Wie man eine Finanzkrise auf die Bevölkerung eines gebeutelten Landes abwälzt

Acht Dinge über die griechische Schuldenkrise, die Angela Merkel Dir nie erzählen würde

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1. Die griechische Schuldenkrise hat mit Griechenland wenig zu tun. Statt dessen viel mit dem politischen Projekt der Integration der europäischen Finanzmärkte...

Merkel betont gerne, Griechenland hätte über seine Verhältnisse gelebt und die griechische Regierung hätte ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Dass Griechenland 2001- 2008 über seine Verhältnisse gelebt hätte, ist bis dahin aber niemandem aufgefallen. Im Gegenteil: Griechenlands Wirtschaftswachstum war im innereuropäischen Vergleich außerordentlich, Griechenlands Entwicklung wurde als Beispiel dafür gefeiert, wie der Euro es den ärmeren Ländern ermöglicht, an die reicheren Länder anzuschließen, und Analysten, etwa des IWF, hatten keinerlei Bedenken, dass sich die Wachstumsaussichten Griechenlands in der mittleren Frist weiterhin im deutlich positiven Bereich bewegen würden.

Dies führte auch dazu, dass internationale Banken - besonders europäische, und allen voran deutsche und französische - ihre Kreditvergabe und ihre an die griechische Volkswirtschaft und ihre Investitionen in Schuldpapiere deutlich ausweiteten. Dieser Investmenboom war aber nicht nur dem Profitkalkül der Banken geschuldet. Denn die Integration der europäischen Finanzmärkte, die bereits in den 1980er Jahren begann, um der US-amerikanischen Dominanz im Finanzsektor eine europäische Antwort entgegenzustellen, gehörte zu den wesentlichen Zielen der Schaffung der europäischen Währungsunion.

Das Verschwinden von Währungsrisiken, die Verfügbarkeit einer Vielzahl an europäischen Staatsanleihen, die implizite Annahme, die Eurozone und die EZB würden die Mitgliedsstaaten im Falle Zahlungsproblemen in jedem Fall unterstützen, sowie einige institutionelle Regelungen der europäischen Zentralbank1 machten die Währungsunion zu einem der wichtigsten Vehikel zur Integration der Finanzmärkte - und zu einem europäischen Finanzboom.

Diese Entwicklung war aber nicht nur gewollt, um europäischen Banken in der Konkurrenz mit amerikanischen den Rücken zu stärken, sondern auch, weil man davon ausging, diese Regelungen würden für die europäischen Staaten, Banken, Unternehmen und Haushalte den Zugang zu Kredit verbilligen. Genau das taten sie auch, für eine Zeit lang. Es kam zu der historisch einmaligen Situation, dass die Staatsanleihen aller Euro-Mitgliedsländer zum gleichen Zinssatz gehandelt wurden - was, zumindest nach den ökonomischen Lehrbüchern, bedeutet, dass das Risiko dieser Anlagen genau gleich niedrig eingeschätzt wurde.

Und so nahm die Verschuldung der europäischen Volkswirtschaften lange zu - in Griechenland von ca. 180 % 1999 auf ca. 280 % 2008 (und das ist noch niedrig; Spaniens Gesamtverschuldung stieg im gleichen Zeitraum von etwa 200 auf 500% an).2 Diese Zunahme ging, zumindest in Griechenland, jedoch nicht auf den Staatshaushalt zurück. Dessen Verschuldung war, gemessen am BIP, zwar hoch, aber konstant, und schwankte 2001-2008 zwischen 105 und 110%. Der Anteil des Staats an der Gesamtverschuldung schrumpfte demzufolge von ca. 65% auf 40%; der Anstieg war vor allem von Finanzinstituten, Unternehmen, und Haushalten getragen.

Aufgrund der als gering eingeschätzten Risiken, der niedrigen Zinsen auf diese Schulden, und aufgrund eines generellen Optimismus über die europäische Wirtschaftslage, wurde diese Schuldenentwicklung jedoch nicht als problematisch angesehen. Selbst wenn Griechenland damals also "über seine Verhältnisse gelebt" hat, oder vielmehr, einen schuldenfinanzierten Wachstumsschub mit zweifelhafter Nachhaltigkeit erlebt hat, so hat ganz Europa applaudierend, und händereibend, dabeigesessen.

