Wie die Städte dahin laufen lernen, wo sie gebraucht werden

Seite 2: Die Teufel sind los

Ideen zur Wiederbelebung der Ödnis gibt es viele, bis hin zu gemeinschaftlichen Open-Space-Werkstätten in Erdgeschosszonen und anderen genossenschaftlichen Projekten, nur sollten diese Unternehmungen unter "Experiment" firmieren. Es wäre abzuwarten, welche der zarten Pflänzchen sich durchsetzen. Schönreden hilft nichts. Unter diesem Vorbehalt werden Innenstädte zu "Schaufenstern der Transformation".

Schon im Praxisbetrieb laufen etwa Kombinationen aus Buchladen, Café und kulturellem Veranstaltungsort. Noch konzentrierter wäre eine Räumlichkeit, die morgens ein Frühstücksbistro ist und sich tagsüber in einen Coworking-Space verwandelt.

Leerstehende oder von Leerstand bedrohte Gebäude können durch Umnutzung eine Überlebenschance erhalten. Aber auch hier ist vorsichtige Abwägung geboten. In ehemaligen Fabrikgebäuden, in Hochhäusern, Kauf- oder Parkhäusern müssten Wände versetzt und die Haustechnik erneuert werden. Die Klimatisierung ist zu klären und Altlasten sind zu entsorgen.

"Schaufenster der Transformation"

Hier setzt der betriebswirtschaftliche Rotstift an und macht schlimmstenfalls die Rechnung auf, dass Neubauten billiger sind als die Ertüchtigung von Bestandsbauten für neue Zwecke.

Aber ist es nicht die Aufgabe von Architekten, unterstützt von findigen Bauingenieuren, die Probleme unter Einsatz von Fantasie zu lösen, zumal die umzufunktionierenden ruinösen Gebäude schon von sich aus einen gewissen Charme entfalten? Sie liegen da "as found", regen ihrerseits die Fantasie darüber an, was man mit ihnen alles anstellen kann.

Sie sind Ready-mades sind baugeschichtliche Dokumente einer Stadt, die in die postkapitalistische Zukunft weisen. So hätte es am Berliner Palast der Republik geschehen können. Stattdessen wurde er zugunsten des Stadtschlosses abgerissen.

Der betriebswirtschaftliche Stolperstein wäre zudem beseitigt, wenn Neubauten von vorneherein so angelegt würden, dass sie diverse zukünftige Nutzungen mit nur geringem Aufwand zum Beispiel für Kabelschächte aufnehmen könnten.

Lernende Häuser in einer lernenden Stadt

Das wären lernende Häuser in einer lernenden Stadt. Sie würden auch durch Wachsen und Schrumpfen sich dem Sozialgefüge wechselnder Bewohner anpassen. Was Stewart Brand ("How buildings learn") skizziert hat, wurde bereits in den 1920er-Jahren im Umkreis des Bauhauses diskutiert.

Lagen in Innenstädten bisher die Versorgungs- und Konsumfunktion vornean, treten nun zunehmend die Kommunikations- und Freiraumfunktion an deren Stelle. Der öffentliche Innenstadtraum ermöglicht Begegnungen, ohne dass daraus eine Zwangsgemeinschaft entsteht. Die Beziehungen können jederzeit suspendiert, neue eingegangen werden.

Die Bürgerinnen und Bürger halten die Balance aus Nähe und Distanz. Die Passanten haben unterschiedliche Geschwindigkeiten. Punktuelle, zufällige Treffen aus freien Stücken sind möglich. Diesem Muster folgen auch die öffentlichen Diskurse zwischen Milieus.

Hannah Arendt spricht vom "gemeinsamen Tisch" der Stadtgesellschaft. Er wäre ein geeignetes Forum, um "Stadt" neu zu denken.

Der "gemeinsame Tisch"

Wie weit die sozialen Medien die realen Beziehungen und die Orte des Zusammentreffens durch Virtualisierung übernehmen, ist seinem Umfang nach noch nicht klar. Die Frage ist vielmehr: Wann stoppt der Trend? Der physische Kontakt wird nie zu eliminieren sein. Kommunikation umfasst alle Sinne, ist psychophysisch. Wo einzelne Sinne gekappt werden, wird die Qualität der Mitteilungen schlechter.

Damit ist jedoch Marshall Mcluhan nicht widerlegt, der anno dazumal verkündete: "The medium is the message." Einzuwenden wäre heute: Das Medium kann gehackt werden. Dann läuft das System im Fehlermodus. Die virtuelle Welt bekommt Risse.

Wie diese mit "Stadt" zusammenhängen, veranschaulicht eine kleine Anekdote: Ein Betrachter steht ratlos vor dem "Schwarzen Quadrat" von Kasimir Malewitsch. Als ihm die feinen Risse ("Krakelüren") auf dem Gemälde auffallen, hat er die Lösung: Durch die Ritzen entfleuchen des Nachts kleine Teufelchen und überfallen Moskau.1