Wie instagramable bist du?

Seite 3: Selbstdarstellung, Massenkonsum und neoliberale Massenkontrolle

Während Altnerds wie Hakim Bey und Prof. Geert Lovink seit Jahrzehnten wacker für freie Netzwerke und gegen psychische Regression in der "Plattformfalle" kämpfen, sahen andere früh den größeren politischen Kontext:

Daraus lässt sich folgern, dass mächtige Gruppen womöglich dafür sorgen werden, in der Gesellschaft den Willen zur Teilnahme an freien Netzen zu unterdrücken; dies geschieht grundsätzlich, indem entsprechende Motivation gar nicht erst entsteht, etwa weil beim Einzelnen die Angst um die ökonomische Existenz, Sorgen um Gesundheit und Arbeitsplatz die Lebenskräfte und jede Kreativität aufsaugen: Der derzeit betriebene neoliberale Abbau der europäischen Sozialsysteme schafft aus dieser Perspektive ein soziales und kulturelles Bollwerk...

Roland Alton, Thomas Barth, Wem gehören die Beziehungen im Netz?

Dass besagte finanziell mächtige Gruppen ihre neoliberalen Privatisierungen auch mit kriminellen Mitteln betreiben, davor warnte nicht zuletzt der Nestor der Globalisierungskritik Elmar Altvater.

Think Tanks und andere Formen des Lobbyismus sichern Medienkonzernen dabei zusätzlichen politischen Einfluss bei der neoliberalen Subversion der westlichen Gesellschaften.5

Spätestens als 2005 die Plattform MySpace für 580 Millionen Dollar an den Medienmogul Rupert Murdoch und seine News Corporation ging, wurde die Vermengung alte und neuer Medienmacht greifbar, auch wenn Murdochs Plattform schon 2008 von Facebook abgehängt wurde.

Wer mit User-Content und User-Daten Geschäfte machen will, sollte transparent handeln, und den Nutzern ein Recht auf Kontrolle oder Teilhabe überlassen, forderten schon damals die Autoren Alton und Barth, genau wie heute Shoshanna Zuboff in ihrer Kritik des Überwachungs-Kapitalismus.

Die Firmen denken aber nicht daran, sondern perfektionieren ihre Netze der Kundenprofile, die sich zu einen schleichenden Social-Soring-System verdichten. Der Cambridge-Analytica-Facebook-Skandal hat Möglichkeiten für direkte politische Manipulation aufgedeckt und ungewöhnlich harte Maßnahmen gegen Facebook nach sich gezogen.

Was bei Berichten über Chinas staatliches Social-Soring meist als Orwellscher Überwachungsstaat gegeißelt wird, verschweigt man hiesigen Konsumenten gern. Psychologie-Professor Gigerenzer kritisiert etwa die Datenfirma Acxiom, die angibt, Daten von mehr als 700 Millionen Menschen gespeichert zu haben, davon 250 Millionen in den USA und 44 Millionen in Deutschland. Er folgert:

Wir müssen über die gesamte Datenmaklerbranche reden, nicht nur über Facebook und seine Apps wie Messenger, WhatsApp und Instagram (…) sie sammeln die Daten so verstohlen wie möglich, während China wenigstens kein Geheimnis daraus macht. Ob offen oder versteckt, Tech-Firmen und staatliche Organisationen bauen gemeinsam an einer Welt der totalen Überwachung.

Gerd Gigerenzer, Klick. Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten

"Soziale Netzwerke" sind privatisierte Machtgefüge

In der Corona-Pandemie wurde der Widerstand gegen den Ausbau von Überwachung biopolitisch behindert, die lückenlose Erfassung der Bevölkerung aber hoch gefahren.

Schon MySpace galt dabei als Datenschutz-Problem bzw. als Ansatzpunkt staatlicher Überwachung, die folgenden "Sozialen Medien" setzten dies fort und fügten die private Dimension des Kundenprofilings hinzu. Zugleich wird die Massensteuerung durch neue Propagandatechniken ständig perfektioniert, was eine kybernetisch gesteuerte Gesellschaft immer wahrscheinlicher macht.

Instagram und Mutterkonzern Facebook/Meta reizen zu netzpolitischer Kritik, auch weil sie im Verdacht stehen, für eine "kybernetische Gouvernementalität" und damit gegen unsere parlamentarische Demokratie zu wirken.

Die Facebook-Kritiker Maschewski/Nosthoff sehen hinter der "Kommunikations- und Entschuldigungspraxis Zuckerbergs" subtile Kontrollreflexe, die bei Milliarden Usern deren Selbstoptimierung und -regulierung stimulieren. So würde man "neoliberalen Geist mit kybernetischem Steuerungswissen" verschmelzen.6

Im Kontext der Debatte um #regulatefacebook und #deletefacebook wird gefordert, Diskurseffekte machtpolitisch in Frage zu stellen:

Konkret hieße das etwa, damit anzufangen, "soziale" Netzwerke nicht weiterhin als "soziale Netzwerke" zu bezeichnen. Stattdessen wären sie als das zu benennen, was sie sind: privatisierte, damit also weder egalitäre noch per se demokratische -und am allerwenigsten neutrale- Machtgefüge.

Felix Maschewski, Anna-Verena Nosthoff: Netzwerkeffekte