In dieser Zunahme der Gesamtverschuldung der europäischen Ökonomien profitierten die Banken der europäischen Kernländer auch von einem ganz besonderen System des "Carry-trade" - sie verschuldeten sich gegenüber dem nicht-europäischen Ausland, um noch mehr Schuldscheine in der europäischen Peripherie erwerben zu können.3 Diese Form der "Hebelung" - also der Investition in riskante Produkte mit geliehenem Geld, um die eigene Profitmarge zu erhöhen - trug entscheidend zur Instabilität der Finanzmärkte im Vorkrisenzeitraum bei und sollte eine entscheidende Rolle im Verlauf der Krisenpolitik spielen.

2. … und mit der internationalen Finanzkrise

Als 2007 die Finanzkrise in den USA begann, 2008 auf die Finanzmärkte in Europa überschwappte und 2008/2009 auch die "Realwirtschaft" erfasste, kam es dann zu der negativen Kausalkette, die Griechenland in den Abgrund stürzte. Die Krise hatte ihre unmittelbare Ursache am US-Hypothekenmarkt. Als dieser einzubrechen begann, brach Panik aus - manche Sicherheiten wurden plötzlich "toxisch", denn sie konnten auf dem offenen Markt nicht mehr verkauft werden und waren das Papier nicht mehr wert, auf dem sie gedruckt waren; andere Sicherheiten wurden einer neuerlichen, viel kritischeren Überprüfung unterzogen.

Die Banken liehen sich gegenseitig kein Geld mehr, weil sie den "Sicherheiten" nicht mehr trauten, die ihnen die anderen Banken hinterlassen wollten, und plötzlich war ein ganzer Sektor in massiver Zahlungsnot. Zum Glück für die Banken schnürten die Staaten massenhaft Rettungspakete und nahmen selbst neue Schulden auf, um die Schulden der Banken zu begrenzen. Diese Schuldenaufnahme musste noch verstärkt werden, als die Finanzkrise auf die Industrie und den Handel übergriff, da sinkende Steuereinnahmen sich mit erhöhten Staatsausgaben (Konjunkturpakete, größere Arbeitslosigkeit) paarten.

Somit fiel die steigende Staatsverschuldung gerade in die Zeit, als die Banken den ersten Sturm durch die kräftigen Finanzspritzen des Staates zwar gerade so überwunden hatten - in der sie aber noch lange nicht stabil waren, ihre Bilanzen nach unten korrigieren mussten, und ihr Eigenkapital erhöhen mussten. Das war der Zeitpunkt, an dem die Finanzmärkte plötzlich wieder anfingen, einen Unterschied zwischen den europäischen Staatsanleihen zu machen.

Griechische Ankündigungen, die eigentliche Staatsschuld sei höher als bisher offiziell zugegeben - die griechische Regierung hatte durch Finanztricks mit Hilfe von US-Investmentbanken einen Teil ihrer Schulden vor den europäischen Behörden versteckt4 -, die Höhe der griechischen Staatsschuld vor der Krise, und der schnelle Anstieg seit Ausbruch der Krise trugen dazu bei, dass es zunächst vor allem Griechenland traf. Zweifel an der "Nachhaltigkeit" der griechischen Schulden - also der Fähigkeit Griechenlands, die Schulden durch eigenes Einkommen statt durch die Aufnahme neuer Schulden zu finanzieren - setzten ein; die Ratingagenturen stuften die Kreditwürdigkeit des Landes herab, und Spekulanten begannen, auf fallende Preise von griechischen Staatsanleihen zu wetten5, wodurch die Geschwindigkeit, mit der sich das Problem ereignete, massiv beschleunigt wurde. Die griechischen Staatsschulden wuchsen auf 127% des BIP in 2009 und auf 147,8% in 2010.

Der oben erwähnte "carry trade" machte die griechischen Staatsanleihen zu den toxischen Papieren des europäischen Finanzsektors - denn um die Kredite an ausländische Banken abzubezahlen, die aufgenommen wurden, um mehr Staatsanleihen zu kaufen, mussten die Banken so schnell wie möglich ihre "toxischen", im Preisverfall befindlichen, Staatsanleihen verkaufen, um wenigstens noch so viel wie möglich des ursprünglichen Preises zu retten. Durch die massiv steigenden Zinsraten auf ihre Staatspapiere wurde es für die Krisenländer, allen voran Griechenland, immer schwerer, sich zu refinanzieren, während die Schuldenlast und der Teil des Staatshaushaltes, der in den Schuldendienst floss, immer schneller anstieg. Dies löste eine Negativspirale aus, die fast nichts mit der griechischen Wirtschaft und fast alles mit dem europäischen Bankensystem und der globalen Finanzkrise zu tun hat.

