Wie Indien zu knappes Erdöl nach Deutschland exportiert – und was Russland damit zu tun hat

Kanzler Scholz und Premier Modi im Februar 2023. Foto: Büro des indischen Premierministers / CC BY-SA 4.0

Auf die Schwüre und schönen Bilder vom G20-Gipfel in Neu-Delhi folgt die Ernüchterung: Wahrscheinlich exportiert Indien trotz Sanktionen russisches Erdöl nach Deutschland. Wie ist damit umzugehen?

Die wegen der Invasion der Ukraine gegen Russland von Deutschland und der EU verhängten Sanktionen bleiben zum Großteil wirkungslos und werden permanent unterlaufen. Nun steht Indien im Verdacht, russisches Rohöl zu raffinieren und nach Deutschland zu befördern, wie die Tagesschau berichtete.

Sollte sich das bestätigen, wäre dies seitens Indien eine wissentliche Irreführung seiner Partner, da auch über Drittländer kein russisches Öl nach Deutschland kommen darf.

Indische Schattenexporte

Laut dem Bundesamt für Statistik sind Deutschlands Importe indischer Ölprodukte seit Anfang 2022 erheblich gestiegen. Indien kann seinen Bedarf ebenso wenig selbst decken.

Zu seinen wichtigsten Lieferanten zählt seit Langem Russland (und vorher die Sowjetunion). Diese Importe wurden seit der russischen Invasion der Ukraine und ebenfalls massiv gesteigert, mit erhöhtem Bedarf der indischen Bevölkerung und Wirtschaft ist dieser Anstieg nicht zu erklären.

Es gehört nicht viel Kombinationsvermögen dazu, um zu verstehen, woher das zusätzliche aus Indien importierte Erdöl, das in seinen Raffinerien zuerst veredelt wurde, ursprünglich stammt. Und diese Entwicklung ist nicht neu.

Sie setzte fast unmittelbar nach März 2022 ein. Größter Nutznießer auf Indiens Seite ist übrigens die Reliance Group, die zum Imperium von Mukesh Ambani gehört, eines indischen Oligarchen, der zu den engsten Freunden des Premiers Modi zählt.

Zwar ist der Anteil indischer Importe am gesamten Erdölbedarf Deutschlands mit 2,4 Prozent nicht hoch oder besonders bedeutsam. Doch vermutlich stellt man sich in der Bundesregierung die angestrebte engere Kooperation mit Indien so nicht vor.

Noch wurden im Bundeswirtschaftsministerium keine Stimmen laut (es kann unmöglich unbemerkt geblieben sein), aber wenn man in Zukunft in der Zusammenarbeit mit Indien Versäumnisse und Fehler wie mit Russland und China vermeiden will, sollte demnächst dieser Missstand deutlich zur Sprache kommen.

Der am vergangenen Sonntag beendete G20-Gipfel wäre kaum passend gewesen, andererseits wollte sich Indien bei der Gelegenheit ganz besonders dem Westen als Partner empfehlen.

Dazu dient auch vor allem die von Indien, den USA, der EU und Saudi-Arabien präsentierte Gegeninitiative zu Chinas "Neuer Seidenstraße".

Containment China

In der sich anbahnenden Neuen Weltordnung, die von einem Widerstreit zwischen dem Westen unter der Führung der USA und China gekennzeichnet sein wird, würde Indien seinen Platz leicht finden. Denn China ist mit Abstand der schärfste Rivale, und das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch territorial und militärisch.

Entlang der fast 3.500 km langen Grenze herrscht zwar nicht die gleiche Spannung wie zwischen China und Taiwan, der Verlauf bleibt aber seit der Gründung der beiden modernen Nationen umstritten und es kommt regelmäßig zu militärischen Scharmützeln mit Toten auf beiden Seiten.

Die anfängliche Freundschaft ("Hindi Chini Bhai Bhai") endete mit dem China-Indien Krieg 1962, in welchem Indien eine herbe Niederlage erlitt, die es bis heute nicht verwunden hat. Besonders weil in Kaschmir ein großes Territorium verloren ging, das zumindest in der Vergangenheit strategisch ziemlich bedeutend war.

Wiederum widerstrebte niemand Indiens Aufstieg zur Nuklearmacht so stark wie China. Trotz aller Spannungen ist China mit Abstand Indiens wichtigste Importnation, es gibt ein großes Handelsdefizit zu Ungunsten Indiens.

Containment Russland?

Indiens Verhältnis zu Russland gestaltet sich völlig anders, das wurde im Westen erst richtig offenkundig, als für ihn überraschend Narendra Modi sich weigerte, nach der russischen Invasion der Ukraine Russland als Aggressor zu verurteilen.

Die ersten Kontakte entstanden sogar vor der Unabhängigkeit, Indiens politische Führer waren dezidiert sozialistisch und nicht nur antibritisch, sondern antiwestlich. Die militärische und wirtschaftliche Partnerschaft mit der Sowjetunion begann unmittelbar nach 1947.

Bis 1990 herrschte Planwirtschaft, die Annäherung an den Westen begann erst nach den Wirtschaftsreformen 1991. Immer ist Russland der wichtigste Lieferant der indischen Streitkräfte gewesen und strategisch der längste und engste Verbündete.

An dieser engen Partnerschaft wird sich sehr wahrscheinlich in nächster Zukunft trotz der Annäherung Russlands an China (die wie man in Indien weiß nicht von Dauer sein muss) nichts ändern. Ebenso wird Indien nicht das seit der Unabhängigkeit bestehende Misstrauen gegenüber dem Westen gänzlich ablegen und sich völlig in einen potentiellen westlichen Block integrieren (das wäre allerdings äußerst unklug).

Auch nicht, wenn man so wie jetzt fast rein marktorientiert wirtschaftet und die USA der wichtigste Außenhandelspartner sind.