Wie werden wir messen?

Bei der ersten Monomedia-Konferenz ging es ausnahmsweise nicht ums Geld, sondern um Werte.

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Trotz aller Kritik vorab war die erste Monomedia-Konferenz ein Erfolg. Drei Tage lang hatte man sich im HdK-Gebäude in der Hardenbergstrasse versammelt, um über die kulturellen Herausforderungen der neuen Medien zu debattieren. Frühaufsteher konnten sogar an den Breakfast-Sessions teilnehmen, die in kleinen Diskussionsgruppen sporadisch die Themen der Konferenz aufgriffen. Auch ansonsten waren Möglichkeiten zum Austausch gegeben.

Studenten trafen freundliche Online-Community-Manager wie Craig Newmark, aber auch slicke Firmenvertreter wie Dwight Herperger; Professoren trafen auf Netzkünstler wie Etoy, Journalisten auf internationale Theoretiker, darunter Richard Barbrook und Michael Goldhaber, Wissenschaftler wie Robin Hanson kamen mit Start-Up-Leuten wie Naoki Oba ins Gespräch. Dank der breitgefächerten Mischung war die Atmosphäre gut, dass Online-Terminals und ein Pressezentrum fehlten, minderte die Stimmung nicht weiter. Trotz bester Außentemperaturen war der Konferenzsaal durchwegs zufriedenstellend gefüllt. Das Publikum ließ sich erheitern, aber nicht an der Nase herumführen. Firmenpräsentationen wie die von Randstad riefen anhaltende Kontroversen hervor und erwiesen sich als Diskussionskatalysator.

Corporate Chic

Zwei Firmenpräsentationen waren die umstrittenen Highlights der Konferenz. Die Impulse, die sie lieferten, verdankten sie allerdings weniger der visionären Kraft ihrer Projekte. Wie nur wenige Referenten vermochten sie das Publikum aus dem Trance-Zustand der Daueraufmerksamkeit zu rütteln, ihr Impact war eher verstörender Natur. Es war vor allem die Präsentation von Randstads Design- und Kunstmanagerin Diana Krabbendam, die geradezu Aggressionen im Auditorium schürte. Wann würde die Projektion des vorgeblich internen Promo-Videos "Fruit" endlich enden?

Das Video zeigt einen fiktiven Konkurrenten der Firma, der alles richtig macht, was bei Randstad in der letzten Zeit falsch lief. Eingeblendet werden Angestellte, die kurze Statements über das Zeitarbeitsunternehmen abgeben. Auf ziemlich penetrante, weil irgendwie naive Art geben sie ihre Erfahrungen mit dem Unternehmen zu Protokoll. Ein fabelhaftes Profil voller Vorteile kam damit zum Ausdruck, dessen Konturen gleichzeitig wie Verhaltensvorschriften gewirkt haben. Diese Rezeption wurde mit Verweis darauf modifiziert, dass dieses ästhetisch an zeitgenössische Werbeclipoptik angelehnte Video lediglich dazu bestimmt sei, die Firma von innen zu kritisieren. Randstad, seit dem Ende der letzten Dekade übrigens eines der weltweit größten Unternehmen seiner Art, wurde somit zum Analysefall erklärt. Die Diskussion wechselte von den strategischen Fragen der visuellen Kommunikation hin zur reformbedürftigen Firmenstruktur.

Der andere Höhepunkt war ebenfalls eine Präsentation, die größtenteils videogestützt verlief. Matthijs de Jongh stellte als Strategiedirektor der Werbeagentur KesselsKramer eine vielbeachtete PR-Kampagne vor, die den Markteintritt eines neuen Telefonanbieters in Szene setzte. Ben, der Name der Firma, zu Deutsch: ich bin, sagt schon so gut wie alles über die heikle Strategie. Ein Vorname und zugleich eine Existenzverlautbarung rücken Menschen, die vermeintlichen Kunden, ins Zentrum der Firmenphilosophie. Die besonders menschlich inszenierten (und übrigens ebenfalls MTV-tauglichen) Clips griffen wiederum Verhaltenscodes auf. Die überaus moralisierenden Inhalte hinterließen einen komischen Nachgeschmack. Man solle achtgeben im Umgang mit dem Handy, es beim Autofahren nur in Notfällen benutzen und nicht so lautstark telefonieren.

