Wie die Städte dahin laufen lernen, wo sie gebraucht werden

Seite 3: Raumfahrt der Häuser

Nicht weniger als jene Risse ist das Unfertige, Ungewisse eine Metapher für Stadt. Unfertig heißt, die Stadt ist in ständiger Bewegung, und darin liegt ihre Überlebenschance. Berlin ist "dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein", urteilte Karl Scheffler.

Nach Ernst Bloch lebt der Stadtnomade im ständigen Zustand "abfahrtswilligen" Wohnens. Viele Flüchtlinge vor den Nazis trugen wie Einsiedlerkrebse ihre Behausung mit sich. Sie lebten aus dem Koffer.

Heute wird das Bild durch Container vervollständigt. Ein Flüchtlings-Container ist das Haus, das "heute kommt und morgen bleibt." Exakt diesen Satz hatte Georg Simmel zur Beschreibung seiner berühmtesten Figur, des Fremden, geprägt. Er ist der, der heute kommt und, obwohl er bleibt, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat.

Das Unfertige als Metapher für Stadt

Von Malewitsch und Genossen stammen geometrische Entwürfe, ob gezeichnet oder als Modell, die in ihrem skulpturalen Ausdruck aussehen wie Raumschiffe. "Planiten" nennen sich die weltalltauglichen Häuser. Sie können zu ganzen "Aerostädten" agglomeriert werden.

Die künstlerische Avantgarde der jungen Sowjetunion schuf im Namen der neuen Zeit Stadtentwürfe, die kühn vom Neuen Menschen zeugten, aber in den Ansätzen stecken blieben.

Berühmt geworden sind die "Wolkenbügel" El Lissitzkys, eine Reihe von Hochhäusern, die in der Höhe horizontale Riegel ausbilden.

Auch die Wolkenbügel von 1924 wurden nicht gebaut.2 Darin liegt gerade die Faszination solcher Architektur-Utopien. Sie versinnbildlichen die Zukunft und holen sie in die Gegenwart, die sie mit künstlerischen Mitteln aufbrechen. Sie gedeihen am besten in Gesellschaften, die sich im Aufbruch, wenn nicht gerade in Aufruhr befinden.

Städte, die man mit sich herumtragen kann

Eine neue Zeit des Aufruhrs war in den wilden 60er-Jahren gekommen. Es ging nicht mehr um die Verbesserung der Städte, deren hergebrachte Funktionen sich als Fesseln für die aufmüpfige Jugend erwiesen, es ging um die Neugründung der Stadt. Die Stadt wurde zum Experiment ihrer selbst. Sie erneuerte sich von Straßenkämpfen her. Sie war "situativ" und spontan.

Zu erproben waren Städte, die man mit sich herumtragen konnte, Cloud Cities oder Städte als Seerosen im Meer schwimmend, ferner Städte, die variabel in Tragwerksgerüste eingehängt sind oder Städte, die als Rhizom am Boden kriechen (Constant, Megastructures).

R. Buckminster Fuller und die Gruppe Haus-Rucker-Co operierten mit Ballons und Blasen. Fuller verpackte ganze Städte in "Klimahüllen", und Haus-Rucker-Co ersannen "Ballons für zwei", die überall an bestehende Häuser andocken konnten.

Solche Kapseln waren aber auch weltraumtauglich. Für die Hüllen wurden Membranen verwendet, die den atmosphärischen Austausch zwischen innen und außen in der "atmenden Stadt" ermöglichten.

Zur pneumatischen Stadt kam die kinetische. Die englische Gruppe Archigram präsentierte die Plug-in-City. Diese baut und erweitert sich selbst. Das bekannteste Objekt der Gruppe ist "Walking City", eine Art mechanisches Insekt, das mit seinen teleskopischen Stelzen dorthin wandert, wo gerade Bedarf an Stadt ist.

Smart Citys

Die Planstädte des 21. Jahrhunderts bauen auf eine reale, technische Utopie. Smart Citys erheben den Anspruch, den Bau der Stadt an die Architektur des digitalen Netzes anzupassen. Die Menschen hinterlassen einen digitalen Fußabdruck und werden ins große Netz eingespeist.

Die Konsequenzen sind klar, besonders in China, werden jedoch verklärt durch das Versprechen, am technischen Fortschritt teilzuhaben und zeitsparenden Komfort bis in die eigene Wohnung zu genießen. Dafür, dass mein Müll automatisch entsorgt wird, verkaufe ich meine Seele.