Wie ist die Stimmung im WWW-Land?

Gute- oder schlechte-Laune-Indikatoren für Blogs und den Rest der Welt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie fühlt sich wohl heute der Inhaber einer Website? Gut, weil viele Besucher vorbeigekommen sind – oder schlecht, weil einer davon ein Abmahnanwalt war? Nicht jeder wird dies preisgeben wollen, doch wenn dies der Fall ist, gibt es auch hierfür die passenden Emoticons.

Wer sich genauer mit einem Blog beschäftigt und die Person dahinter kennt, erkennt am jeweiligen Schreibstil sicherlich, wie die Laune des Betreffenden ist. Für die, die es nicht so genau wissen oder für Blogger, die nur gelegentlich zur Tastatur greifen, gibt es bereits seit Jahren den Dienst Imood.com. So wie man eine E-Mail mit Smileys garnieren kann, so kann man auf diese Weise auch seine Website mit einem solchen verzieren. Von „gut gelaunt“ über "herausgefordert" bis „stocksauer“ ist alles vertreten. Man kann die Stimmung allerdings auch freilassen, wenn man beispielsweise im Urlaub ist. Und manche Bloghoster wie der Online-Tagebuchdienst "Livejournal" bieten bereits serienmäßig 132 anzeigbare Stimmungen an.

Kann vorkommen, besonders morgens…

Wer es noch genauer wissen will, kann natürlich an der emotionalen Stadtkartierung teilnehmen. Damit allerdings würde für einen einzelnen Teilnehmer jegliche Privatsphäre verloren gehen ("Mach mir nichts vor, ich weiß, wo du bist" – und wie es dir geht…). Und die Stimmung könnte möglicherweise sogar gehackt werden ("Web 2.0" ist ein Paradies für Hacker).

So genau will es aber vielleicht gar nicht jeder wissen, so mancher interessiert sich eher für die Stimmung der Gemeinde im Allgemeinen und nicht im Besonderen. Einen derartigen Mittelwert ermittelt schon Imood.com, doch wurde auch noch die Website Inmood.net eingerichtet, in der die ganze Welt ihre Stimmung hinterlassen kann. Eine nette Idee, allerdings sind einige Dutzend Teilnehmer in Deutschland und gerade etwa doppelt soviel weltweit nicht wirklich aussagekräftig und wenn die Stimmung in Afrika gerade super ist, so liegt dies meistens daran, dass der eine Internetteilnehmer in Afrika gut gelaunt ist oder war, bevor er offline ging. Mit der Geographie hapert es ebenso mitunter, wenn beispielsweise Grönland zu Amerika gezählt wird.

Niederländische Forscher sind außerdem über die öffentlich zugänglichen Livejournal-Stimmungstags hergefallen und werten diese seit knapp einem Jahr statistisch aus. Man kann nachsehen, ob die Online-Tagebuchführer und -innen gerade schwer besoffen, noch durstig, in Flirtlaune oder von all dem Quatsch nur noch müde sind.

Erste Erkenntnisse haben die niederländischen Forscher auch bereits gewonnen: Am Wochenende und an Silvester sind mehr Blogger besoffen als unter der Woche. Na sowas! Da wären wir natürlich von alleine nie drauf gekommen...

Zukünftig will man auch die Texte analysieren und daraus ableiten, was die Blogger bewegt. Ein Eintrag "Heute wieder den ganzen Tag Blähungen gehabt", wie er in zuletzt in einem berüchtigten literarischen Werk in Papier-Tagebuchform zu finden war, würde dann sofort die Aktien entsprechender Pharma-Unternehmen steigen lassen.

Wo allerdings nicht nur Lächeln, sondern auch mal Depressionen angesagt sind, verfällt auch der gemeine Surfer lieber peinlich berührt in Schweigen: das deutsche Depressionsbarometer wurde im Februar abgeschaltet, da die angezeigten Ergebnisse – wer hätte es gedacht? – zu depressiv machten. So genau will es also doch vielleicht nicht jeder wissen, und es könnte auch taktisch unklug sein, seine Stimmung online zu verraten, weil die Marketingleute auf so etwas nur lauern und dann die einschlägigen Telefonverkaufs-Plagegeister das Gefühl haben könnten, von einer positiven Stimmungslage profitieren und eins ihrer nord- oder süddeutschen Klassenlotterielose unter die Leute bringen zu können.

Und wer so einen Anruf bekommt, dem vergeht es erstmal mit der guten Laune ("Irgendwann legen die Leute den Hörer daneben"): wer nämlich nicht gewillt ist, seine Arbeit – im Fall des Autors das Schreiben dieses Artikels – für das dringende Verkaufsgespräch zu unterbrechen und dem Störenfried gar kundtut, auch diesmal nun wirklich überhaupt gar kein Interesse zu haben, muss mittlerweile damit rechnen, dass die Callcenter-Dame ausrastet und ihn beschimpft. In diesem Punkt sind die Anrufer der norddeutschen Klassenlotterie noch wesentlich pampiger als die aus dem Süden, auch wenn keiner der Stimmungsindikatoren im Web ein derartiges Nord-Süd-Gefälle aufzeigt. Die PR-Agentur, um das eigene Image aufzupolieren, ist bei derartig aggressiven Unternehmen jedenfalls noch überflüssiger als das stillgelegte deutsche Depressionsbarometer. Vielleicht sollte sie lieber auf der NKL-Website ein Stimmungsbarometer einrichten, damit man vorgewarnt ist, ob die unvermeidlichen anonymen Anrufe mit unterdrückter Nummer heute eher einen erotischen, traurigen oder aggresiven Beigeschmack haben werden...