Wie Brian Eno, der grundsätzlich in Dialogsituationen wirkte, kritisch anmerkte, kann es nur als Heuchelei bezeichnet werden, wenn eine auf Gewinnoptimierung ausgerichtete Firma in ihren Anzeigen an das Gute appelliere. Ähnlich bewertete er die Strategie von KesselsKramer, als Firma tief zu stapeln - de Jongh hatte eingangs darauf hingewiesen, dass man nach außen hin nicht wie ein Konzern wirken wolle, um mehr die Leute in den Vordergrund treten zu lassen. Krabbendams "Fruit" und de Jonghs Marketing-Ideen ließen den Einzelnen als neu ermächtigtes Glied in der globalen Ökonomie erscheinen, ohne dafür das Netz an Verbindlichkeiten aufblitzen zu lassen, das diesen Prozess langfristig verantwortbar macht.

Kopf und Zahl

Rein additiv besehen hat die Konferenz einen Mehrwert an Werten erzeugt: Das Wort "value" fiel sehr oft. Doch kaum eine Vorstellung von der aktuellen Verschiebung im immateriellen Gebäude der Werte gewann so an Plastizität, wie ein im Zusammenhang mit besagten Firmenpräsentationen gezündeter Diskurs: Werte im Rahmen der digitalen Globalisierung, wie der des neuerstarkten Einzelnen, sind immer gleich mehrfach auslegbar. Sie können wahlweise als Verlust oder Gewinn begriffen werden. Vielleicht waren Werte schon immer so beschaffen. Doch sind sie gerade im Zuge der so genannten neuen Wirtschaft mehrfach aufgeladen - man denke nur an einen Wert wie Flexibilität.

Deshalb war es schade, dass Saskia Sassen nicht erschien. Von der Sozial-Ökonomin hätte man nämlich Anmerkungen zur "dritten Dimension" erwarten können. Anders als die vereinfachende Entweder-oder-Rhetorik, mit der man die Transformationsprozesse des Planeten in "gut" und "schlecht", "pro" und "contra" einteilt, sucht jemand wie Sassen nicht die parteiische Antwort, sondern einen dritten Weg.

Theoretische Gegenpole zu besagten Firmenpräsentationen erhärteten diesen Eindruck: Manuel de Landas sehr engagiert vorgetragene Theorien über die Wichtigkeit von Kleinunternehmen und der humorvolle Vortrag von Bert Mulder, der vom Verlust und von der Nicht-Existenz von Werten sprach.

Berlin ist nicht San Francisco

Die Konferenz muss aber auch im erweiterten Kontext gesehen werden. Das sonntägliche Panel zum Thema ECommerce, das stilsicher von Joseph Weizenbaum eröffnet wurde, zeigt nicht zuletzt, dass hier Institutionalisierungsprozesse in Gang gesetzt werden sollten. Die HdK, die auf einem Empfang vom Schirmherrn der Konferenz, Wolfgang Branoner, dem Senator für Wirtschaft und Technologie, als die wichtigste Multimedia-Akademie Deutschlands bezeichnet wurde, will in naher Zukunft neue Cyber-Lehrstühle vergeben. Vor diesem Hintergrund muss die Auswahl der Gäste gesehen werden.

Aber nicht nur. Etwas überspitzt gesagt: Es war keine Position, die in den letzten drei Jahren nicht ohnehin schon von sich Reden gemacht hat, auf der Monomedia-Konferenz vertreten. Doch gerade die Tatsache, dass jeder für sich gewissermaßen etabliert ist, eröffnete die Möglichkeit, die Dinge - im Sinne des Konferenztitels monomedia - als zusammenhängende Einheit zu begreifen und somit die Diskussion um so universelle Themen wie Werte zu eröffnen.

Andererseits darf nicht vergessen werden, dass bis auf den Inder Rishab Aiyer Gosh, der abermals seine Theorie der "Cooking Pot Markets" verbreitete, die meisten ReferentInnen aus dem anglo-amerikanischen Ausland eingeflogen wurden. Der Herkunft des Konferenzleiters Willem Velthoven entsprechend waren auch viele Gäste aus Holland gekommen.

Warum waren deutsche Vertreter nicht, bzw. wenn, dann nur im US-Exil lebende, geladen? Deutschland hinke den internationalen Entwicklungen hinterher hieß es auf der Pressekonferenz letzten Donnerstag. Berlin ist nicht San Francisco - aber das muss schließlich nicht erst noch hervorgehoben werden.