3. Die EZB hat diese Situation nicht entschärft, sondern schlimmer gemacht. Sie ist nicht "unpolitisch", sondern parteilich zum Vorteil der Finanzmärkte und der großen Exportnationen

Wenn Staaten in solche Refinanzierungsschwierigkeiten geraten, hilft ihnen normalerweise ihre Zentralbank aus. Sie "leiht" der Regierung Geld, das die Regierung nicht zurückzahlen muss, indem sie die Geldmenge erhöht. Diese Funktion nennt man "lender of last resort", und jede wichtige Zentralbank der Welt kann sie erfüllen - außer der EZB. Als einzige Zentralbank ist es ihr untersagt, Staaten direkt zu finanzieren.

Diese Ausnahmesituation ist in erster Linie auf den Wunsch Deutschlands zurückzuführen, das bei der Aushandlung der EWU befürchtete, eine solche Regelung könnte zur Ausnutzung durch die Staaten Südeuropas führen. Deren Währungspolitik war zuvor auf eine höhere Inflationsrate und auf kompetitive Währungsabwertung ausgerichtet. Letzteres war unter dem Euro nicht mehr möglich, und ersteres hätte inflationäre Wirkungen auf die Eurozone übertragen - und damit die deutsche Niedriginflationspolitik gefährdet, mit der die deutsche Wirtschaftspolitik niedrige Produktionskosten, niedrige Löhne und hohe Außenhandelsüberschüsse erzeugte.6

Dass die Inflationsziele der EZB de facto fast der der Bundesbank entsprachen, ist also in erster Linie als Versuch zu interpretieren, die südeuropäischen Länder zu "disziplinieren" und sie unter Regeln zu unterwerfen, die einzig für das politökonomische Modell Deutschlands vorteilhaft waren. Die katastrophalen Folgen dieses institutionellen Arrangements zeigten sich, als die peripheren Staaten in Finanzierungsschwierigkeiten gerieten - und anders als die Banken, die sich bei der EZB zu historisch niedrigen Zinsraten leicht mit Liquidität versorgen konnten, für ihre Refinanzierung absolut von den Finanzmärkten abhängig waren, und zwar zu einer Zeit, in der an genau diesen Finanzmärkten Panik, Misstrauen, und gegen Staaten gerichtete Spekulation vorherrschten. Allein der institutionelle Bias der EZB, die alles tat, um die europäischen Banken liquide zu halten, aber keinerlei Handhabe (und auch keinen politischen Willen) hatte, die Staatshaushalte zu unterstützen, dürfte einiges dazu beigetragen haben, dass sich die Finanzkrise in eine "Staatsschuldenkrise" verwandeln konnte.

4. Die "Griechenlandrettung" hat nicht Griechenland, sondern die Banken gerettet - dafür zahlen musste aber nicht der europäische "Steuerzahler", sondern die griechische Bevölkerung

Als all diese Probleme der Finanzmarktliquidität und der fehlenden institutionellen Puffer im April 2010 endgültig aus der Kontrolle gerieten, wurde im Mai 2010 in einer Ad-hoc-Maßnahme ein "Rettungspaket" für Griechenland geschnürt, durch das der griechische Staat einen umfangreichen Kredit in Höhe von 110 Mrd. € zugesagt bekommen hatte (das Programm wurde später auf 240 Mrd. € erhöht und dabei um einen teilweisen Schuldenschnitt ergänzt; hierbei stießen die meisten privaten Gläubiger ihre Anleihen an die öffentliche Hand ab).

Von diesem Geld haben die griechischen Bürger allerdings fast nichts gesehen: Nur 10% der 240 Mrd. € gingen tatsächlich an den griechischen Staat. 34 Mrd. € wurden an die Banken ausgezahlt, die sich am "Haircut" von 2012 beteiligten; 48,2 Mrd. € wurden benutzt, um griechische Banken notdürftig zu unterstützen. Die größte Summe, 140 Mrd. €, wurde benutzt, um die Investoren auszubezahlen, die vor der Krise Schulden des griechischen Staates hielten.

