"Wir müssen mehr Öffentlichkeit schaffen"

Eman Ahmed Khammas, Direktorin von Occupation Watch, zur Lage in Irak und zur Frage der Öffentlichkeit im Krieg

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Wieder geraten Medien ins Visier vom Militär. Bei der Pressekonferenz am heutigen Montag beschuldigten US-Brigadegeneral Mark Kimmitt und Militärsprecher Dan Senor den arabischen Satellitensender al-Dschasira, Fehlinformationen zu verbreiten. Vorangegangen war ein handfester Konflikt zwischen dem Sender und US-Militärs. Am Wochenende hatte ein al-Dschasira-Korrespondent berichtet, dass ein US-amerikanischer F-16-Kampfjet die ausgehandelte Waffenruhe in Falludscha gebrochen habe. Während Kimmitt die Berichte als "eine Serie von Lügen" bezeichnete, beschuldigte der TV-Journalist die US-Soldaten, sein Kamerateam ins Visier genommen zu haben. Sein Team habe sich daraufhin aus der unmittelbaren Kampfzone zurückziehen müssen.

Der Vorfall belegt erneut, dass Berichte des unmittelbaren Geschehens in Irak den Besatzungstruppen unangenehm sind. Gerade aus diesem Grund ist bereits im vergangenen Juli mit Occupation Watch ein Zusammenschluss von globalisierungskritischen Gruppen und Friedensorganisationen entstanden, die einer befürchteten Informationsblockade von vornherein entgegentreten wollen. Unterstützt wird die Initiative unter anderem von dem britisch-pakistanischen Autoren Tariq Ali und Walden Bello, dem Direktor der Organisation Focus on the Global South. Seit fast einem Jahr beobachtet Occupation Watch mit Büros in Washington und Bagdad die wirtschaftliche und politische Lage im besetzten Irak. Die Bagdader Zentrale wird von Eman Khammas geleitet.

Eman Khammas, links auf dem Bild

Frau Khammas, als Leiterin des Bagdader Büros von Occupation Watch beklagen Sie zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungstruppen. Woher haben Sie Ihre Informationen?

Eman Khammas: Wir haben Mitarbeiter vor Ort, von denen die Lage beobachtet wird. Dokumentiert werden die Geschehnisse auf unserer Homepage www.occupationwatch.org. Die Seite wird von Washington aus betreut. Von Organisationen wir Focus on the Global South werden außerdem Beobachterdelegationen organisiert, was im Moment natürlich sehr schwierig ist. Wir müssen aber mehr Öffentlichkeit schaffen.

Falludscha, etwa 50 Kilometer von Bagdad entfernt, wird von Besatzungstruppen belagert. Was wissen Sie von der Lage dort?

Eman Khammas: Zunächst möchte ich dazu sagen, dass die Belagerung von Falludscha völkerrechtswidrig ist. Nach den Genfer Konventionen ist es einer regulären Armee nicht erlaubt, Städte und deren zivile Bevölkerung zu belagern. Wirklich beunruhigend sind zudem die Berichte aus Falludscha. Tausende Menschen haben die brüchige Waffenruhe in den vergangenen Stunden genutzt, um die Stadt zu verlassen...

...weil zunehmend zivile Ziele ins Visier geraten?

Eman Khammas: Es ist leider eine Tatsache, dass zivile Opfer seit der sogenannten Befreiung von Irak an der Tagesordnung sind. Meiner Meinung nach sind die Besatzungstruppen völlig überlastet. Eine Konsequenz sind die Überreaktionen: Der Einsatz von 500-Pfund-Bomben in Wohngebieten etwa. Wir müssen auch beobachten, dass PKW, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit angetroffen werden, mitunter aus Panzern beschossen werden. Auf diese Weise kommen hier tagtäglich Menschen ums Leben - und das ohne konkrete Bedrohungssituation.

Nährt sich daraus der Widerstand?

Eman Khammas: Der Ursprung der Widerstandsgruppen ist sehr komplex und nicht nur auf das brutale Vorgehen der Truppen zurückzuführen.

Er scheint vor allem religiös motiviert.

Eman Khammas: Auch das wäre ein Trugschluss. Natürlich nehmen schiitische Gruppen unter Moktada al-Sadr derzeit eine herausragende Rolle ein. Al-Sadr mobilisiert seine Basis aber vor allem in armen Bevölkerungsschichten, die wegen ihrer sozialen Situation auf die Straße gehen.

Hier liegt also das eigentliche Verfehlen der Besatzer?

Eman Khammas: Man sollte im Ausland versuchen, sich in die Lage der irakischen Bevölkerung zu versetzen: Seit einem Jahr leben wir selbst in der Hauptstadt in einer äußerst prekären Sicherheitslage. Oft fehlt es an dem Nötigsten, Strom und Wasser fällt immer wieder aus. Der Wiederaufbau der Infrastruktur kommt kaum voran. Als die Menschen begannen, gegen diese Situation zu protestieren, gab es schon im vergangenen Jahr die ersten gewaltsamen Zusammenstöße mit den Besatzungstruppen. So schaukeln sich Protest und Repression seit Monaten hoch.

Trotzdem heißt es in Berichten der US-Militärs, dass al-Sadr politisch isoliert sei.

Eman Khammas: Sehen Sie, ich repräsentiere keine politische Gruppe oder Partei. Ohne also in den Verdacht zu kommen, politisch befangen zu sein, kann ich sagen, dass die These der politischen Isolation al-Sadrs eine Erfindung ist. Er verfügt über eine enorme Basis in den ärmeren Teilen der Bevölkerung, nicht nur im Süden des Landes, sondern auch in Bagdad.

Die schiitischen Widerstandsgruppen sind damit auch in Gebieten aktiv, in denen sunnitische Guerillaverbände auftreten. Sind als nächstes also nicht Zusammenstöße zwischen diesen beiden Gruppen zu erwarten?

Eman Khammas: Die These von einem drohenden Bürgerkrieg ist politisch motiviert. Zu behaupten, Schiiten und Sunniten würden gegeneinander kämpfen, heißt doch, dass die ausländischen Truppen im Land bleiben müssen, um das zu verhindern. Als die Belagerung von Falludscha in der vergangenen Woche begonnen hat, haben sich Menschen beider Gruppen aus Bagdad auf den Weg gemacht, um den Belagerten Medikamente und Nahrungsmittel zu bringen. Zur gleichen Zeit haben US-Kampfhubschrauber Moscheen und Schulen unter Beschuss genommen, in denen Hilfsgüter gesammelt wurden. Wer sind also die Barbaren?