Wie Nähroboter die Welt verändern

Nähroboter LOWRY von SoftWear. Bild: SoftWear

Neue Technologien und europäische Niedriglöhne setzen in der globalen Textilbranche einen radikalen Wandel in Gang. Entwicklungsländern droht der Verlust wirtschaftlicher Perspektiven

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Vor ein paar Wochen ging wieder eine dieser Meldungen aus der Welt der globalisierten Textilindustrie durch die Medien. Arbeiterinnen einer Textilfabrik hatten monatelang gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen gestreikt, gegen überhitzte Fabrikhallen, überlange Arbeitszeiten, zu kurze Toilettenpausen, gegen Misshandlungen durch Vorgesetzte.

Ihr Streik war am Ende erfolgreich. Doch die Fabrikbetreiber weigerten sich, die 30 Frauen, die ihn organisiert hatten, weiter zu beschäftigen. Als diese vor den Fabriktoren für ihre Rechte demonstrierten, wurden sie von bezahlten Schlägern angegriffen und zum Teil schwer verletzt.

Die Meldung kam aus Myanmar. Doch ähnliche Zustände und dieselbe Härte in den Arbeitskämpfen gibt es fast überall, wo Massenware für Modefirmen hergestellt wird. Myanmar hat erst vor ein paar Jahren begonnen, auf den Zug der globalisierten Textilindustrie aufzuspringen. Das Land lockt mit Niedrigstlöhnen, langen Arbeitstagen, wenig Regulierung und einem geringen Grad gewerkschaftlicher Organisation.

So haben es alle gemacht, seit sich die Karawane der Bekleidungsindustrie in den 70er Jahren von Europa aus in Bewegung setzte. Westliche Modefirmen und Handelsketten wie Adidas, Jack Wolfskin, GAP, H&M, Primark oder Lidl ließen sich denn auch nicht lange bitten und verlegten einen Teil ihrer Produktion nach Myanmar.

Seit Jahrzehnten zieht die Textilbranche auf der Suche nach Kostenvorteilen mit ihren Produktionsstätten von Land zu Land, immer tiefer in den globalen Süden. Zuerst in die Schwellenländer Südostasiens, nach Südkorea, Taiwan und Thailand, später nach China, Bangladesch, Vietnam und Kambodscha, heute nach Myanmar und in afrikanische Länder wie Äthiopien.

Auf der Spur der maximalen Ausbeutung hat die Textilindustrie allerdings auch viele Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Allein in der Asean-Gemeinschaft arbeiten heute 9 Millionen Menschen in der Herstellung unserer Jeans, T-Shirts, Schuhe und anderer Kleidungsstücke.

Das alles wird sich in den nächsten Jahren verändern. Unsere Klamotten werden größtenteils nicht mehr aus fernen Ländern kommen. Und dort, wo sie heute produziert werden, wird es für Textilarbeiterinnen nur noch wenige Jobs geben.

Disruptive Technologien sind bahnbrechende Innovationen, die Produktionsweisen, Märkte, aber auch das alltägliche Verhalten Einzelner grundlegend verändern können. Bereits vor zwei Jahren hatte die Internationale Arbeitsorganisation Ilo ein ganzes Bündel disruptiver Technologien ausgemacht, die in der globalen Textilbranche Einzug halten.

Nearshoring

Mit 3D-Druck, Körperscannern und CAD-Design stehen die technischen Voraussetzungen bereit, um von der textilen Massenproduktion auf eine flexible, kundennahe, individualisierte Produktionsweise umzustellen. Dazu kommen Automatisierungstechnologien wie die neuen Nähroboter.

Mitte Oktober veröffentlichte die Unternehmensberatung McKinsey eine Studie über neue Trends in der globalen Textilindustrie. "Is apparel manufacturing coming home?" lautet der Titel. Kommt die Bekleidungsindustrie nach Hause zurück? In der Studie werden die treibenden Kräfte für die Rückverlagerung der Produktion analysiert. Eine davon hat mit einer disruptiven Technologie zu tun, die wir schon gut kennen: das Internet und seine sozialen Medien.

Lange Zeit konnten die etablierten Modelabels vorgeben, was modebewusste Frauen und Männer in einer Saison zu tragen hatten. Das hat sich durch das Internet verändert. Neue Modetrends werden heute beispielsweise von Influencern auf Instagram in die Welt gesetzt. Oder einfach von Leuten, die auf der Straße etwas gesehen haben und es im Internet teilen. "Bottom-up Trendsetting" nennen das die McKinsey-Leute.