Während die "Troika" - die EU-Kommission, die EZB und der IWF - diesen Kredit aufgibt und europäische Steuerzahler das Risiko dafür tragen, müssen ihn ultimativ der griechische Staat und die griechischen Bürger abbezahlen, inklusive Zins und Zinseszins. Für die enormen Turbulenzen, die die Risikopositionen der europäischen Investoren, die Spekulationen von Hedgefonds, die institutionellen Fehlkonstruktionen der Eurozone und der politische Bias in Richtung Finanzmärkten und Exportstaaten ausgelöst hatten, wurden alleinig der griechische Staat und die griechische Bevölkerung haftbar gemacht. Auf ihrem Rücken wurde die "Beruhigung der Finanzmärkte" durchgeführt.

Dabei waren schon beim ersten "Rettungspaket" andere Optionen verfügbar. Bei den Beratungen des IWF etwa über seine Beteiligung an der Troika stellten einige Gremiumsmitglieder die Form und die Konditionen des Rettungspaketes in Frage. So stellte etwa der Schweizer Delegierte die Frage: "Warum ist eine Schuldenumstrukturierung und die Einbeziehung des Privatsektors in das Rettungspaket bisher nicht in Erwägung gezogen worden?"

Der brasilianische Delegierte hingegen fand noch stärkere Worte: "Die Risiken des Programms sind immens. So wie es jetzt aussieht, riskiert das Programm, private in öffentliche Finanzierung umzuwandeln. In anderen, stärkeren Worten: Es könnte nicht als Rettung von Griechenland angesehen werden, das sich einem zermürbenden Anpassungsprozess würde unterziehen müssen, sondern als eine Rettung der privaten Gläubiger, hauptsächlich europäischer Finanzinstitute." Viele weitere Delegierte äußerten starke Zweifel an der Nachhaltigkeit des vorgeschlagenen Kreditprogrammes.

Diese Aussagen, die geleakten Unterlagen der Gremiumstagung des IWF vom 9.Mai 2010 entstammen7, zeigen auch, dass Christine Lagarde bis zum Juni 2013 schlicht log, als sie behauptete, dass der IWF keinerlei Kenntnis davon hatte, dass Griechenland eine Schuldenumstrukturierung benötigen könnte und dass sich die ökonomische Situation des Landes so rapide verschlechtern könnte, dass der Schuldenschnitt später nötig wurde (ebd.).

5. Die Politik der Troika hat Griechenland erst in die jetzige Lage gebracht

Die Auflagen, die die Troika der griechischen Regierung unverschämterweise dafür machte, dass sie sie zwang, die Kosten für die Risiken auf sich zu nehmen, die europäische Banken im Vorfeld der Krise eingegangen sind, waren hart. Sie sahen nicht etwa vor, dass Griechenland schnell zum Wachstum zurückkehrt und die Kredite durch Unternehmenssteuern abbezahlt. Die Troika wollte Austerität: Eine absolute Senkung der Staatsausgaben, insbesondere durch Kürzungen im Sozialbereich, eine Reduktion des Lohnniveaus und Privatisierungen, die zwar kurzfristig die Staatskassen entlassen können, langfristig aber weitere Einnahmeverluste erzeugen.

Die Effekte waren eine Katastrophe, für die ein Vergleichsmaßstab noch gefunden werden muss. In 5 Jahren des Troika-Regimes kam es zu einem katastrophalen Schrumpfen des BIP um 25%, der Löhne um 38%, der Renten um 45%, der Haushaltseinkommen um 30%. 1.000.000 Menschen haben ihre Arbeit verloren, die Kindersterblichkeit ist um 42,8% gewachsen, die Selbstmordrate um 62,3%, und die Armutsrate hat sich um 98,2% nahezu verdoppelt.

