Wie Mikroplastik die Welt vergiftet

Mikroplastik auf den Azoren. RaceforWater_PeterCharaf_MicroplasticsAzores_(2).jpg:Bild: Raceforwater, CC BY-SA 4.0

Sie sind fast nicht sichtbar, unerwünscht, aber omnipräsent: mikroskopisch kleine Plastikpartikel, die so genannten Mikroplastik

Lange Zeit blieb das Problem unbeachtet, plötzlich aber bringt die Wissenschaft beunruhigendes ans Licht: Die Menschheit ist gerade dabei, den Planeten zu vergiften. Und sich selbst. "In den nächsten Jahrzehnten müssen wir mit einer massiven Zunahme von Mikroplastik in der Umwelt rechnen", sagt Natalia Ivleva, die an der TU München ein Analyseverfahren zum Problem erforscht.

Von Mikroplastik redet man ab einer Teilchengröße unter 0,5 Zentimeter. Das macht den Nachweis nicht einfach, wie Natalia Ivleva illustriert: "Ein Sandkorn und ein Plastikpartikel von weniger als einem Millimeter Durchmesser sehen sehr ähnlich aus."

Kompliziert wird das Problem, weil die Mehrzahl der Plastikteilchen nur mit Mikroskop nachweisbar sind - Mikrometer winzig, tausendstel Millimeter also. Ihre Wirkung auf den menschlichen Organismus ist noch weitgehend unerforscht.

Klar ist immerhin: Wir haben Plastik im Körper. Wissenschaftler der Medizinischen Universität Wien haben in einer Studie 2018 erstmals Mikroplastik im menschlichem Stuhl nachgewiesen.

Das meiste Mikroplastik entsteht im Meer: Größere Plastikteile werden durch die Einwirkung von Wind, Wellen, Salz und UV-Strahlen zersetzt. Jede Minute landet eine Tonne Plastik in den Ozeanen. Im Pazifik bedeckt ein Plastestrudel vor Hawaii die Fläche von rund 1,6 Millionen Quadratkilometern; viermal so groß wie Deutschland. Solche Plastikstrudel kreisen auch in der Sargassosee, im Indischen Ozean, im Südatlantik und im Südpazifik.

Das zersetzte Plastik bleibt aber nicht im Ozean: Fische und andere Meerestiere nehmen sie auf - und landen so in unserem Magen.

Der Anteil der Industrie an der Mikroplastikschwemme

Aber auch die Industrie bringt eine Flut von Mikroplastik-Teilchen in Verkehr: Granulate, gelartige Kügelchen oder flüssige Kunststoffe werden Kosmetik-Produkten, Reinigern oder Farben beigemischt, um die Eigenschaften der Produkte zu verändern.

Nach einer Studie des "Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik" entstehen pro Jahr in Deutschland 330.000 Tonnen Mikroplastik-Partikel, gut vier Kilogramm pro Kopf. Die größte Quelle ist dabei der Abrieb von Autoreifen, der vom Regen in die Gewässer gespült wird.

Aber auch wir selbst überschwemmen jeden Tag unbemerkt die Umwelt mit Mikroplastik: Beim Waschen lösen sich zum Beispiel aus unserer Kleidung tausende Mikrofasern und gelangen dann über das Abwasser in die Kläranlagen.

Mit den Resten der Abwasserbehandlung, dem Klärschlamm, gelangt dieses Mikroplastik dann als Dünger auf die Felder und auf diesem Weg in unsere Böden. Sogar Laufen verursacht Mikroplastik: Statistisch gesehen beträgt der Abrieb von Kunststoffsohlen pro Kopf in Deutschland 107 Gramm dieser Kleinstpartikel.

Aus den Böden ist der Weg in unseren Körper programmiert: Pflanzen nehmen nicht nur Nährstoffe auf, sondern auch Mikroplastik. Dienen die Pflanzen als Tierfutter reichern sie sich im Schwein oder im Rind an und gelangen dann auf unseren Tisch.

Die Forscher der Universität Wien fanden im Mittel 20 Mikroplastikteilchen pro zehn Gramm Stuhlgang, neun verschiedene Arten. Die häufigsten waren Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET).

