Wie China das Malakka-Dilemma umschiffen will

Seite 2: Rückblick: Kanalpläne und Kanonenbootpolitik im Kolonialzeitalter

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Sollte der Kra-Kanal tatsächlich gebaut werden, befürchten damit befasste offizielle Stellen, dass das Bauwerk dann Verkehr und Einnahmen aus den Seewegen um Singapur und Malaysia abzweigen wird. Bedenken hinsichtlich des Kanals und der Hafeneinnahmen von Singapur sowie der Kontrolle der in der Nähe liegenden Seewege sind jedoch nicht neu.

Im frühen 19. Jahrhundert interessierte sich zunächst vor allem die British East India Company für den Kanal, sie ließ verschiedene mögliche Routen studieren. Doch auch Frankreich machte Ansprüche in der Gegend geltend: beide Kolonialmächte wollten die Kontrolle über die Handelswege Südostasiens an sich reißen. Eine bereits im Jahre 1677 vom siamesischen König Narai der Große in Auftrag gegebene Untersuchung durch den französischen Ingenieur de Lamar hatte zunächst jedoch noch ergeben, dass der Bau mit zeitgenössischen Technologien nicht zu bewerkstelligen war.

1858 planten die Briten einen Kanal von Ranog nach Lung Susan, an der schmalsten Stelle der Landenge, doch aufgrund des hügeligen Geländes in diesem Bereich wurden zu hohe Baukosten erwartet. 1863 startete der nächste Anlauf, diesmal im burmesischen Teil der Kra-Landenge, nachdem Burma zehn Jahre zuvor nach zwei Kriegen zur britischen Kolonie geworden war. 1872 wurden vor Ort mögliche Kanalverläufe geprüft, die eine Abkürzung des Seewegs zwischen Hongkong und Indien ermöglicht hätten. Die favorisierte Route lief von Victoria Point, dem heutigen Kawthaung, entlang des Kra-Flusses nach Chumphon. Die Umsetzung galt den Briten erneut als zu schwierig und zu teuer.

Karte von Indochina, 1886. Bild: Scottish Geographical Magazine, bearbeitet von Hugh A. Webster und Arthur Silva White, gemeinfrei

1868 waren unterdessen auch die Franzosen in der Gegend mit Erkundungen aktiv geworden. 1881 wurde eigens Ferdinand de Lesseps eingeladen, der Erbauer des Suez-Kanals. Der Kanal wurde von den Franzosen als machbar eingestuft, und de Lesseps fragte beim siamesischen König nach einer Konzession nach.

Die Engländer fürchteten um den Verlust ihres Einflusses in Hinterindien, sollten die Franzosen den Kanal tatsächlich Wirklichkeit werden lassen. 1897 kamen Siam (1939 in Thailand umbenannt) und Großbritannien insgeheim überein, den Kanal nicht zu bauen. Die Engländer forderten vom siamesischen König Chulalongkorn (Rama V.) darüber hinaus, keiner anderen Nation den Bau des Kanals zu gestatten - es sei denn, mit britischer Genehmigung. Der König willigte schließlich ein, und die Bedeutung des Hafens von Singapur für die Region war zementiert.

Briten und Franzosen hatten sich geeinigt, dass Siam als neutraler Puffer Konflikte zwischen den beiden Kolonialmächten abfedern sollte. Am Ende blieb Siam das einzige Land Südostasiens, dem das europäische Kolonialjoch bis auf empfindliche Gebietsverluste erspart blieb - zumindest auf den ersten Blick. Denn bereits 1855 waren an der Mündung des Chao Phraya zwei britische Kriegsschiffe vor Anker gegangen, an Bord: kein geringerer als John Bowring, der britische Gouverneur von Hongkong. Der siamesische König sah sich gezwungen, den sogenannten Bowring-Vertrag zu unterzeichnen, der den Freihandel in Siam einführte. Siam schloss in der Folge ähnliche Verträge mit anderen westlichen Mächten ab, etwa 1862 mit Preußen.

Der Bowring-Vertrag schaffte das Außenhandelsmonopol des Königshauses sowie Importzölle ab, die wichtigsten Einnahmequellen der siamesischen Monarchen. Das Abkommen hieß zwar offiziell "Vertrag über Freundschaft und Handel zwischen Ihrer Majestät und den Königen von Siam". Doch die Briten hatten gerade erst die Chinesen mit ihrer Kanonenbootpolitik zur Duldung des Imports der ultimativen Freihandelsware schlechthin gezwungen: Opium, ein Schicksal, das die Briten nun auch den Siamesen angedeihen ließen.

Bowrings größter Auftritt sollte indes erst noch folgen, im Zweiten Opiumkrieg (1856 - 1860). In China hat man bis heute nicht vergessen, wie einst eine ausländische Macht mit Waffengewalt das Land zwang, dabei zuzusehen, wie Millionen seiner Bewohner in Drogenabhängige verwandelt wurden.

Ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts erneutes Aufleben kanalbezogener ausländischer Geschäftsideen erstickten die Briten über diplomatischen Druck auf Siam im Keim. In den 1930er Jahren interessierte sich die japanische Regierung für das Projekt: Sie suchte eine Umgehung des britischen Marinestützpunkts Singapur für die Kaiserlich Japanische Marine. Daraus wurde nichts. Im Zweiten Weltkrieg ließ Japan hier die Kra Isthmus-Eisenbahnlinie bauen, die Chumphon mit Kra Buri in Thailand verband. Die von unter Tamilen und Malaien rekrutierten Zwangsarbeitern errichtete Bahn war nur elf Monate in Betrieb. 1945 beendeten US-Bomberangriffe das Projekt der Japaner, die sich der Thai-Burma-Eisenbahnlinie zuwandten. Die Japaner sorgten hier später noch einmal für Schlagzeilen, als ein Konsortium unter Führung von Mitsubishi vorschlug, den Kra-Kanal mit Hilfe von Atomkraft durch die Landenge zu treiben.

Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs unterzeichneten Großbritannien und Thailand den Anglo-Thai-Friedensvertrag von 1946, der in Artikel 7 festhält, dass auch weiterhin ohne britische Zustimmung kein Kanal durch thailändisches Gebiet gegraben werden darf, der den Indischen Ozean mit dem Golf von Thailand verbinden würde. Des Weiteren musste Thailand seine Souveränität im Export von Zinn, Gummi und Teakholz aufgeben, außerdem wurde eine Zwangsabgabe von 1.5 Millionen Tonnen Reis festgelegt. Der Vertrag wurde 1954 aufgehoben. Die britisch-thailändischen Beziehungen hatten sich normalisiert, und das britische Empire war im Begriff, sich von der Weltbühne zu verabschieden.