Wie sich ein Akademiker ein ungerechtes System zurechtbiegt

Bild: 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks/HIS-HF, S. 112

Kommentar zum Artikel "Wovon Arbeiterkinder wirklich profitieren würden"

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Dass das deutsche Bildungssystem nach der familiären Bildungsherkunft selektiert, ist von wissenschaftlichen Sozialerhebungen seit vielen Jahren gut belegt: Wer in eine Akademikerfamilie geboren wird, hat eine 3,4-mal so hohe Chance, ein Hochschulstudium zu beginnen, wie jemand aus einer anderen Familie. Manche Akademiker verstehen diesen Befund jedoch nicht richtig und reproduzieren damit ausgerechnet die soziale Selektion, die es eigentlich im Interesse der Chancengleichheit zu überwinden gilt.

Am 26. Juni 2013 wurde die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks vorgestellt (Infobroschüre, Zusammenfassung, vollständig). Mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haben die sozialwissenschaftlichen Experten des HIS-Instituts für Hochschulforschung die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012 erhoben. Ihre Ergebnisse beruhen auf den Angaben von 15.128 Befragten und sind damit für die Studierenden deutscher Hochschulen repräsentativ. Schon seit 1951 wird die Sozialerhebung im meistens dreijährigen Rhythmus durchgeführt.

Familiäre Bildungsherkunft wurde untersucht

Die Erhebung liefert aktuelle Erkenntnisse zur sozialen Selektion des deutschen Bildungssystems, zu den Folgen der Bologna-Reformen, zum BAföG und zur sozialen Infrastruktur wie Wohnmöglichkeiten für Studierende oder Mensakapazitäten fürs bezahlbare Essen der Kommilitonen. In den Medien hat vor allem der erste Aspekt, die soziale Selektion, große Aufmerksamkeit erhalten. Damit ist gemeint, ob Menschen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund systematische Unterschiede in der Teilhabe am Bildungssystem haben. Einen Weg, dies zu messen, bestand in der Erhebung der Bildungsherkunft der Familie eines Menschen. Damit ist gemeint, welchen Schul-, Ausbildungs- oder Hochschulabschluss die Eltern besitzen.

Der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Dieter Timmermann, wählte für die Vorstellung seines Berichts deutliche Worte, die keinen Zweifel an dem Ergebnis der Erhebung lassen:

Es ist kein neuer Befund, aber jede Sozialerhebung zeigt aufs Neue: Der Zugang zum deutschen Hochschulsystem ist sozial nach wie vor sehr selektiv. … Die Bildungsbiografie eines Menschen hängt in Deutschland noch immer entscheidend von der Bildungsherkunft seiner Familie ab. …Die grundlegende soziale Selektivität ist außerordentlich stabil. Diese Stabilität müsste die Verfechter von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit mächtig und nachhaltig erschrecken, uns jedenfalls erschreckt sie.

Ungleiche Chancen, ungleiche Folgen

Was hat den Präsidenten des Deutschen Studentenwerks und seine Kolleginnen und Kollegen dermaßen erschreckt? Den wesentlichen Befund fasst er wie folgt zusammen: Von 100 Kindern von Akademikern studieren 77, von 100 Kindern von Nicht-Akademikern schaffen es jedoch nur 23 an eine Hochschule, im Vergleich also etwas weniger als ein Drittel. Natürlich muss nicht jeder Mensch ein Studium aufnehmen und gibt es viele gelingende Lebenswege außerhalb der Hochschulen. Wie der OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher jüngst zusammenfasste, verdienen Hochschulabsolventen im Arbeitsleben aber durchschnittlich 74% mehr als Menschen mit Sekundarschulabschluss, das heißt abgeschlossener Haupt- oder Realschule.

