Wissenschaftlich erwiesen: Kapital kann Rechtsruck stoppen

Tortendiagramm mit Zeiger auf AfD und Gehaltsmünze, die ihn über Zahnräder wegdreht

Unternehmen behandeln ihre Beschäftigten besser, und schon wählen die weniger rechts. Sagt jedenfalls eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. (Teil 2 und Schluss)

"Die Arbeitswelt ist europaweit relevant, um den Aufstieg der politischen extremen Rechten zu verstehen und zu bekämpfen", fasst Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, zentrale Ergebnisse ihrer neuesten Studie zusammen.

Eine wichtige Rolle spielen etwa faire Bezahlung, das Gefühl, bei Arbeitsmenge und Arbeitszeiten nicht dem Arbeitgeber ausgeliefert zu sein sowie Beteiligungsrechte im Job, wie sie insbesondere durch Gewerkschaften und Institutionen der Mitbestimmung vorangetrieben werden – etwa in Deutschland durch Betriebs- und Personalräte.

Hans-Böckler-Stiftung

Fürderhin könnten demnach Tarifverhandlungen eine noch größere Bedeutung bekommen. Es geht dann nicht nur um so profane Sachverhalte wie mehr Geld, mehr Freizeit, weniger Leistungsdruck, einen zumindest zeitweise sicheren Arbeitsplatz und Mitsprache im Betrieb. Über diesen Themen schwebte dann die Demokratie.

Schließlich würde sie nur gestärkt werden können, wenn die Unternehmer ihren Beschäftigten endlich ein gutes Auskommen gewährten! Das ist nun wissenschaftlich erwiesen – das Kapital kann den Rechtsruck stoppen, wenn es denn will.

Die nationale Borniertheit der AfD schadet dem internationalen Geschäft

Und es will ja: Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI), die AfD als "schädlich für die Zukunft unseres Landes" bezeichnet. Im Mai dieses Jahres legte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nach. Wie das WSI präsentierte es kurz vor der Europawahl die Ergebnisse einer Befragung.

Demnach haben sich mehr als 47 Prozent der deutschen Unternehmen öffentlich gegen die Partei stark gemacht. Auf die Frage, ob eine betriebsinterne Positionierung gegen die AfD erfolgt sei, antworteten sogar fast 55 Prozent der Unternehmen mit ja. Vor allem die Sorge um den Bestand der EU und des Euros treibt die Unternehmen um, rund 77 Prozent sehen hier ein Risiko durch die AfD.

Kein Wunder, schließlich liebäugelt die Partei öffentlich damit, dass Deutschland den Euro als Währung aufgeben und möglicherweise sogar aus der Europäischen Union austreten soll. Der wirtschaftliche Schaden eines solchen Dexits wäre mit 690 Milliarden Euro innerhalb von nur fünf Jahren enorm.

Institut der deutschen Wirtschaft

Dies treibt besonders viele große Unternehmen um, die vom europäischen Binnenmarkt profitieren. Doch sie sehen die Europäische Union (EU) auch kritisch: "Pragmatismus und Schnelligkeit müssen endlich ins europäische Haus einziehen und die Bürokratie draußen vor der Tür bleiben", sagt Markus Steilemann, Chef des Chemie-Konzerns Covestro und Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI).1

Allzu weit entfernt von der Kritik der AfD an der EU klingt das nicht. Das Kapital sieht allerdings mehrheitlich den Binnenmarkt weiterhin als gute Bedingung für sein Geschäft. Dabei denkt es folgerichtig international. Die borniert nationale Perspektive der AfD, dass Deutschland ohne die EU besser fährt, teilen die meisten daher nicht.

Es ist halt ein immer wieder hervorgekramtes, altes Lied des Kapitals. Und die Politik von links bis rechts zeigt dafür aus staatlichem Eigeninteresse an möglichst großem Erfolg der deutschen Wirtschaft Verständnis: Freie Bahn den Unternehmen, weg mit jeglichen Behinderungen für den alles entscheidenden Profit – national und international!

Mehr Lohn, mehr Freizeit? Da hat die Liebe zur Demokratie Grenzen

Wer nun von gewerkschaftlicher Seite auf entsprechendes Entgegenkommen bei Tarifverhandlungen hofft, um die Demokratie zu stärken, wird daher – wenig überraschend – enttäuscht. So weit geht die Liebe bei den Unternehmen dann doch nicht. Gerade hat Harald Marquardt, Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Baden-Württemberg in der bevorstehenden, wegweisenden Tarifrunde für die Beschäftigten in der Metallindustrie, klargestellt:

Auch wenn das einen Aufschrei gibt: Die richtige Zahl in der Lohnentwicklung wäre eine Null.

Er begründete dies mit der schlechten wirtschaftlichen Lage und hohen Arbeitskosten der Firmen. Und auch er kommt mit den Ergebnissen einer Umfrage: Danach rechneten 38 Prozent der Unternehmen mit einer Umsatzrendite von unter zwei Prozent.2

Damit kontert er noch eine Umfrage – von der IG Metall. Die hat 300.000 Arbeitnehmer befragt:

Drei Viertel (…) spüren die dauerhaft gestiegenen Kosten und wollen die Kaufkraft stärken. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stiegen die Verbraucherpreise in Deutschland allein 2022 und 2023 um zusammen 13 Prozent. Die jüngste Tariferhöhung in der Metallbranche von 8,5 Prozent plus Inflationsprämie gleicht das laut (…) Gewerkschaft bei Weitem nicht aus.

