDs notwendig. Was nützt es dem Konsumenten, wenn er erst Tage nach dem Erwerb einer CD feststellt, dass sie zwar im Wohnzimmer, nicht aber im Auto fehlerfrei funktioniert. In einem solchen Fall werden die wenigsten die Mühe auf sich nehmen, die gekaufte CD zu reklamieren. Eine klare Kennzeichnung auf der Verpackung ermöglicht dagegen dem Verbraucher, eine bestimmte CD gar nicht erst zu erwerben, da ihre fehlerfreie Wiedergabe nicht garantiert werden kann.

In den USA gibt es sogar Bestrebungen, eine Pflicht zum Einbau sogenannter Sicherungstechnologien in allen Abspielgeräten zu fordern.

Mathias Berninger: Hier gelangen wir schnell an den Punkt, an dem eine Kennzeichnung allein nicht zur Durchsetzung von Verbraucherrechten ausreicht. Wenn auf allen CDs und allen Abspielgeräten drauf steht "Verhindert privates Kopieren", so können die Inhalte zwar abgespielt und den Ansprüchen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Genüge getan werden. Aber ein fundamentales Recht geht hier verloren: das auf die private Kopie. Dahinter steht viel mehr als die Möglichkeit, eine Kopie für den CD-Spieler im Auto anzulegen: Ein konsequentes Kopierverbot digitaler Medien in der Wissensgesellschaft würde die im Grundgesetz verankerten Bürgerrechte weitreichend einschränken, wie etwa das Recht auf Bildung, auf Teilhabe, auf Informationszugang und kulturelle Tradierung und auf Datenschutz.

Das Recht des Verbrauchers zum privaten Vervielfältigen ist von Seiten der Industrie unter Druck geraten. Einem Vorstoß des Bundesjustizministeriums entsprechend soll die Privatkopie zwar einerseits auf den digitalen Bereich ausgedehnt werden, andererseits soll das Umgehen von "wirksamen" Kopierschutztechniken jedoch unter Strafe gestellt werden. Muss der Gesetzesentwurf nachgebessert werden?

Mathias Berninger: Das Recht auf Privatkopien muss auf jeden Fall erhalten bleiben. Der bisherige Referentenentwurf des Justizministeriums hält an diesem Grundsatz fest. Der Käufer geht zu Recht davon aus, dass eine CD, die er für 15 bis 20 Euro gekauft hat, sein Eigentum ist, von dem er auch in normalem Umfang Kopien ziehen kann. Aber der Referentenentwurf macht sich nicht konsequent den Schutz von Nutzerrechten zu eigen. Das Recht auf die Privatkopie wird durch das Verbot ausgehebelt, technische Schutz- oder Sperrmaßnahmen zu umgehen, die von den Rechteinhabern gegen das Kopieren eingebaut werden. Damit wären wir bei der völlig einseitigen Parteinahme für die Informationsindustrie.

Haben wir es bald mit einem Volk von Verbrechern und Hackern zu tun, wenn die Nutzer ihre Praktiken nicht aufgeben?

Mathias Berninger: Mit der aktuellen Debatte versucht die Musikindustrie, altbekannte Gewohnheiten der Verbraucher zu kriminalisieren. Es war schon zu Zeiten der Vinyl-Platten und Musikkassetten üblich, Kopien für Freunde aufzunehmen. Man kann diese Kopien ja auch als eine kostenfreie Werbung für Musiker und Musikrichtungen verstehen. In der analogen Welt haben die Freunde mit den meisten selbst aufgenommenen Kassetten auch die meisten Platten gekauft. Heute werden Kopien von gekauften CDs ebenfalls an Freunde verschenkt. Es wäre naiv, diese Praxis nicht zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt an diesem Punkt kein Unrechtsbewusstsein, schließlich geht der Verbraucher davon aus, mit der CD nicht nur ein an Personen oder sogar Geräte gebundenes Nutzungsrecht erworben zu haben. Einem neuen Urheberrecht, das nun versucht, diese Praktiken unter Strafe zu stellen, fehlt die notwendige normative Durchsetzungskraft. Gesetze werden nur dann eingehalten, wenn ihre Zielsetzung auch vermittelbar ist.

Sind die gängigen Kopierschutzverfahren überhaupt "wirksam"? Das Justizministerium legt gemäß der Vorgaben der EU hier eine sehr weite Definition an. Anbieter von Brennersoftware fordern genauso wie Forscher und der Chaos Computer Club Klarstellungen.

Mathias Berninger: Über die "technische Wirksamkeit" gibt es unterschiedlichste Auffassungen. Ich befürchte, dass mit einer solch unklaren Formulierung in Zukunft in erster Linie die Gerichte beschäftigt werden, die entscheiden müssen, ob ein Klon einer CD, der den Kopierschutz nicht umgeht, sondern einfach mitkopiert, den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllt. Ähnlich verworren ist die Frage, ob Kopierprogramme, die von sich behaupten, mit der Kopie lediglich den CD-Standard wiederherzustellen und somit im strengen Sinne eine Fehlerkorrektur vornehmen, die wirksamen technischen Maßnahmen gesetzwidrig aushebeln. Aber besonders problematisch ist, dass bei solchen Formulierungen das Freiheitsrecht der Menschen ganz aus dem Blick geraten ist.

Die Medienindustrie dringt auf den verstärkten Einsatz von Techniken zur Rechtskontrolle (Digital Rights Management) und will so ihre Inhalte an die Leine nehmen. Die Rechte der Nutzer sind dabei im wahrsten Sinne des Wortes häufig sehr schnell "verbraucht", Musik etwa gibt es in den Angeboten der Industrie nur noch auf Zeit zu mieten. Wer vertritt die Rechte der Nutzer gegenüber den Verwertern in Gütersloh, Hollywood und New York?

Mathias Berninger: Wir brauchen neue Konzepte, mit denen die Rechte der Nutzer wirksam vertreten werden können. Die in der Bundesrepublik zuständigen Verbraucherverbände haben sich in der Vergangenheit auffällig zurückgehalten, wenn es um die Frage von Nutzerinteressen in der Wissensgesellschaft geht. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass der Know-how-Transfer zwischen den Verbraucherorganisationen und den Interessenvertretern der Computer-User noch nicht funktioniert. Ich wünsche mir, dass wir hier in Zukunft durch eine verbesserte Zusammenarbeit den notwendigen Druck auf Gerätehersteller und Musikindustrie zielgerichteter organisieren können. Auch das Verbraucherschutzministerium ist auf diesen öffentlichen Druck angewiesen, um die notwendigen Initiativen auf die politische Agenda zu heben.