Auf der Schlachtbank des Troika-Regimes ist dabei nicht einmal das eigentliche Ziel übrig geblieben: Die Schuldenquote zum BIP hat sich seit 2009 kontinuierlich verschlimmert: von 127% 2009 auf 177,1% 2014. Angesichts dieser radikalen Folgen der Austeritätspolitik zu urteilen, Griechenland hätte, im Gegensatz zu anderen Krisenländern, die Reformempfehlungen eben nicht umgesetzt - derzeit die beliebteste Ausrede von Merkel & Co. -, ist blanker Hohn. Es ist diese Bilanz von 5 Jahren der Troika-Radikalkur, gegen die sich das Syriza-Regime mit dem demokratischen Mandat der Bevölkerung zur Wehr setzt. Und es ist diese Radikalkur, die die Troika heute mit aller Macht auch für die absehbare Zukunft fortsetzen will und gegenüber der sie keinerlei Konzessionen und Kompromisse zulässt.

6. Syrizas Umschuldungsforderungen sind so radikal und unrealistisch wie die der Adenauerregierung Deutschlands

Die derzeitigen griechischen Regierungsmitglieder werden von den Medien hierzulande wahlweise als Pokerspieler oder Spieltheoretiker verunglimpft, und als Demagogen und Lügner beschimpft. Dabei sind die angeblich so unverschämten und undurchführbaren Forderungen Griechenlands, die maßgeblich aus der Feder des Finanziministers Varoufakis stammen - der zusammen mit dem amerikanischen Ökonomen J.K. Galbraith schon seit November 2010 einen regelmäßig aktualisierten "bescheidenen Vorschlag" zu einer grundsätzlichen und progressiven Lösung der Eurokrise veröffentlicht hat, lange bevor seine Position als griechischer Finanzminister überhaupt im Bereich des Denkbaren lag -, gar nicht so radikal.

Genau genommen ist seine zentrale Forderung - ein Schuldenschnitt, der die Schulden beträchtlich reduziert und eine an das Wachstum gekoppelte Rückzahlung der verbleibenden Schuldenlast vorsieht - ausgerechnet am historischen Beispiel Deutschlands geschult. Denn der deutschen Regierung unter Adenauer ist es 1953 gelungen, auf einer internationalen Geberkonferenz erfolgreich dafür zu werben, die deutsche Schuldenlast, entstanden durch Reparations- und Wiederaufbauschulden zweier Weltkriege, um die Hälfte zu reduzieren. Insbesondere aber mussten die Schulden nur aus laufenden Einnahmen gezahlt werden; erzielte Deutschland also keine Exportüberschüsse, musste es auch keine Schulden abbezahlen.

Einen ähnlich vorteilhaften Deal möchte Deutschland aber heute gegenüber seinem ehemaligen Gläubiger - denn auch Griechenland schrieb die Hälfte der deutschen Schulden ab - um jeden Preis verhindern. Während also die Schulden, die Deutschland durch die Verursachung zweier Weltkriege entstanden sind, zu progressiven Bedingungen erlassen wurden, muss Griechenland, das eher zufällig unter die Räder der gewaltigen Finanzkrise geraten war, die volle Schuldenlast tragen.

Dass Deutschland zudem auch Reparationszahlungen, die bei der Schuldenkonferenz auf den Abschluss eines Friedensvertrages mit den Besatzungsmächten verschob8, und gar die Abbezahlung eines Zwangskredites, den die deutsche Besatzungsmacht in Griechenland aufgenommen hatte, um die Kosten diverser Feldzüge zu finanzieren, verweigert, während es Griechenland moralisches Versagen und Erpressertum vorwirft, kann in seiner Perfidität gar nicht mehr angemessen kommentiert werden.

7. Der Troika geht es weder darum, eine angemessene Lösung für die griechische Krise oder auch nur einen Kompromiss zu finden, noch um die Rettung "europäischer Steuergelder"

Die bisherigen katastrophalen Ergebnisse der Troika-Politik zeigen, dass es um eine ökonomische Lösung der griechischen Krise schon lange nicht mehr geht. Sogar der IWF warnt inzwischen, dass die griechischen Schulden nicht nachhaltig sind, Griechenland einen groß angelegten Schuldenschnitt benötigt und für 20 Jahre von der verbleibenden Schuldenlast befreit werden sollte.9 Dies zeigt, dass es der Eurozone und der EZB nicht einmal um ihre eigenen (Steuer)gelder geht - denn jede Bank würde in einem solchen Szenario einen Schuldenschnitt akzeptieren, denn eine teilweise Rückzahlung ist besser als gar keine, die droht, wenn Griechenland in die Zahlungsunfähigkeit gerät.