Dieser Unterschied kann dadurch gerechtfertigt sein, dass Hochschulabsolventen im Allgemeinen mehr Zeit in ihre Ausbildung investieren und qualifiziertere Aufgaben übernehmen können. Die soziale Rechtfertigung dieses Unterschieds wird jedoch dann eingeschränkt, wenn nicht alle Menschen in der Gesellschaft in gleichem Maße, wenn sie denn wollen und das nötige Können aufweisen, Zugang zu den Ausbildungen haben, die Voraussetzungen für die höher qualifizierten Aufgaben sind. Der krasse Unterschied in der Repräsentation von Kindern aus Familien mit verschiedenem Bildungshintergrund ist jedenfalls ein starker Hinweis auf soziale Selektion des deutschen Bildungssystems.

Forderung an die Bildungspolitik

Dieter Timmerman räumt ein, dass weder er noch die deutsche Bildungspolitik bisher ein einfaches Rezept zur Verbesserung der Lage haben. Mit Blick auf die gegenwärtige hochschulpolitische Debatte äußert er sich aber mit folgendem politischen Statement:

Die hochschulpolitischen Schlüsselbegriffe unserer Zeit sind Exzellenz, Elite, Autonomie. Von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit ist kaum die Rede. Auch wir wollen Exzellenz, aber Exzellenz in Forschung und Lehre, in der Spitze und in der Breite sowie Exzellenz in der sozialen Infrastruktur, das Ganze aber auf dem Fundament von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit.

Kritik der Verbesserungsvorschläge

Während ein Großteil der Medien täglich Beiträge über diesen Befund brachte, gab es in Deutschland einen Akademiker, der sich eines anderen Aspekts des hochschulpolitischen Themas annahm: Der sowohl in lateinischer Philologie als auch in der Geschichte der Naturwissenschaften promovierte Dr. Dr. Peter Riedlberger hatte nämlich vor Kurzem, wie er schreibt, über die Facebook-Seite der hochschuldidaktischen Abteilung der TU München einen Ratgeber für den Umgang mit Diversität an der Hochschule gefunden. Auf der Internetseite dieser Initiative werden Informationen zur Chancengleichheit in der Lehre angeboten, die zum Beispiel den Bildungs-, Migrationshintergrund oder Erkrankungen von Studierenden betreffen.

In seinem von ihm selbst als destruktiv und polemisch bezeichneten Telepolis-Artikel vom 27. Juni (Wie man als Dozent Arbeiterkinder behandeln solle) macht sich Riedlberger dann abschnittsweise über die Sinnlosigkeit dieser Empfehlungen her. Wenn man die Webseite selbst nicht kennt und nur die Polemik liest, dann kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass die Empfehlungen zum Umgang mit Diversität manchmal mehr schaden als nutzen könnten.

Konstruktive statt destruktiver Lesart

Man kann die Empfehlungen aber auch so lesen, dass sie zumindest teilweise einleuchten, dass zum Beispiel Dozierende so unterrichten sollten, dass Studierende sie verstehen können - und dass der familiäre Bildungshintergrund zwar nicht in jedem Einzelfall, aber doch im Mittel zum Beispiel die Sprachfähigkeiten von Studierenden beeinflussen kann. Das heißt, nicht alle Studierenden, die an der Hochschule anfangen, verfügen über dieselben Startbedingungen; und ob diese Startbedingungen zumindest zum Teil vom Bildungshintergrund des Elternhauses abhängen, das kann sozialwissenschaftlich untersucht werden.

Sicher ist in diesem Bereich noch viel mehr Forschung nötig und muss man mit vereinfachenden Erklärungen oder potenziell stigmatisierenden Begriffen wie "Arbeiterkind" vorsichtig umgehen. Das Thema ist jedoch ernsthaft und betrifft einen Kern unserer Gesellschaft, nämlich deren soziale Gerechtigkeit. Dass wir die Kritik des doppelt promovierten Riedlberger nicht im Detail zu analysieren brauchen, diese Arbeit hat er uns dankenswerterweise selbst abgenommen, indem er sie selbst als destruktiv und polemisch abgetan hat. Im Wesentlichen handelt es sich bei seiner Polemik auch um sogenannte Strohmann-Argumente.