Die Definitionsmacht hat sich also stärker auf die KonsumentInnen verlagert, aber die Mode wird dadurch auch schnelllebiger. Ein Modezyklus wird in Zukunft, meint McKinsey, nicht mehr sechs Monate, sondern nur noch sechs Wochen dauern. Kleine Online-Firmen können hier schnell reagieren.

Nun sitzen die großen Modefirmen in ihren globalen Wertschöpfungsketten fest, die sich zunehmend als schwerfällig entpuppen. Die Ware aus Südostasien geistert wochenlang auf den Weltmeeren herum, bevor sie europäische Konsumenten erreicht. Ein T-Shirt aus Südostasien ist mit dem Schiff bis zu 30 Tage lang unterwegs, bevor es in den westlichen Märkten ankommt. Bis dahin ist der neue Instagram-Trend schon wieder vorbei.

Die langen Wege und die Strukturen der Massenproduktion sind zudem unökologisch. Die Abgase der Containerschiffe tragen viel zum Klimawandel bei. Außerdem entstehen in der traditionellen Massenproduktion regelmäßig Überschüsse, die vernichtet werden.

Um schneller und flexibler zu werden, vollzieht die Karawane der Bekleidungsindustrie nun einen Richtungswechsel - hin zu den großen Absatzmärkten, also beispielsweise nach Europa und in angrenzende Länder wie die Türkei oder Marokko. "Nearshoring" heißt der neue Trend.

Höhere Flexibilität und Nähe zu den Absatzmärkten sind dabei jedoch nur ein Teil der Rechnung. Auch im harten Kampf um niedrige Arbeitskosten haben sich die Koordinaten verschoben. Laut der McKinsey-Studie waren die Arbeitskosten in der Türkei noch 2005 fünf Mal so hoch wie in China, 2017 betrug der Faktor nur noch 1,6. Gleichzeitig spart man Frachtkosten. Im Endeffekt kostet eine in der Türkei produzierte Jeans 3 Prozent weniger als eine aus China.

Ähnliche Rechnungen ließen sich auch für eine Reihe von EU-Ländern anstellen. Während Löhne und Arbeitsbedingungen in asiatischen Ländern nach und nach verbessert wurden, durch gewerkschaftliche Kämpfe und internationale Solidaritätsnetzwerke, hat in Europa eher ein umgekehrter Prozess stattgefunden. Die neoliberale europäische Politik und die Austeritätsprogramme seit der Finanzkrise haben in etlichen EU-Ländern zu sinkenden Löhnen und Arbeitsstandards geführt und die Gewerkschaften geschwächt.

Portugal, das durch die asiatische Niedriglohnkonkurrenz den größten Teil seiner Textilindustrie verloren hatte, ist heute wieder ein aufstrebender Textilstandort. Ein großer Teil der Beschäftigten arbeitet hier zum Mindestlohn von 580 Euro. In Rumänien und Bulgarien liegt der Mindestlohn bei 2,50 Euro bzw. 1,57 pro Stunde.

Über die Situation der europäischen Arbeiterinnen, die für die globale Modebranche nun wieder attraktiv geworden sind, erfährt man in der McKinsey-Studie nichts. Doch vor kurzem haben Mitglieder der Kampagne für Saubere Kleidung, die sich für faire Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie engagiert, die Lieferketten von H&M in Augenschein genommen. Dabei befragten sie auch Arbeiterinnen in bulgarischen Textilfabriken. Die Ergebnisse sind erschütternd.

Der bulgarische Mindestlohn liegt netto bei umgerechnet 204 Euro und ist bei weitem nicht existenzsichernd. Die Lebenshaltungskosten sind in Bulgarien ungefähr halb so hoch wie in Deutschland. Doch selbst um diesen Mindestlohn zu erhalten, müssen die Arbeiterinnen der Fabrik "Koush Moda" 12 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche arbeiten. In der normalen Arbeitszeit würden sie weniger als 100 Euro verdienen. Eine Näherin dieser Fabrik wird mit den Worten zitiert: "Wir betreten die Fabrik morgens um 8 Uhr früh, aber wir wissen nie, wann wir wieder gehen dürfen. Manchmal wird es 4 Uhr morgens."