PP wird vor allem in der Verpackungsindustrie eingesetzt. PET ist der Stoff, aus dem die meisten Getränkeflaschen hergestellt sind. Studien deuten drauf hin, dass Krebserkrankungen, Fettleibigkeit und Unfruchtbarkeit auf solche Mikroteilchen zurückzuführen sind.

In unserem Mineralwasser wurden von der Stiftung Warentest mehr als 100 Teile Mikroplastik je Liter gefunden. Sogar im Trinkwasser aus der Leitung wurde Mikroplastik nachgewiesen.

Mikroplastik und die Recycling-Lüge

Weltweit werden derzeit über 280 Millionen Tonnen Plastik jedes Jahr neu hergestellt, 19,5 Millionen davon allein in Deutschland. Zwar trennen die meisten von uns brav ihren Müll. Aber wir sind der Recycling-Lüge aufgesessen: Dosen aus Metall werden mit Plastik beschichtet und so unrecyclebar.

Papiertaschentücher verrotten jahrelang nicht, weil ihnen ein Kunststoff als Bindemittel beigemischt wurde. Ein einziger Joghurtbecher kann bis zu 600 verschiedene Chemikalien enthalten, weil er möglichst leicht und billig sein soll: Antioxidantien, Hitze-Kälte-Stabilisatoren, Füllstoffe – unrecyclebar.

Ein großes Problem ist PVC, das immer noch zwei Prozent des Plastiks von Verpackungen ausmacht. Weil es genau die gleiche Dichte wie PET hat, lassen sich beide Materialien nicht gut trennen. Also kann man sie auch nicht recyclen. Nach einer Erhebung der Bündnisgrünen werden in Deutschland lediglich 17,3 Prozent des Plastikabfalls tatsächlich wiederverwertet.

Entsprechend häufen sich die Müllberge. Und entsprechend gelangt immer mehr Plastik in die Umwelt. Greenpeace untersuchte die Müllentsorgung in Vietnam, Thailand und Malaysia. Ergebnis: Nicht nur mit dem eigenen Müll sind diese Länder überfordert. Sie importieren auch noch Müll aus Deutschland und anderen Wohlstandsstaaten.

Ein Plastedeckel "Libell – der Brotaufstrich für die ganze Familie" ist auf südostasiatischen Müllkippen genauso dokumentiert, wie die Plastik-Tüte der "Nahrungsmittel GmbH".

Forscher haben jetzt erstmals den gesamten Atlantik von Norden nach Süden auf Mikroplastik hin untersucht. Die Analysen ergaben, dass allein in den oberen 200 Metern Wasser zwölf bis 21 Millionen Tonnen Plastikpartikel der drei häufigsten Plastiksorten herumschwimmen.

Der größte Teil dieses Mikroplastiks ist kleiner als 100 Mikrometer und daher weitgehend "unsichtbar". Die Wissenschaftler schätzen, dass das wahre Ausmaß der Plastikverschmutzung weit größer sein könnte als bislang angenommen.

Es gibt mittlerweile sechs Mal mehr Plastik als Plankton im Meer. Zersetzt zu Mikroplastik breitet es sich mit den Meeresströmungen in nahezu alle Meeresregionen aus. Selbst in der Arktis und Antarktis, in Tiefseegräben und anderen entlegenen Gebieten sind inzwischen Plastikreste zu finden.

"Die Menge und Verteilung dieses Mikroplastiks, vor allem unterhalb der Größe von 250 Mikrometern, ist aber bislang nahezu unbekannt", erklärten Katsiaryna Pabortsava und Richard Lampitt vom National Oceanography Centre in Southampton.

Über Muscheln und Fisch gelangt das Mikroplastik wieder in unseren Körper: Noch kann das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin mögliche Gesundheitsgefahren durch Mikroplastik nicht zuverlässig abschätzen. Eine Studie immerhin ergab, dass eingeatmetes Mikroplastik das Lungengewebe schädigen, geschluckte Kunststoffteilchen sich in Lymphknoten des Darms sammeln könnten. Ungefährlich scheint es also nicht zu sein.

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