Ein Strohmann ist schnell abgebrannt, nützt aber wenig

Mit diesem Begriff aus der Argumentationstheorie beschreibt man es, wenn jemand sich nur ausgesprochen schwache oder gar nicht charakteristische Punkte einer Gegenposition auswählt und damit den metaphorischen Strohmann aufbaut, den er im nächsten Schritt mit Leichtigkeit abfackeln kann. Mit etwas Selbstkritik merkt man, dass man nur seinen eigenen Strohmann niederbrennt; geblendet von Selbstüberheblichkeit denkt man aber, man habe wirklich die Gegenposition widerlegt, wenn man die Asche vor Augen sieht.

Riedlberger, der anders als es bei Telepolis üblich ist, wo Hartz-IV-Empfänger, Angestellte oder Professoren alle unter ihrem bürgerlichen Namen schreiben, auf Führung seines doppelten akademischen Grades als Namensergänzung besteht, dem Dr. Dr., hat sich jedoch einige Tage später noch einmal mit dem Thema befasst (Wovon Arbeiterkinder wirklich profitieren würden). Er widmet sich in seinem zweiten Beitrag auch der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks und will seine destruktive, polemische Kritik durch einen konstruktiven Beitrag ergänzen.

Die Sozialerhebung aus Sicht eines Akademikers

Aber selbst in seiner konstruktiven Kritik wiederholt er einige Fehlschlüsse, die auch im Telepolis-Diskussionsforum häufig vorkommen, und sich am besten wie folgt zusammenfassen lassen: Erstens, wenn ich keine Benachteiligung erfahren habe, dann wurde ich auch nicht benachteiligt; zweitens, wenn ich es geschafft habe, dann kann jeder es schaffen. Würden diese Annahmen stimmen, dann bräuchten wir in der Tat keine Sozialwissenschaften, die die Struktur des deutschen Bildungssystems untersuchen; dann könnten tatsächlich auch alle einfach oder doppelt promovierten Geisteswissenschaftler(innen) aus dem Lehnstuhl heraus, wie Riedlberger es versucht, Hochschulpolitik betreiben.

Auch der Strohmann, den wir aus seinem ersten Artikel schon kennen, lässt wieder grüßen: Die immerhin gut 650-seitige Sozialerhebung, in die mehrere Sozialwissenschaftler Monate, wenn nicht Jahre ihrer Arbeitszeit investiert haben dürften und die den Präsidenten des Deutschen Studentenwerks zu so deutlichen Schlussfolgerungen über soziale Selektion motiviert haben, handelt er im Handumdrehen ab: Dass zwar drei Viertel der Kinder aus Akademikerfamilien, jedoch nur ein Drittel der Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien ein Hochschulstudium wagten, das sei nicht weiter schlimm, denn von Letzteren gebe es schließlich viel mehr. So würden sich an den Hochschulen beide Gruppen in etwa im gleichen Größenverhältnis gegenüberstehen. Was sich auf den ersten Blick nach einem überzeugenden Argument anhört, basiert tatsächlich auf einem komischen Verständnis von Statistik und Gerechtigkeit und führt zu einem Eigentor.

Wie man Gerechtigkeit nicht unter den Teppich kehren kann

Stellen wir uns kurz vor, ein Parlament von Volksvertretern wäre auf die gleiche Weise zusammengestellt: Akademiker entsenden drei Viertel ihrer Mitglieder, Arbeiter ein Viertel an Abgeordneten. Nehmen wir nun - mit Riedlberger - an, dass es viel mehr Arbeiter gibt als Akademiker, der Einfachheit halber dreimal so viele. Gäbe es 1000 Akademiker, dann würden sie 750 - drei Viertel - Abgeordnete in das Parlament entsenden. Die 3000 Arbeiter hingegen würden ein Viertel, damit ebenfalls 750, zur Repräsentation ihrer Interessen in das Parlament schicken.