Re-Industrialisierung des Westens

"Coming home" ist für die neuen Trends in der Textilbranche eigentlich eine schlechte Beschreibung. Denn es geht dabei nicht um Rückkehr oder Heimkehr von Unternehmen, sondern um eine grundlegend veränderte Logik der internationalen Arbeitsteilung. Die Industrie wandert nicht mehr den niedrigsten Arbeitskosten hinterher, sondern in die Nähe ihrer wichtigsten Absatzmärkte, auch wenn sie dann dort die Niedriglohnbereiche sucht. Ob es sich dabei um ursprünglich europäische, asiatische oder amerikanische Unternehmen handelt, spielt keine Rolle.

In Little Rock, im US-Bundesstaat Arkansas, hat bereits die nächste Stufe in diesem Wandlungsprozess der internationalen Arbeitsteilung begonnen - die Verlagerung der Bekleidungsindustrie in die Hochlohnländer mit den dynamischen Märkten. Sie wird durch die neueste disruptive Innovation in der Textilindustrie angestoßen: Roboter, die nähen können. Die chinesische Firma Tianyuan Garments hat im Januar dieses Jahres in Little Rock eine neue Textilfabrik mit einem vollautomatisierten Produktionssystem eröffnet. Hier sind 330 Roboter im Einsatz, die pro Jahr 23 Millionen T-Shirts herstellen sollen. Etwa 400 Mitarbeiter sollen langfristig beschäftigt werden.

Nähende Roboter waren lange Zeit eine unerreichte technische Vision. Der Umgang mit weichen, nachgebenden Materialien ist für Roboter eine immense Herausforderung. Um das zu verstehen, braucht man sich hier nur einmal anzusehen, wie schwer sich ein lernender Roboter damit tut, ein T-Shirt zusammenzulegen.

Die Arbeit der Näherin, die den Stoff mit ihren Händen und mit äußerster Konzentration durch die Nähmaschine führt, die blitzschnell reagiert, wenn der Stoff sich faltet oder verformt, oder wenn die Naht nicht exakt in der vorgegebenen Bahn verläuft, ist selbst für intelligente Maschinen extrem schwierig.

Aus diesem Grund blieb die Textilindustrie in der Automatisierung bis heute weit hinter anderen Industriezweigen zurück. Statt zu automatisieren, zog sie in den globalen Süden. Dabei war es die Textilindustrie, in der vor langer Zeit die Geschichte der Automatisierung der Arbeit begonnen hat.

Die Erfindung des vollmechanisierten, mit Hilfe einer Dampfmaschine betriebenen Webstuhls gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die erste durchschlagende Innovation dieser Art. Und ein historischer Einschnitt. Als sich der automatische Webstuhl im 19. Jahrhundert durchsetzte, verloren viele Menschen ihre Arbeit. Es kam zu den ersten Arbeiteraufständen und zu "Maschinenstürmerei".

Auch die modernen "Sewbots", die nun endlich - mit Sensoren und Hochgeschwindigkeitskameras ausgerüstet - das Nähen gelernt haben, könnten weltweit viele Millionen Arbeitskräfte ersetzen. Zwar sind sie bis jetzt noch nicht in der Lage, komplizierte Kleidungsstücke zu nähen. Aber Massenware wie T-Shirts und Jeans sind für sie ein Kinderspiel. Einer Modellrechnung zufolge können zehn Näherinnen in acht Arbeitsstunden durchschnittlich 669 T-Shirts produzieren, ein Roboter dagegen schafft am Tag 1.142 Stück und kann damit 17 Näherinnen ersetzen.

In Little Rock produzieren die Nähroboter mit Kosten von 33 Cent pro T-Shirt. "Damit kann nicht einmal der billigste Arbeitsmarkt konkurrieren", wird Tang Xiuhang, der Chef von Tianyuan Garments, zitiert. Die Roboter stammen von SoftWear Automation, einer Firma in Atlanta, die sich auf Nähroboter spezialisiert hat. Produziert werden die T-Shirts für den deutschen Sportartikelhersteller Adidas, der sie in den USA vermarktet.

