Wie instagramable bist du?
Seite 2: Sex, Influencer und kein Videotape
- Wie instagramable bist du?
- Sex, Influencer und kein Videotape
- Selbstdarstellung, Massenkonsum und neoliberale Massenkontrolle
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Instagram machte die Kardashians zu Sexsymbolen des Smartphone-Zeitalters und wuchs mit ihrer Beliebtheit.
Sexy und erfolgreich zu sein, ist in heutiger Selbstinszenierung eine angebliche "Krönung der Individualität" (Manfred Prisching; siehe Literatur am Ende des Artikels). Und "Sex sells" besonders bei elektronischen Medien, das musste schon vor 40 Jahren die Tape-Firma Video2000 spüren, als sie mit ihrem Pornografie-Verbot den Kürzeren gegen das später dominierende VHS-System zog.1
Bald lief das Internet den Videotheken und VHS-Pornografen den Rang ab und heute gibt es Food- und Softporn (ohne Genitalien und Nippel) am Smartphone.
Die "Welt der Schönen und Reichen", die Omi beim Friseur in Frauenmagazinen konsumiert, kommt mit Instagram für die Enkelin aufs Smartphone -als Mitmach-App. 2010 gegründet erreichte Instagram nach nur einem Jahr 10 Millionen User und wurde von Marc Zuckerberg für eine Milliarde Dollar zur Foto-App von Facebook gemacht.
Heute hat "Insta" mehr User als Facebook damals. Das iPhone mit seiner Kamera lieferte die Bildqualität, Instagram die schlanke Technik, um das Social Network-Prinzip Zuckerbergs vom Laptop aufs Handy zu bringen.
Beide Plattformen ködern gezielt den Narzissmus ihrer User, insbesondere den Drang von Menschen "anderen zu zeigen, wer und wie sie sind"2 und beide arbeiten mit suchtfördernden Psychotricks, Profiling und gezielter Werbung.
Neu war bei Instagram das Influencer-Marketing, das heute den Werbemarkt revolutioniert hat. Von prominenten Mega-Influencern mit Hunderten Millionen Followern, wie Cristiano Ronaldo oder Justin Bieber, über Makro-Influencer mit einer Million und Mikro-Influencern mit 100.000 Followern geht es bis hinab zu Nano-Influencern, die Produkte bewerben, um Gratisproben zu bekommen.
Schon Mikro-Influencer können mit ca. 1.000 Dollar pro Werbe-Posting vom Verkauf ihrer Selfies und Videos leben. Grelle Farben gehören dazu und eine künstlich-schöne Werbeästhetik. Diesen speziellen Insta-Look erzeugen Grafikfilter-Funktionen der App -aus jedem noch so amateurhaften Foto eines Nutzers.
Werbung zu machen, die Menschen davon überzeugt, dass sie Dinge kaufen müssen, die sie nicht brauchen, um Geld auszugeben, das sie nicht haben, damit sie andere beeindrucken, denen das egal ist - das ist vermutlich der schlimmste Beruf, den es heute gibt.
Jonas Dinkhoff, Buy this Shit
Der Insider der Werbebranche Dinkhoff schrieb sich nach zehn Jahren Berufserfahrung seinen Frust von der Seele, über eine ideenlose, aber effektiv "durchgetaktete Konsum- und Werbemaschinerie". Deren oberstes Gebot lautet "Verkaufen", wobei Visionen und Werte nur leere Standardfloskeln sind und dem Designer klar ist, wo die Schachstelle dieses Industriemodells liegt: "unbegrenztes Wachstum ist nicht möglich, ohne die Welt zugrunde zu richten".3
Die Einsichten, die vor 50 Jahren der Film "Soylent Green" schockartig auf die Leinwand brachte, haben inzwischen auch die PR-Kommandobrücke der kapitalistischen Luxusyacht erreicht, leider ohne viel an deren Kurs zu ändern. Schlimmer noch, unter dem schönen Schein verbreitet sich immer mehr ein digitaler Totalitarismus.
Werben, Überwachen und Strafen
Facebook, Instagram, YouTube, Tinder - wir machen uns selbst zu Produkten und verkaufen uns. Wir alle sind Teil der Werbebranche geworden und da wir "Teil des Teams" sind, müssen wir keine Geheimnisse voreinander haben." Jonas Dinkhoff, Buy this Shit
Am Online-Konsum verdienen viele, allen voran Amazon, aber auch die Plattformen mit ihrer Werbung und ebenso die traditionellen Medienkonzerne -mit abnehmender Tendenz wenn sie nicht, wie etwa Bertelsmann mit seiner Arvato-Sparte, massiv in den Netzsektor expandieren.
Über das Kundenprofiling wird dabei ein schleichendes und immer noch oftmals unkontrolliertes Privat-Überwachungsregime etabliert. Facebook fiel mehrfach durch große Skandale auf, die Firmengründer Zuckerberg vor Gericht und sogar vor das US-Parlament führten. Facebook verletzte die Privatsphäre seiner Nutzer, spionierte sie aus und manipulierte ihr Verhalten.
Der Psychologe und Statistikpapst Gerd Gigerenzer sieht psychische Manipulation auch bei Instagram:4
Tag für Tag verbringen Millionen von Menschen Stunden damit, Bilder auf Instagram zu posten, voller Hoffnung auf Rückmeldungen zu warten und die Likes zu zählen, die sie bekommen. Likes werden zu Umarmungen.
Gerd Gigerenzer
Wie bei den Ratten und Tauben des klassischen Behaviorismus, die mit Futter konditioniert, d.h. dressiert, wurden, wirken heute die Likes. Sie sind, so Gigerenzer, der "Leim, an dem die Leute kleben bleiben sollen".
Die Social-Media-Unternehmen führen Serien von immer raffinierteren Experimenten durch, um herauszufinden, wie sie die Nutzer noch suchtartiger an die Bildschirme und Smartphones fesseln können. Dabei nutzen sie klassische Verhaltenspsychologie und modernste Digitalisierung, jedes eingeheimste Like sei wie eine kleine Dopamin-Spritze für das Gehirn.
Die digitalen Datendealer binden ihre Dauerklicker durch diverse Tricks. Etwa durch "Snap Streaks": Die Zahl aufeinanderfolgender Tage, an denen ein User und sein Facebook-"Freund", Follower etc. sich gegenseitig ein Snap, also Foto oder Video, gesendet haben.
Plattformen wie Snapchat zeigen diese Tage-Anzahl mit freudig-flammendem Icon. Der Psycho-Trick dabei: Verpasst man nur einen Tag, fällt die Zahl zurück auf Eins. Es ist ein simpler Anreiz, um dauernd seichte Kontakte zu "pflegen" und die Klickzahlen der Plattform hochzutreiben.