Nach Riedlberger ist nun entscheidend, dass sich am Ende in diesem Parlament die Vertreter beider Gruppen zu gleichen Zahlen entgegenstehen und tatsächlich ist das der Fall: 750 zu 750. Ist das nun gerecht? Nein, denn die 750 Akademiker repräsentieren 1000, die 750 Arbeiter aber ganze 3000. Das heißt, jede Stimme von Akademiker zählt in diesem Beispiel dreimal so viel wie die der Arbeiter.

Wir können dieses Beispiel ganz analog zur Argumentation Riedlbergers auf die Spitze der Ungerechtigkeit treiben: Stellen wir uns ein Parlament mit nur 200 Abgeordneten vor. Die Hälfte wird von den 100 reichsten Menschen entsandt, die sich alle selbst wählen. Die 80 Millionen restlichen Menschen im Land, die ärmer sind als diese 100, entsenden ebenfalls 100 Abgeordnete. Gemäß Riedlbergers Logik wieder kein Problem, denn schließlich stehen sich im Parlament ja 100 zu 100 Abgeordnete gegenüber. Dabei hat die Stimme jedes der hundert reichsten Menschen 800.000 Mal so viel Gewicht wie die Stimme jedes ärmeren Menschen! Dem Philologen und Historiker Riedlberger ist hier offenbar nicht bewusst, dass diesem Gedankengang ein zutiefst undemokratisches Gesellschaftsmodell entspricht, wie es in früheren Formen des Zensus- oder Ständewahlrechts angewandt wurde: Damals zählte nicht jede Stimme gleich viel, sondern die Stimme wohlhabenderer Menschen oder Menschen aus höheren Ständen - per Gesetz! - viel mehr.

Einfach genial - oder genial falsch?

Riedlberger wundert sich infolge darüber, dass dieser Aspekt "gerne in der Berichterstattung weggelassen wird". Die Tatsache, dass nur er diese Zahleninterpretation vornimmt und kein anderer, dürfte vor allem darin begründet sein, dass nur er diesem riesigen Missverständnis zum Opfer fällt: dass seine Rechnung seinen eigenen Standpunkt nämlich gerade widerlegt und nicht stützt. Das Bildungssystem, das Riedlberger hier verteidigt, ist ein Bildungssystem, in dem Kinder von Akademikern mehr als dreimal so hohe Chancen für ein Hochschulstudium haben wie Kinder von Nicht-Akademikern. Diese Zustände als unproblematisch darzustellen, führt gerade zur Reproduktion der bestehenden sozialen Benachteiligung, nicht zu deren Überwindung.

Wem die hier angestellten Überlegungen zu kompliziert sind, der kann den Hauptfund, den sogenannten Bildungstrichter der sozialen Selektion des deutschen Bildungssystems, anhand dieser Grafik nachvollziehen:

Bild: 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks/HIS-HF, S. 112

Schematische Darstellung sozialer Selektion - Bildungsbeteiligung von Kindern nach Bildungsstaus und Elternhaus in Prozent: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein in einer Akademikerfamilie geborenes Kind ein Hochschulstudium beginnt ist 3,4-mal so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass ein in einer Arbeiterfamilie geborenes Kind ein Hochschulstudium beginnt.

1: Fachoberschule, Berufsoberschule, technische Oberschule, Berufs(fach)schule, Fachakademie (Bayern),Berufsakademie, Schule des Gesundheitswesens, Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr. 2: Allgemeinbildende Gymnasien, Gesamtschulen, Fachgymnasien.

Riedlbergers Büchse der Pandora

Riedlberger pickt sich dann einen Kommentar aus dem Telepolis-Forum heraus, den seiner Meinung nach "mit weitem Abstand verstörendsten Beitrag in der gesamten Debatte". Anstatt sich dazu direkt im Forum zu äußern, bezeichnet er nun aus sicherem Abstand den Vorschlag, man könne die familiäre Bildungsherkunft Studierender ja in bestimmten Bewerbungssituationen erheben, als "Büchse der Pandora". Dies könnte auch unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Standards und des Datenschutzes geschehen. Riedlberger erklärt nicht, was ihn an diesem Vorschlag so verstört, sondern fragt nur rhetorisch: Wo soll das alles enden? Dass man als Nächstes auch nach Religion und sexueller Identität fragt?