Deglobalisierung ist keine Renationalisierung, aber eine Reindustrialisierung der Wirtschaft

Die T-Shirt-Fabrik in Little Rock wirft ein interessantes Licht auf den allgemeinen Trend zur Deglobalisierung. Kundennähe, flexibilisierte Märkte und Automatisierung sind starke Treiber für die Verlagerung der Produktion zu den Absatzmärkten. Dabei werden globale Wertschöpfungsketten auf die regionale oder nationale Ebene zurückgeholt, der grenzüberschreitende Handel nimmt entsprechend ab. Doch das ist nicht gleichbedeutend mit einer Re-Nationalisierung der Wirtschaft.

In Little Rock produziert ein chinesischer Konzern mit Robotern einer US-Firma für eine deutsche Sportmarke, die ihre T-Shirts an amerikanische Konsumenten verkauft. Der globale Kontext und ein internationaler Horizont des Wirtschaftens bleiben erhalten.

Was sich verändert, ist die internationale Arbeitsteilung, und mit ihr die Verteilung von Produktionsstätten, Jobs und Lebenschancen. Die digitale Automatisierung und der Trend zum Nearshoring begünstigen eine Re-Industrialisierung des Westens. Länder mit großen, dynamischen Märkten, einer modernen digitalen Infrastruktur und hohen Bildungsniveaus können davon profitieren. Neue Jobs entstehen hier auch im modernen Maschinenbau und in den digitalisierten Märkten.

In Südostasien wird die Herstellung von Bekleidung für westliche Märkte deutlich zurückgehen. Was bleibt, sind komplizierte Nischenprodukte und die Produktion für die regionalen Absatzmärkte in China, Indien, Südkorea oder Thailand. Doch die Automatisierungswelle hat auch in Asien bereits eingesetzt.

Ein Beispiel ist die Mohammadi Fashion Sweaters Fabrik in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, wo für H&M, Zara und andere westliche Firmen Sweatshirts produziert werden. Noch vor einigen Jahren arbeiteten hier Hunderte Beschäftigte zehn Stunden am Tag. Seit 2017 ist die Produktion vollautomatisiert. Etwa 500 Arbeitskräfte wurden durch automatische Strickmaschinen aus deutscher Produktion ersetzt, die von ein paar Dutzend Beschäftigten kontrolliert werden. Und Mohammadi ist kein Einzelfall.

Automatisierung - ein bequemer Ausweg für die Konzerne

Weltweit arbeiten 60 Millionen Menschen in der Bekleidungsindustrie, die meisten davon im globalen Süden, die meisten davon Frauen. McKinsey schätzt auf der Basis von Umfragen bei Unternehmen, dass in den nächsten zehn Jahren bei der Herstellung von einfachen Kleidungsstücken global etwa 70 Prozent der Arbeit durch Automatisierung eingespart wird, bei komplizierter Kleidung 40 Prozent.

Die Ilo prognostiziert, dass in den Ländern der Asean-Gemeinschaft bis zu 80 Prozent aller Jobs in der Textilindustrie verloren gehen - in Kambodscha 88 Prozent, in Vietnam 86 Prozent, in Indonesien 64 Prozent.

Und dabei geht es nicht nur um Jobs. Die Arbeitsplätze, die seit den 70er Jahren in der Bekleidungsindustrie entstanden sind, haben für Millionen asiatischer Frauen eine soziale Revolution gebracht. Die meisten von ihnen kamen aus ländlichen Regionen und konnten hier erstmals eigenes Geld verdienen.

So brutal, ausbeuterisch und gesundheitsschädlich die Bedingungen in diesen Jobs auch waren und noch sind - für viele Frauen waren sie der Türöffner, um aus der Enge des dörflichen Lebens und aus der Reglementierung durch männliche familiäre Autoritäten ausbrechen zu können.

Trotz der Niedrigstlöhne brachten sie es fertig, ihre Familien in den Dörfern finanziell zu unterstützen. Ihr sozialer Status änderte sich schlagartig. Sie wurden selbst zu Subjekten der Veränderung, gründeten Gewerkschaften und streikten für bessere Arbeitsbedingungen.

Vieles ist dadurch in Bewegung gekommen. Vor allem seit 2013, dem Jahr der Katastrophe von Rana Plaza, als in Bangladesch 1.134 Menschen, überwiegend Textilarbeiterinnen, beim Einsturz eines Fabrikgebäudes ums Leben kamen. Die Zahl der Textilgewerkschaften in Bangladesch hat sich seitdem von 120 auf 700 erhöht. Die Konsumenten im Westen wurden stärker sensibilisiert. Solidaritäts-Netzwerke wie die Clean Clothes Campaign setzten Modefirmen mit konkreten Forderungen und Kontrollen zunehmend unter Druck.