Alexander Hagelüken, Süddeutsche Zeitung

Der Schlagabtausch kommt bisher ohne den Hinweis auf die demokratiefördernde Wirkung von mehr Geld usw. aus. Die Gewerkschaft hat diese Karte bisher nicht gezogen. Es scheint, als glaubte die IG Metall nicht an ihre Wirkung.

Immerhin möchte die IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner für die Beschäftigten mehr Möglichkeiten schaffen, sich für die Demokratie zu engagieren.3 Dumm nur, dass – wieder eine Studie – Rechtsextremismus am Arbeitsplatz zunimmt.4

Ob die Arbeitgeber da mitspielen, wenn sich ihre Beschäftigten bei der Arbeit über die Demokratie in die Wolle bekommen? Doch nein, so war das von Frau Benner gar nicht gemeint. Die Arbeiter und Angestellten sollten sich gefälligst in ihrer Freizeit mehr für das Staatswesen ins Zeug legen. Die Profitmacherei darf nicht gestört werden von Debatten über die richtige Staatsform. Das störte den "Betriebsfrieden" – und der ist auch der IG Metall heilig.

Beschäftigte dürfen sich für Demokratie begeistern – vor dem Fabriktor

Aber da wäre ja noch die für demokratische Begeisterung so wichtige Frage nach der Mitbestimmung in Unternehmen. Wenigstens hier könnte das Kapital doch die Gewerkschaften öfter mitreden lassen? Allein, die Wirklichkeit sieht anders aus. Eine Studie – was auch sonst – zeigt: Immer mehr große Unternehmen umgehen die gesetzlich vorgeschriebene Mitbestimmung. Die Untersuchung des "Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung" (IMU) stellt fest, dass 2022 von knapp 1.100 großen Firmen rund 400 keine paritätische Kontrolle hatten, Tendenz steigend.5

Viele Unternehmer verstehen eine Mitsprache der Belegschaft als Eingriff in ihre Entscheidungsfreiheit – Demokratie hin oder her. "Sie nutzen nationale Gesetzeslücken oder durch EU-Recht geschaffene Vermeidungsmöglichkeiten gezielt oder als Nebeneffekt von Firmenkonstruktionen. Anwaltskanzleien und andere Berater machen ein gutes Geschäft damit, vorzuschlagen, wie sich die Mitbestimmung umgehen lässt", erläutert IMU-Studienautor Sebastian Sick.6

Dass die Demokratie am Fabriktor aufhört, hat also immer noch Bestand. Mit Rechtsextremismus hat das nichts zu tun. Sondern mit dem allseits akzeptierten Anspruch des Unternehmens, über die Bedingungen seines Geschäfts zu bestimmen, möglichst ohne Einsprüche der Belegschaft. Indes, wenn von dort konstruktive Vorschläge kommen, das Geschäft zu verbessern – warum nicht? Und so lassen sich einige Unternehmen die Mitbestimmung dann doch gefallen.

Weitere Studie: Unternehmen ohne Geld für mehr Lohn und Freizeit

Vielleicht noch wichtig zu erwähnen: Das IMU gehört zur Hans-Böckler-Stiftung. Womit wir an den Ausgangspunkt zurückkommen. In welche Kategorie fällt die Studie zum Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und Einstellung zur Demokratie? Nicht ganz so abwegig wie die Frage nach Schuh- und Penisgröße, mag sein. Aber wie glaubwürdig sind die Erkenntnisse angesichts des Auftraggebers?

Sicher, die Befragung von insgesamt 15.000 Beschäftigten in zehn europäischen Staaten wird nach den einschlägigen Methoden erfolgt sein. Das Problem liegt in der interessierten Frage:

Könnte es nicht einen Zusammenhang geben zwischen den – unzweifelhaft guten – gewerkschaftlichen Zielen und der – ebenso unzweifelhaft guten – Demokratie? Und wenn das – nur tendenziell und korrelierend, versteht sich, aber immerhin – herauskommt, dann bekommen die Gewerkschaften politischen Rückenwind für ihre Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern. Dann steht die etablierte Herrschaft hinter ihnen, und IG Metall und Co. können auftreten als die Verteidiger der Demokratie.

Mit so hässlichen Mitteln wie Streiks müssen sie dann auch nicht mehr drohen. Es genügt die Gretchenfrage: Lieber Unternehmer, Du willst doch nicht die Demokratie in Gefahr bringen?

Wie es jedoch aussieht, entfaltet die umwerfende Erkenntnis der Studie der Hans-Böckler-Stiftung bisher nicht die gewünschte Wirkung. Schließlich gibt es auch Studien der Gegenseite, die besagen: Unternehmen haben kein Geld für mehr Lohn und Freizeit ihrer Belegschaften.

Dass sie von deren Verbänden in Auftrag gegeben wurden, macht sie nicht weniger glaubwürdig als ihr Pendant von der Gewerkschaftsseite. Doch in einem unterscheiden sie sich maßgeblich: Diese Untersuchungen untermauern keine Wunschvorstellungen, sondern sie sind eine klare Ansage.

Das Kapital wird auch in der kommenden Tarifrunde alles daransetzen, die Kosten für die Beschäftigung von Arbeitern und Angestellten weiter so niedrig wie möglich zu halten. Das hat in der Vergangenheit funktioniert. Und so, wie die Gewerkschaften sich aufführen, wird das wohl auch weitergehen.