Das wirft die Frage auf, ob es denn Belege dafür gibt, dass Studierende aufgrund ihrer Religion oder sexuellen Identität benachteiligt werden. Riedlberger nennt dafür keine. Es bleibt also reine Spekulation - anders als im Beispiel des familiären Bildungshintergrunds, für den es überzeugende Belege gibt, wie wir gesehen haben. Wenn Riedlberger also die Frage aufwirft, wohin das denn führe, wenn man zum Beispiel in Bewerbungssituationen auf diesen Aspekt achte, dann können wir ihm getrost antworten: dass man sich des Problems bewusster wird, dass Institutionen nachvollziehen können, ob bei ihnen soziale Selektion vorgenommen wird, kurzum, dass sich an der Situation benachteiligter Menschen etwas hin zum Besseren verändert.

Der schwarze Peter: Die anderen sind schuld!

In seinem Versuch der Erklärung, "wovon Arbeiterkinder wirklich profitieren würden", zielt Riedlberger schließlich auf die Schulen. Dort verortet er das Problem: "Ob Kinder von Nicht-Akademikerfamilien studieren oder nicht, hat viel mehr mit der Schule als mit der Universität zu tun." Natürlich: kein Hochschulstudium ohne Hochschulreife. Tatsächlich berichtet die Sozialerhebung auch hierzu Zahlen, dass nämlich im Jahr 2009 die Wahrscheinlichkeit, die gymnasiale Oberstufe auf einer weiterführenden Schule zu besuchen, für Kinder von Akademikern beinahe doppelt so hoch war wie für Kinder von Nicht-Akademikern. Der Unterschied ist dort schon deutlich ausgeprägt (79% gegenüber 43%), jedoch noch nicht so stark wie später an den Hochschulen selbst.

Die Tendenz, die jeweils vorherige Bildungsstufe für die Selektion zur Verantwortung zu ziehen, wurde schon vorher beschrieben: Die Hochschulen würden auf die Vorselektion an den Gymnasien zeigen, die Gymnasien auf die Vorsortierung an den Grundschulen, und so weiter. Gleichzeitig mit dem Verschieben des Problems lässt sich auch die Verantwortung weit von sich weisen. Damit ist freilich nichts gewonnen, während die soziale Selektion im deutschen Bildungssystem uneingeschränkt weitergeht.

Die Menschen sind nicht gleich - aber gleichwertig

Freilich muss nicht jeder Mensch ein Hochschulstudium absolvieren oder gar eine Promotion abschließen (geschweige denn, zwei!). Jeder Mensch sollte aber unabhängig von familiärem Bildungshintergrund, Herkunft oder Geschlecht die gleichen Chancen haben, Erfolg im deutschen Bildungssystem zu haben. Die besten zur Verfügung stehenden sozialwissenschaftlichen Ergebnisse deuten daraufhin, dass dies bei Weitem nicht der Fall ist.

Auch wenn die Meinungen über die konkreten Ursachen und die Problemlösungen auseinandergehen, stellt ein destruktiver, polemischer und argumentatorisch oberflächlicher Umgang mit den Daten und Lösungsvorschlägen eine weitere Gefahr für die Benachteiligung derjenigen dar, die heute schon benachteiligt werden. In dieser Hinsicht hat das doppelt promovierte Arbeiterkind Riedlberger den zukünftigen Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien meiner Meinung nach einen Bärendienst erwiesen.

Stephan Schleim studierte Philosophie und Psychologie und ist promovierter Kognitionswissenschaftler sowie Hochschuldozent an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften an der Universität Groningen (Niederlande). Er wuchs im Haushalt eines Anlagenwärters und einer Sekretärin auf.