Nun bietet die Automatisierung den Textilfabrikanten und Modefirmen einen bequemen Ausweg. Für die Gewerkschaften entsteht eine neue Situation. So berichtet die bangladeschische Gewerkschafterin Nazma Akter von Fabrikbetreibern, die mit Automatisierung drohen, wenn die Beschäftigten Verbesserungen fordern.

Nazma Akter ist selbst ein Beispiel dafür, wie stark der Textilboom der vergangenen Jahrzehnte das Leben vieler Frauen verändert hat. Sie hat schon als Kind mit 11 Jahren angefangen, in einer Textilfabrik zu arbeiten. Heute leitet sie eine Gewerkschaft und eine Stiftung, die Textilarbeiterinnen gewerkschaftliche Bildung bietet.

Oft wird nun argumentiert, die Nähroboter seien eine wichtige Innovation, weil damit das Problem der menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Asien endlich aus der Welt geschafft würde. Das mag aus unternehmerischer Sicht so aussehen, geht aber an der Realität der Arbeiterinnen völlig vorbei. Sie kämpfen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, und natürlich nicht für die Abschaffung ihrer Jobs.

Wie diese Geschichte weiter gehen wird, ist ungewiss. Immerhin ist in ihr auch eine gute Nachricht enthalten. Die Zeiten, in denen Niedrigstlöhne und unmenschliche Arbeitsbedingungen ein Erfolgsfaktor für wirtschaftliche Entwicklung und nachholende Industrialisierung waren, gehen zu Ende. Wahrscheinlich nicht nur in der Bekleidungsindustrie. Und nicht nur in Asien, sondern auch in Ländern wie Bulgarien oder Portugal.

Wichtige Standortfaktoren sind heute gute Bildungssysteme, berufliche Qualifikationen, digitale Infrastruktur - in diesem Punkt sind sich die Ilo und McKinsey einig. Auch in Bangladesch wird bereits darüber diskutiert, was zu tun ist, damit die Näherinnen von heute eine Chance haben, in den automatisierten Fabriken der Zukunft oder in spezialisierten Nischenproduktionen zu arbeiten. Weiterbildung, Gesundheitsversorgung und eine Unternehmenskultur, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht mehr toleriert, sind dabei zentrale Themen.

Die schlechte Nachricht: Für viele, die heute in der Bekleidungsbranche arbeiten, und erst recht für viele derjenigen, die auf der Suche nach Jobs vom Land in die Städte ziehen, zeichnet sich in der neuen internationalen Arbeitsteilung gar keine Perspektive ab. Sie werden womöglich im informellen Sektor landen, als Rikschafahrer oder als Straßenhändlerin, wo sich die Sektoren mit niedrigstem Einkommen dann doch wieder ausdehnen - diesmal nicht als Erfolgsfaktor für eine nachholende wirtschaftliche Entwicklung, sondern als Zeichen für das Scheitern der herkömmlichen Entwicklungsstrategien.

Auf diese herkömmlichen Strategien setzt nach wie vor die Ilo, wenn sie den betroffenen asiatischen Ländern rät, ihre Industrie nun stärker zu diversifizieren, um sich von der Textilproduktion unabhängiger zu machen. Das hat in Ländern wie Südkorea, Thailand und China in den 80er und 90er Jahren noch ganz gut funktioniert. Für sie war die Textilindustrie die erste Sprosse auf der Leiter der Industrialisierung.

Heute schreitet die Automatisierung in den meisten Branchen schnell voran. Die großen Wirtschaftsmächte USA und China führen Handelskriege um die Frage, in welchem Land die Industrien der Zukunft angesiedelt sein werden. Wie sollen Bangladesch, Vietnam oder Myanmar sich in diesem Konfliktfeld ihren Platz erkämpfen?

Nähroboter sind eine wunderbare Erfindung, weil sie anstrengende und auf die Dauer monotone Tätigkeiten übernehmen. Aber unter den Bedingungen der globalen Ungleichheit, in der Kluft zwischen Nord und Süd, reißen sie neue Abgründe auf. Das sollte in den Debatten über die Zukunft der Arbeit im Zeitalter der digitalen Automatisierung mit bedacht werden.

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