Wenn es um Steuergelder ginge, könnte z.B. etwa auch die massive Steuerflucht im Euroraum unterbunden werden, von der insbesondere Luxemburg profitiert - und die ein Land wie Deutschland jährlich etwa 30 Mrd € kostet, was in den 5 Jahren, die das griechische "Hilfs"programm bereits läuft, auf gut das Doppelte der 80 Mrd. €, die Deutschland zum 240-Mrd.-Kredit für Griechenland berappelte, anwächst. Doch der Mensch, der eine maßgebliche politische Verantwortung für diese Entwicklung trägt, zumindest für den beträchtlichen luxemburgischen Anteil, sitzt im Gegensatz zu Tsipras und Varoufakis nicht auf der europäischen Anklagebank - sondern auf dem Richterstuhl: Es ist der frischgewählte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der im Übrigen auch der erste war, der der griechischen Bevölkerung implizit, aber sehr deutlich damit gedroht hat, Griechenland aus dem Euro zu werfen, sollte es im Referendum mit Nein stimmen.

Wenn es also nicht um eine ernstgemeinte Lösung der griechischen Staatsschuldenkrise und auch nicht um eine Rettung europäischer Steuergelder geht, worum ging es bei den ganzen Verhandlungen dann eigentlich? Laut dem amerikanischen Ökonomen Paul Krugman machte die Troika nichts anderes als einen "umgekehrten Corleone": Sie machte der griechischen Regierung ein Angebot, das sie nicht annehmen konnte.

Das klingt sinnlos, hat aber ein klares Ziel: die griechische Regierung zu destabilisieren und zu stürzen. Und damit das demokratische Mandat dieser Regierung auszuhebeln. Denn für die Eurozone stellt dieses Mandat ein ungeheuerliches Problem dar: Gelingt es der selbstbewusst angetretenen Syriza-Regierung, der Troika auch nur minimale Konzessionen abzuringen, werden sich die Menschen in Irland, Portugal, Spanien und Italien ansehen und fragen: Und wir?

Insbesondere die spanische Podemos könnte dabei frischen Wind in die Segel bekommen und bei den Wahlen im Herbst die konservative Regierung ablösen. Und wenn das große Spanien ähnlich selbstbewusste Forderungen aufstellt wie das kleine Griechenland, steht die Europapolitik Merkels plötzlich vor ganz anderen Herausforderungen. Und ihr Mantra, dass es keine Alternative gebe zu der harschen Austerität, die der europäischen Wirtschaft aufgetrotzt wurde, wird in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

8. Es gibt eine Alternative

Die bisherige Europapolitik der "Institutionen" ist nicht nur ausgesprochen unsozial, ökonomisch kontraproduktiv, von moralischen Doppelstandards durchsetzt, absolut rücksichtslos und an den Interessen weniger machtvoller Akteure ausgerichtet, sie ist auch nicht alternativlos.

Von keynesianischer Wirtschaftspolitik über "bescheidene Vorschläge", die das europäische Projekt durch eine tiefere politische und fiskalische Integration fortsetzen wollen und dabei auf Mechanismen einer sozialen und solidarischen Unterstützung der Mitgliedsländer setzen, bis hin zu radikaleren Alternativen, die eine neue Gesellschaft auf Grundlage der neugeschaffenen Formen "realer Demokratie" und auf anderen Formen des Wirtschaften aufbauen wollen, liegt einiges auf dem Tisch.

All diese Alternativen werden aber nur dann eine Chance darauf haben, zu einer tatsächlichen Option zu werden, wenn das griechische Volk am Sonntag "Oxi" zur europäischen Austeritätspolitik sagt. Auch wenn das aufgrund der Angstmache und der realen Gefahr ökonomischer Verwerfungen, sollten die "Institutionen" ihre Drohungen wahr machen, großen Mut und ein großes Risiko erfordern wird. Aber ein Ja wird zu einer Fortsetzung der ökonomischen Katastrophe in Griechenland, Irland und Portugal führen, den linken Alternativen einen gehörigen Rückschlag versetzen und eine Form der Opposition stärken, die noch gefährlicher ist als die Troika: die erstarkende europäische Rechte.